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Weniger Arbeitslosengeld für ÄltereNeoliberal und unwirksam

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft schlägt vor, älteren Arbeitslosen die Bezüge zu kürzen. Aber das bringt weniger als erhofft.

Junge MitarbeiterInnen bevorzugt: Wer älteren Arbeitslosen die Bezüge kürzen will hat wohl noch nie was von Altersdiskriminierung gehört Foto: Uwe Umstätter/imago

V ielerorts fehlt das Geld: Krankenkassen haben nahezu keine Rücklagen mehr, die ersten Pflegekassen machen pleite, und auch die Bundesanstalt für Arbeit steht finanziell unter Druck. Wie die Kassen an mehr Geld kommen könnten, um ihre sozialen Leistungen nachhaltig zu gewährleisten, ist die Eine-Millionen-Dollar-Frage. Da erscheint die Idee des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nachvollziehbar, die Länge des Arbeitslosengeldes für Ältere an die Bezugsdauer der Jüngeren anzupassen, nämlich auf ein Jahr. Aktuell können anspruchsberechtigte Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, noch bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen, jene im Alter von 55 Jahren 18 Monate und 50-Jährige bis zu 15 Monate.

In den Augen des arbeitgebernahen IW scheint das ein verzichtbarer Luxus – für gerade mal 85.000 Betroffene – zu sein, weil sie sich nicht so aktiv, wie das wünschenswert wäre, um einen neuen Job kümmerten. Durch verkürzte Arbeitslosenzeiten der Älteren ließen sich 2 Milliarden Euro sparen, rechnet das IW vor.

Das ist zugegebenermaßen eine schöne Summe, mit der man einiges machen könnte. So einfach aber funktioniert das leider nicht. Denn die Älteren kosten ihre Arbeitslosigkeit nicht aus, nein, sie bekommen einfach nicht eher einen neuen Job. Selbst in Zeiten des Fachkräftemangels ist Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt eine alltägliche Erfahrung. Die Unternehmen stellen lieber junge Mit­ar­bei­te­r:in­nen ein als jemanden, der oder die schon länger eine Stelle sucht. Nun könnte man entgegenhalten, dass Unternehmen manche ältere Kol­le­g:in­nen bitten, noch nicht in Rente zu gehen oder für ein paar Stunden zurück ins Büro zu kommen. Stimmt. Aber diese Älteren waren angestellt, sie sind nicht arbeitslos, das Vertrauen in sie ist schlicht größer.

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Der IW-Vorschlag passt zur oft neoliberal agierenden Bundesregierung sowie zum Trend zur Rente mit 70 – und verkennt einen anderen Effekt: Sollten Langzeitarbeitslose infolge gekürzter Leistungen in den Bürgergeldbezug fallen, sinken ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher, als dass sie steigen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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15 Kommentare

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  • Diejenigen, die die Rente mit 70 fordern sind die Gleichen, die Arbeitnehmer über 50 ablehnen.

  • "Wie die Kassen an mehr Geld kommen könnten, um ihre sozialen Leistungen nachhaltig zu gewährleisten, ist die Eine-Millionen-Dollar-Frage."

    www.oekom.de/buch/...ntum-9783962383190

    PS: Die Million würde ich sofort der taz spenden!

  • Kommt mir so vor, als ob da dieses piekfein u. seriös sich gebende Wirtschaftsinstitut seinen Gehirnschmalz mal wieder ganz dem Klassenkampf von oben widmet. Nur das ist wichtig, wen schert es auch, wenn die andere Arbeit dafür liegen bleibt.

    Gerade bei den genannten Altersgruppen gehe ich davon aus, dass die Mehrzahl tatsächlich ihr Leben lang mit Arbeit sich einen gewissen Lebensstandart aufgebaut hat. Die kommen dann nach einem Jahr schon ins Bürgergeld, verlieren einen Teil ihres Vermögens. Die Kinder sind aus dem Haus oder der Wohnung, also raus da. Dann verbrauchen sie bis zur Rente noch einen Teil des verbliebenen Vermögens u. bekommen eine geminderte Rente.



    Aber für das Linsengericht von 2 Mrd. für das nicht das DIW zahlt, kreiert das Institut eine weitere "riesige" Buhgruppe für die arbeitenden Bürgergeldhasser. Die hassen nämlich auch alle Arbeitnehmer, die es aus ihrer Sicht unverdient besser haben: Die im öffentlichen Dienst, die über korrupte Gewerkschaftsmachenschaften (siehe AfD-Politik) zu unverdientem Wohlstand gekommenen Automobilarbeiter etc. Die Arbeitnehmerschaft streitet u. beim DIW reiben sie sich die Hände. Teile u. herrsche.

    • @Moon:

      "Teile u. herrsche." -



      "Divid(end)e et impera." (Volker Pispers)

  • Das IW wird natürlich von Interessengruppen finanziert, die null am Gemeinwohl interessiert sind und am liebsten gar keine Steuern zahlen würden. Statt ihren angemessenen Beitrag zu leisten stigmatisieren sie alte Menschen in Notsituationen als staatsgefährdende Sozialschmarotzer.

  • Der feine Unterschied zwischen liberalem Weltbild (, das u.a. AfD, FDP, FW, Grüne, und SPD teilen) und neoliberaler Agenda ist, dass die einen konsequent umsetzen wollen, was die anderen in ihren kühnsten Träumen nur denken. Es geht immer mindestens um die Maximierung der Lebensarbeitsleistung eines jeden Einzelnen. Am Ende läuft beides, Liberalismus und Neoliberalismus, auf die totale wirtschaftliche Verwertung von Menschen und Welt hinaus. Es sollte darum niemanden verwundern, dass Vorschläge zur liberalen Genesung der Wirtschaft immer irgendwie an Jonathan Swifts „Modest Proposal, Upton Sinclairs „The Jungle“ und die „Vernichtung durch Arbeit“ des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS erinnern.

    Ohne Ungleichheit und Verteilungskampf, so der liberale Grundgedanke, ist Gesellschaft gar nicht vorstellbar und der eigene Wohlstand gefährdet. Der Gedanke, dass die gewaltige und die Lebensgrundlage gefährdende Überproduktion zum Nutzen aller Menschen nur anders verteilt werden müsste, gilt dagegen als Spinnerei.

  • Bei der Altersdiskriminierung kann man mal von den USA lernen. Die strengen Antidiskriminierungsgesetze verbieten es sogar, das Alter anzugeben oder danach zu fragen. Ohne Kündigungsschutz und ohne Sozialauswahl kann man Ältere auch ohne Bedenken einstellen. Mein ältester Mitarbeiter in Kalifornien war schon 72 als er bei uns angefangen hat (wie er viel später mitteilte, wir wussten ja nicht wie alt unsere Angestellten sind).

  • Nun ja, junge Mensche erhalten meist niedrigere Löhne und Gehälter als Etablierte. Ist das dann Jungen-Diskriminierung?



    Hört man komischerweise nie was!

    • @Tom Farmer:

      Die Jungen sind doch unklug, Solidarität mit älteren Arbeitern gleich null. Heute ist man mit 50 Jahren schon für die meisten Berufe zu alt, da ist kaum mehr jemand an dir interessiert. Die jetzigen Jungen werden bereits mit 40 steinalt sein, zu teuer und langsam für die schöne neue KI Welt. Liebe Jugend, frohes Schaffen!

  • Der Elefant ihm Raum ist tatsächlich das die Firmen einfach extrem ungern ältere Menschen einstellen. Erstens sind sie meistens teurer... Zweitens nicht so formbar. Und später auch wieder schwerer kündbar.

    Aber Fakt ist, die meisten Firmen schwadronieren von Fachkräfte Mangel. Geben älteren aber keine Chance. Und so lange das so bleibt, ist erstens ein späterer Renteneintritt für die meisten Schwachsinn da einfach eine zusätzliche Rentenkürzung. Und zweitens eben die Möglichkeit zu arbeiten deutlich schwerer. Selbst wenn sie wollen und gesundheitlich dazu in der Lage sind.

    • @Duplozug:

      Ab wie viel Ausschreibungen und Besetzungen hast du teilgenommen?

      Wenn eine Stelle ausgeschrieben ist, dann ist auch das Gehalt definiert. Da Gehalt steigt mit dem Marktwert, und der definiert sich über das was man anderswo geboten bekommt.

      Der Mangel bzw. die Inkompetenz ist oft erscheckend. In Zeiten des Bewerbens per Klick wird auf Masse statt Klasse gesetzt. Ausschreibungen fast nicht gecheckt.



      Wir haben einen Maschinenbaustudenten gesucht, sehr gute Deutschkentnisse. Aufgabe: Anweisungen für die Produktion schreiben. Bewerber? Über 100… Ärzte, Sozialarbeiter, Germanisten, etc. Bei den paar Technikern war das Deutsch mehr als mangelhaft. Dazu einige Bewerbungen auf Englisch, ohne Angabe von Deutschkentnissen. Wir haben niemanden gefunden!

      Ingenieursstellen gleiche Katastrophe. Dazu Dinge wie: Handy raus im Gespräch, nicht in der Lage einfache Sachverhalte zusammenzufassen ( als Bachelor!!!), das waren die Jungen.

      Die Alten für die Stelle vollkommen überzogene Vorstellungen vom Gehalt, die gar nicht reingepasst haben( ehemalige Abteilungsleiter auf Sachbearbeiterposition beworben), nicht auf dem Stand der Technik, aber von sich überzeugt, usw.

    • @Duplozug:

      Hast recht. Zu alt, zu teuer und zu erfahren. Auf dem breiten Arbeitsmarkt werden ältere Arbeitskräfte diskriminiert, da fällst du bei der neoliberalen CDU nach 30 Jahren Arbeit nach 1 Jahr in die Existenzlosigkeit. Eine Frechheit!

  • die spinnen, die unternehmerInnen. lieber sollten wir ds geld, das allenthalben in der staatskasse, pflegekasse, krankenkassen usw. fehlt, bei den superreichn holen. die zahlen eh seit zig-jahren zuwenig für die gemeinschaft.



    der vorschlag ist zutiefst asozial.



    die dreht frei, die wirtschaftskumpanei. die glauben wohl, sich angesichts der umfragewerte für schwarz + braun rein alles leisten zu können.



    wird zeit, das die LINKE stärker wird, um diesem und anderen asozalen vorhaben einen riegel vorzuschieben.

  • Wieso sollte ein Arbeitgeber einen seit 13 Monaten arbeitslosen nur deshalb nicht einstellen, weil er kein Arbeitslosengeld bekommt?

  • Die Aktion ist jetzt schon gelungen. Ein perfektes Ablenkungsmanöver vom eigentlichen Problem, der mangelnden Besteuerung und Vermögen und Erbschaften.