Journalisten hungern in Gaza: „Wir weigern uns, mit anzusehen, wie sie sterben“
Die Gewerkschaft der Nachrichtenagentur AFP veröffentlicht einen Hilferuf. Denn ihre Kollegen in Gaza könnten dort bald verhungern.

Wenn ein Mensch nichts mehr zu essen bekommt, dann greift der Körper zuerst auf die Kohlenhydrate in Leber und Muskeln zurück. Nach ein paar Tagen beginnt er, die Fettreserven anzuzapfen und kurze Zeit später das körpereigene Eiweiß: Um Energie zu gewinnen, werden die inneren Organe und die Muskeln abgebaut, was auch das Immunsystem und das Herz schwächt. Meist stirbt der Mensch dann an Kreislaufzusammenbruch, Infektionen oder Herzversagen.
Durch die israelische Blockade und die Zerstörung von Gaza ist laut der UN die gesamte Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Darunter sind auch Journalisten der Agence France-Presse, wie die Gewerkschaft der französischen Nachrichtenagentur in einem Hilferuf am Montag mitteilte.
„Seit der Gründung der AFP im August 1944 haben wir Journalisten in Konflikten verloren, wir haben Verletzte und Gefangene in unseren Reihen gehabt, aber niemand von uns erinnert sich, einen Kollegen verhungern haben zu sehen“, schrieb die Gewerkschaft SDJ. Die Leitung der AFP schloss sich dem Schreiben in einem Post an, man teile die Angst ob der schrecklichen Situation der Kollegen in Gaza.
Die israelische Regierung verweigert internationalen Journalisten nach wie vor den Zugang zum Gazastreifen. Laut der Gewerkschaft arbeitet die AFP deshalb mit zehn lokalen Text-, Foto- und Videojournalisten zusammen. Einer von ihnen ist der 30-jährige Fotograf Bashar. „Ich habe keine Kraft mehr, um für die Medien zu arbeiten. Mein Körper ist dürr und ich kann nicht mehr arbeiten“, schrieb er am Samstag auf Facebook.
Am Sonntag postete er: „Zum ersten Mal fühle ich mich besiegt.“ Laut dem Statement lebt Bashar seit Februar in den Ruinen seines Hauses in Gaza-Stadt, zusammen mit seiner Mutter, vier Geschwistern und der Familie eines seiner Brüder. Ein Bruder sei bereits verhungert. Bashar, so heißt es, habe seine Kollegen um Hilfe gebeten und auch an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron appelliert, ihm bei der Ausreise aus Gaza zu helfen.
Die Kräfte verschwinden
Eine andere Journalistin, Ahlam, lebt laut der SDJ im Süden des Küstenstreifens. Sie will dort bleiben, solange es geht, um Zeugnis abzulegen. „Jedes Mal, wenn ich das Zelt verlasse, um über ein Ereignis zu berichten, ein Interview zu führen oder einen Fakt festzuhalten, weiß ich nicht, ob ich lebendig zurückkehren werde“, sagte sie laut der Mitteilung.
Das größte Problem seien die Nahrungs- und Wasserknappheit. Trotz der monatlichen Gehälter könnten sich die Journalisten kein Essen kaufen oder nur zu exorbitanten Preisen, schreibt die SDJ. Wer mit dem Auto losfahre, laufe dadurch Gefahr, zur Zielscheibe der israelischen Armee zu werden. Die Reporter der AFP rückten deshalb zu Fuß aus oder mit einem Eselkarren.
Nach den Statements der Gewerkschaft und der AFP äußerte sich am Dienstag der französische Außenminister Jean-Noel Barrot. „Ich verlange, dass freie und unabhängige Presse nach Gaza gelassen wird, um zu zeigen und zu berichten, was dort passiert“, sagte Barrot dem Radiosender France Inter.
Er bekundete seine Hoffnung, die freien Mitarbeiter französischer Journalisten „in den kommenden Wochen“ zu evakuieren, und sprach sich für einen sofortigen Waffenstillstand aus. Frankreich hat sich – im Gegensatz zu Deutschland – einem Aufruf von 25 Staaten angeschlossen, der Israel für seinen Krieg kritisiert und ein Ende desselben fordert.
Genozidforscher und internationale Organisationen werfen Israel vor, an den Palästinensern in Gaza einen Völkermord zu begehen. Unter den über 61.000 bestätigten Todesopfern sind über 170 Journalisten. In manchen Fällen hat die israelische Armee zugegeben, bewusst Pressevertreter ins Visier zu nehmen, die sie als Terroristen brandmarkt.
Die AFP will nun verhindern, dass ihre Mitarbeiter auf der Liste der Toten landen. „Wir sehen, wie sich ihre Lage verschlechtert. Sie sind jung, aber ihre Kräfte schwinden“, schreibt die Gewerkschaft SDJ. Und fügt an: „Wir weigern uns, mit anzusehen, wie sie sterben.“
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