Prozess gegen Querdenken-Gründer: Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft
Die Staatsanwaltschaft sieht den Querdenker-Chef Michael Ballweg des versuchten Betrugs in 9.450 Fällen schuldig. Die Verteidigung fordert Freispruch.

2020 war Ballweg bei den Coronaprotesten schnell zur Gallionsfigur geworden. Er hatte zunächst Demonstrationen in Stuttgart organisiert, später die Bewegung aus Coronakritikern und -leugnern, Reichsbürgern und QAnon-Anhängern bundesweit vernetzt. Nach Zeugenaussagen in dem Prozess sind alle finanziellen Vorgänge über Konten gelaufen, die allein Ballweg kontrollierte. Zudem habe er über das von ihm erstellte einheitliche Corporate Design gewacht, Demo-Organisatoren mussten ein Starterkit bei ihm erwerben. Ballweg habe vom Verkauf von Merchandising-Produkten profitiert.
Ab Mai 2020 habe er auf Demonstrationen dann gezielt um Schenkungen geworben. Diese sollten nach seinen Angaben der Bewegung zugutekommen. Ballweg beteuerte stets, ehrenamtlich zu arbeiten. Die Staatsanwaltschaft hält das für eine Lüge. Akribisch listete sie in ihrem Plädoyer Kontobewegungen auf, darunter über 15.000 Euro an die Stiftung der Familie, die nur zum Vermögenserhalt der Ballwegs bestand. Auch eine Schneiderin, die Ballwegs Wanderhosen gekürzt hat, sei über das Querdenken-Konto bezahlt worden.
Ballwegs Verteidiger verlangten dagegen Freispruch und Entschädigung für 279 Tage Untersuchungshaft, die Ballweg abgesessen hat. Sein Anwalt Reinhard Löffler, der auch für die CDU im Landtag sitzt, sagte mit Blick auf die staatlichen Coronamaßnahmen 2020 und 2021: Manchmal brauche es „Menschen wie Ballweg, die dem Staat die Stirn bieten“. Er habe weder Querdenken zum Geschäftsmodell gemacht, noch bewusst versucht, Steuern zu hinterziehen. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestünden aus „Vermutungen, Spekulationen und Unterstellungen“.
Richterin regte Verständigung an
Es kommt nicht oft vor, dass diametral unterschiedliche Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und der urteilenden Kammer so offen ausgetragen werden. Zunächst hatte das Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht in vollem Umfang zugelassen. Den Vorwurf der Geldwäsche musste diese fallen lassen.
Während des Verfahrens dann hatte die Vorsitzende Richterin Julia Weiß immer wieder eine Verständigung der Parteien angeregt. Nach der Beweisaufnahme sah das Gericht keinen Betrug und höchstens eine geringfügige Schuld beim Vorwurf der Steuerhinterziehung. Dass Ballweg die Gelder tatsächlich für private Zwecke verwendet habe, sei nicht nachweisbar.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verständigung immer wieder abgelehnt, zuletzt Mitte Juli. Auch am letzten Prozesstag hielt sie in vollem Umfang an ihren Vorwürfen fest. Die Einschätzung der Kammer nannte sie „unverständlich“. Ballweg habe Schenker über die Verwendung des Geldes getäuscht und Geldflüsse ganz bewusst verschleiert. „Querdenken 711“ sei zumindest auch ein Geschäftsmodell gewesen. „Ballweg wollte dem Staat, den er ablehnt das Geld vorenthalten“ – das habe er in einem Videokanal offen zugegeben.
Kritik auch an der Verteidigung
Parallel zum Verfahren orchestrierten die Anwälte mit Videos und Einträgen in sozialen Netzwerken das Verfahren für Ballwegs Anhänger. Die Staatsanwaltschaft kritisierte dies in ihrem Plädoyer scharf. Die Verteidigung sei sich nicht zu schade gewesen, Verschwörungstheorien zu verbreiten und Ermittlern wie Staatsanwälten eine persönliche Agenda zu unterstellen.
Die Verteidiger wiesen die Vorwürfe zurück und gaben sich siegesgewiss. Immerhin stellte Ballwegs Rechtsanwalt Ralf Ludwig, selbst führender Kopf der Bewegung, mit Blick auf die zahlreichen Querdenken-Anhänger im Zuschauerraum klar: „Das Verfahren war nicht politisch.“ Sein Mandant Ballweg sieht das ganz offensichtlich anders. „Das Verfahren war von Anfang an politisch“, sagte er in seinem Schlusswort. Das Urteil wird bis zum 31. Juli erwartet.
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