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Transnationale KriminalitätOnlinebetrug als Goldesel von Kambodschas Elite

Die politische Elite ist Experten zufolge mit international agierenden Onlinebetrugszentren verflochten und geht deshalb nicht ernsthaft dagegen vor.

Festgenommene Mitarbeiter eines Betrugszentrums in Phnom Penh, wie sie am 16. Juli von der Polizei präsentiert werden Foto: afp

Chiang Mai taz | Kambodschas Regierung feiert sich dieser Tage selbst für Razzien in den Onlinebetrugszentren des Landes. Bei landesweiten Polizeieinsätzen wurden letzte Woche Tausende Mitarbeiter – darunter viele Chinesen – dieser Betrugsfabriken festgenommen.

Chhay Sinarith vom kambodschanischen Komitee zur Bekämpfung von Technologiebetrug und Yin Guohai gratulierten sich gegenseitig zu dem Erfolg. Yin ist Vize-Generaldirektor von Chinas Kriminalpolizei und versicherte im kambodschanischen Regierungssprachrohr Freshnews, China werde Kambodscha weiter bei der Bekämpfung des „Technologiebetrugs“ unterstützen.

Beobachter bezweifeln jedoch die Ernsthaftigkeit der Razzien, die auf keines der großen Betrugszentren zielten. Sie seien ein Ablenkungsmanöver vom „Goldesel“ der regierenden Volkspartei“ (CPP), schrieb Jacob Sims, Experte für transnationale Kriminalität und Menschenrechte in Südostasien der US-Universität Harvard, auf der Plattform X.

Mittels der Betrugsfabriken bringen kriminelle Banden Menschen in China, Thailand und zunehmend über Asien hinaus durch Onlineglücksspiel, Investitionen in Krypto-Währungen auf Fake-Plattformen oder „Liebesbetrug“ auf Datingseiten um ihr Geld.

Gutgläubige Arbeitssuchende werden in eine Falle gelockt

Arbeitssuchende werden mit dem Versprechen guter Jobs in Arbeitslagern versklavt und unter Gewaltandrohung zum Onlinebetrug gezwungen. Bei Razzien festgenommene Mitarbeiter sind Opfer und Täter zugleich, während Bandenführer Protektion genießen.

Amnesty International zählte in einem Bericht vom Juni 53 Betrugszentren meist in Grenznähe mit der Hafenstadt Sihanoukville als Epizentrum.

Kambodschas Onlinebetrugsmafia geriet zuletzt durch zwei Ereignisse in die Schlagzeilen. Thailands damalige Premierministerin Paetongtarn Shinawatra beschuldigte Kambod­scha, Standort der vermutlich weltweit größten Betrugszentren zu sein.

Damit wollte sie in letzter Minute ihre Suspendierung durch Thailands Verfassungsgericht abwenden. Der 38-Jährigen war ein durchgestochenes Telefonat mit Kambodschas starkem Mann Hun Sen über einen Grenzkonflikt zum Verhängnis geworden, in dem sie sich abfällig über Thailands Militär geäußert hatte.

Betrugsfabriken als profitabler Wirtschaftssektor

Problematischer war für Kambod­scha im Mai ein Bericht von Sims über das Ausmaß der von Kriminellen mit Verbindungen zur chinesischen wie kambodschanischen Führung betriebenen Betrugszentren. Dies habe sich laut Sims seit 2015 in Kambodscha zu einem sehr profitablen Wirtschaftssektor entwickelt.

„Offizielle Schätzungen reichen von 12,5 bis 19 Milliarden US-Dollar pro Jahr, was bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht und die Bekleidungs- und Textilindustrie als den größten formellen Sektor des Landes deutlich übertrifft“, schrieb Sims. Diese „Elitekriminalität“ sei „in der DNA“ der regierenden Volkspartei und „Betrug nur die neueste und profitabelste Variante“.

Thailand spielt auch selbst als Standort einiger Betrugszen­tren, vor allem aber als Transitland für Menschenhändler und sicherer Hafen für Bosse der Branche eine Rolle. Spätestens seit der Entführung eines chinesischen Schauspielers in Thailand Anfang 2025 zur Zwangsarbeit in einem Betrugszentrum in Myanmar drängt China Bangkok zur Bekämpfung des Onlinebetrugs.

Sims ist aber auch überzeugt, dass Peking die südostasiatischen Länder nötigt, unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung die chinesische „Global Security Initiative“ zu akzeptieren. So etabliere China Filialen seiner Sicherheitsorgane in diesen Ländern und schaffe einen Apparat gegen Chinakritiker im Ausland.

Auch Thailands Führung blieb lange untätig

Mitte Juli erließ Thailand Haftbefehl gegen den sino-kambodschanischen Geschäftsmann und Senator Kok An wegen Verdacht des Onlinebetrugs und bat Interpol um Fahndungshilfe. Der 71-Jährige gilt als einer der zehn reichsten Kambodschaner und enger Vertrauter Hun Sens.

Thailands mächtiger Senat forderte zudem von der Regierung mehr „politischen Willen“ im Kampf gegen die Betrugsmafia. Thais würden täglich durch Onlinebetrug um umgerechnet 2,65 Millionen Euro erleichtert, so Senator Nophadol In-na gegenüber Medien.

Matthew Wheeler von der International Crisis Group sieht den plötzlichen thailändischen Aktionismus skeptisch. Bangkok habe zwar bereits vor Ausbruch des Grenzkonflikts mit Kambodscha auf Druck Chinas Maßnahmen gegen Betrugszentren ergriffen, so der Experte zur taz. Doch erst nach Paetongtarns durchgestochendem Telefonat mit Hun Sen habe Bangkok versucht, die internationale Aufmerksamkeit auf Kambodschas Betrugszentren und seine Komplizenschaft damit zu lenken.

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3 Kommentare

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  • Was ich durch asiatische Zeitungen so mitbekommen habe, läuft zwischen den Nachbarstaaten ein intensives "blame game", um von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Seit Monaten kann dies am Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha verfolgt werden. Wortschöpfungen wie "Scambodia" tragen auch nicht gerade dazu bei, den Konflikt auf eine rationale diplomatische Ebene zu bringen.



    Nun kennen wir dieses Spiel aber auch aus westlichen Demokratien (auch schon vor Trump), weshalb asiatische Länder auch in diesem Fall nun nicht unbedingt darauf warten, objektive Erleuchtung aus dem Westen zu bekommen. Ich kann diese Arbeit des Sim Reports in keiner Weise beurteilen. Aber in einer Zeit in der das "Auffinden chinesischer Hintermänner" sehr gelegen kommt, hat eine US-amerikanische Studie, über X verbreitet, es schwer die Massen zu erreichen. Vor allem wenn das Land der "Hintermänner" der grösste Handels- und Investitionspartner ist.



    Es spielen sich dort menschliche Tragödien ab, die aus meiner unbedeutenden Sicht nur durch die Zusammenarbeit der ASEAN Staaten reduziert werden können, solange wir diese Länder wirtschaftlich unter Druck setzen.

  • Ich denke nicht, dass es nötig ist dieses entwürdigende Foto von Menschen, die, wie es im Artikel ja korrekt beschrieben ist, selbst Opfer sind, zu verbreiten.

  • Ergänzend dazu gibt es in der ARD Audiothek dazu einen sehr guten Podcast unter dem Titel House of Scam: www.ardaudiothek.d...:2e03fce3739ab514/.