Weniger Arbeitslosengeld für Ältere: Neoliberal und unwirksam
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft schlägt vor, älteren Arbeitslosen die Bezüge zu kürzen. Aber das bringt weniger als erhofft.

V ielerorts fehlt das Geld: Krankenkassen haben nahezu keine Rücklagen mehr, die ersten Pflegekassen machen pleite, und auch die Bundesanstalt für Arbeit steht finanziell unter Druck. Wie die Kassen an mehr Geld kommen könnten, um ihre sozialen Leistungen nachhaltig zu gewährleisten, ist die Eine-Millionen-Dollar-Frage. Da erscheint die Idee des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nachvollziehbar, die Länge des Arbeitslosengeldes für Ältere an die Bezugsdauer der Jüngeren anzupassen, nämlich auf ein Jahr. Aktuell können anspruchsberechtigte Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, noch bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen, jene im Alter von 55 Jahren 18 Monate und 50-Jährige bis zu 15 Monate.
In den Augen des arbeitgebernahen IW scheint das ein verzichtbarer Luxus – für gerade mal 85.000 Betroffene – zu sein, weil sie sich nicht so aktiv, wie das wünschenswert wäre, um einen neuen Job kümmerten. Durch verkürzte Arbeitslosenzeiten der Älteren ließen sich 2 Milliarden Euro sparen, rechnet das IW vor.
Das ist zugegebenermaßen eine schöne Summe, mit der man einiges machen könnte. So einfach aber funktioniert das leider nicht. Denn die Älteren kosten ihre Arbeitslosigkeit nicht aus, nein, sie bekommen einfach nicht eher einen neuen Job. Selbst in Zeiten des Fachkräftemangels ist Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt eine alltägliche Erfahrung. Die Unternehmen stellen lieber junge Mitarbeiter:innen ein als jemanden, der oder die schon länger eine Stelle sucht. Nun könnte man entgegenhalten, dass Unternehmen manche ältere Kolleg:innen bitten, noch nicht in Rente zu gehen oder für ein paar Stunden zurück ins Büro zu kommen. Stimmt. Aber diese Älteren waren angestellt, sie sind nicht arbeitslos, das Vertrauen in sie ist schlicht größer.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Der IW-Vorschlag passt zur oft neoliberal agierenden Bundesregierung sowie zum Trend zur Rente mit 70 – und verkennt einen anderen Effekt: Sollten Langzeitarbeitslose infolge gekürzter Leistungen in den Bürgergeldbezug fallen, sinken ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher, als dass sie steigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Normalisierung Israels Gewalt in Gaza
Tödliche Abstumpfung
Debatte um Mindestlohn
Wer beißt in den sauren Apfel?
Protest gegen Alice Weidel
Was der AfD wirklich nützt
Protest beim Sommerinterview mit Weidel
Ein Hoch auf den Zwischenruf
Neue Oper für Hamburg
Kein Applaus für Klaus Michael Kühne
Rassismus im Mietshaus
Wenn der Nachbar rechtsextrem ist