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Was sorgt für Frieden?Pazifismus im Kreuzfeuer

Abrüstungsbefürworter sind innerlich zerrissen. Einige zweifeln, ob ihre Ideen noch zeitgemäß sind, andere protestieren gegen die Wehrpflicht.

Rund 50 Jugendliche von der „Jugendkommune Berlin“ protestieren 2024 in Kreuzberg gegen die Wiedereinführung des Wehrdienstes Foto: Florian Boillot

„Wozu sind Kriege da?“ Diese naive Frage war der Refrain eines Rocksongs von Udo Lindenberg und des zehnjährigen Pascal Kravetz, der 1981 zur Hymne der westdeutschen Friedensbewegung werden sollte. Über 45 Jahre später zweifelt Lindenberg am Pazifismus. „In dieser verirrten Schwachmaten-Welt stellt man sich plötzlich die bange Frage: Brauchen wir doch ein starkes Militär?“, sagte der ­78-jährige Künstler in einem Interview dem Stern.

Dabei ist Lindenberg auch im Alter keineswegs zum Militaristen geworden. „Die Frage, wie wir unsere freie Welt noch retten können und ob Worte und Songs und Kunst und Demos dafür ausreichen, oder ob wir uns tatsächlich auch militärisch wappnen müssten, tut meiner Pazifistenseele sehr weh und lässt mich manchmal gar nicht schlafen“, sagt Lindenberg. Es ist eine innere Zerrissenheit, die viele Menschen umtreibt, die über Jahrzehnte für Abrüstung und Antimilitarismus eingetreten sind und sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fragen, ob ihre pazifistischen Ideale noch zeitgemäß sind.

Doch es melden sich auch verstärkt Menschen zu Wort, die in Zeiten, in denen massive Aufrüstung und gar die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert wird, zivile Alternativen einfordern. Dazu gehört Wolfram Beyer von der Internationale der Kriegs­dienst­geg­ne­r*in­nen (IDK). Beyer wurde Anfang der 1970er Jahre auf die vielen jungen Männer aufmerksam, die nach Westberlin zogen, um der Wehrpflicht in der alten BRD zu entkommen.

Auch sein Cousin gehörte dazu. „Dieser Wehrpflichtentzug erschien mir menschlich plausibel und politisch gerechtfertigt. Erst später festigte sich dies in meiner politischen Haltung, nämlich der Ablehnung von sämtlichen Kriegsdiensten, und ich wurde aktiv in der Westberliner Beratung für Wehrpflicht-Flüchtlinge aus der alten BRD“, sagt Beyer der taz.

Seine antimilitaristische Sozialisation ist für ihn aktuell um so wichtiger. „Mit der Erklärung der „Zeitenwende“ und den Diskussionen um die Kriegsfähigkeit haben wir in der IDK verstärkt unsere Beratungsstrukturen aufgebaut. Allein in Berlin berät die IDK an vier Standorten und an einigen anderen Orten in der Republik“, betont Beyer. Bei der Verteidigung der Rechte von Kriegs­dienst­ver­wei­ge­r*in­nen kooperiert die IDK mit der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegs­dienst­geg­ne­r*in­nen (DFG-VK).

Vorsichtig optimistisch

Die älteste Friedensorganisation Deutschlands stellte ihren Bundeskongress im Juni 2025 in Kassel unter das Motto „Verweigert“. „Auf unserem Kriegsdienstverweigerungs-Kongress haben wir den neuen Wehrdienst als Teil der Gesamtaufrüstung eingeordnet und diskutiert, wie wir dem politisch aber auch direkt in Form von Verweigerungsarbeit begegnen“, sagt der politische Geschäftsführer der DFG-VK, Michael Schulze von Glaßer, der taz. Er betont, dass die Rechte der Ver­wei­ge­r*in­nen global unterstützt werden müssten.

„Wir setzen uns dafür ein, dass niemand die Waffe gegen einen anderen Menschen erhebt – ganz nach dem Motto ‚Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin‘. Die DFG-VK unterstützt bereits jetzt Menschen in Deutschland, die den Kriegsdienst verweigern, setzen sich aber auch für Ver­wei­ge­r*in­nen und De­ser­teu­r*in­nen aus Russland, der Ukraine und vielen anderen Ländern ein“, beschreibt von Glaßer die Aktivitäten seiner Organisation.

Dabei äußert er sich vorsichtig optimistisch über die antimilitaristische Perspektive. Er verweist darauf, dass mit der Interventionistischen Linken eine der größeren Bündnisorganisationen in der außerparlamentarischen Linken den Antimilitarismus zu ihrem neuen Hauptthema gemacht habe. „Zudem gründen sich gerade viele kleine, lokale Gruppen gegen die Reaktivierung der Wehrpflicht – vor allem junge Menschen sind dort organisiert“, so Schulze von Glaßer.

Das Argument, dass man mit der Aufrüstung das Putin-Regime von weiteren Angriffen abhalten wolle, überzeugt den Antimilitaristen nicht. „Wir befinden uns in einer Rüstungsspirale, die uns im besten Fall in die Armut treibt, im schlechtesten Fall in einen Weltkrieg“, so seine Befürchtung.

Gewaltfreier Widerstand in der Ukraine

Er verweist darauf, dass selbst zur Hochzeit des Kalten Krieges internationale Abrüstungsverhandlungen geführt wurden und in den 1980er Jahren der INF-Vertrag beschlossen wurde, der atomare Kurz- und Mittelstreckenwaffen aus Europa verbannte.

„Wir haben es eben schon mal geschafft, solche Verträge zu schließen – machen wir es wieder“, setzt sich von Glaßer für eine neue Entspannungspolitik ein. Er beklagt, dass in Deutschland kaum bekannt sei, dass es in der Ukraine auch gewaltfreien, zivile Widerstand gegen den russischen Einmarsch gab.

Auch Lou Marin betont im Gespräch mit der taz, dass die Rolle des zivilen Widerstands gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine weitgehend unterschätzt werde. „Der große Panzerkonvoi nach Kyjiw zu Beginn des russischen Einmarsches kam auch aufgrund von Sabotageaktionen russischer Soldaten in den Panzern und Transportern und wegen des unbewaffneten Widerstands der ukrainischen Bevölkerung zum Stehen“, betont Marin. Erst nach dem Scheitern des Marsches auf Kyjiw sei der russische Angriff auf die Ostukraine erfolgt.

Marin gibt im Verlag Graswurzelrevolution Schriften zur Theorie und Geschichte der zivilen gewaltfreien Verteidigung heraus. Im letzten Jahr hat er unter dem Titel „Menschen retten“ zusammen mit Barbara Pfeiffer ein Buch veröffentlicht, in dem Beispiele von zivilem Widerstand während des Nationalsozialismus dokumentiert sind.

Damit wurde in Bulgarien, Dänemark und Frankreich die Deportation jüdischer Menschen in die NS-Vernichtungslager verhindert. Marin sieht die Propagierung und die Umsetzung von Konzepten des zivilen Widerstands als Alternative zu immer mehr Waffenlieferungen in die Ukraine. Er ist überzeugt, dass damit auf beiden Seiten Menschenleben gerettet würden.

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9 Kommentare

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  • Neben den "pazifistischen Idealen" gibt es ja auch noch die christlichen Ideale. Diese werden ja besonders von Parteien mit dem C im Namen hochgehalten, oder? "Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen." (Mt 5,38) . "Steck dein Schwert weg! Wer Gewalt anwendet, wird durch Gewalt umkommen. " (Mt 26, 52). Als sich christlich bezeichnender Staat, sollten wir diese Anweisung der Bibel für ein gelingendes Leben nicht aus den Augen verlieren.

    • @Reinhard Muth:

      Wir sind KEIN sich als christlich bezeichnender Staat.

      Viele der Werte, die unser Grundgesetz bestimmen und die Regeln, zu deren Einhaltung wir uns verpflichtet haben, entstammen einem Ethikverständnis, das man durchaus als erheblich vom Christentum beeinflusst betrachten könnte. Aber das war's - nennt man Säkularismus.

      Also nein, Bibelzitate haben (auch für Parteien mit "C" im Namen) keinen Vorschriftscharakter.

  • Ich verstehe ja, dass die westdeutschen Schönwetterpazifisten um ihr Lebenswerk bangen. Sich die Lebenslüge einzugestehen dass man im ideologischen Kern, eigentlich eine egoistisch-libertäre und kleine links-solidarische Sicht vertritt, ist natürlich extrem schwierig.

    Damals war es ja auch so schön einfach: Der Ostblock war sozialistisch = links = gut. Der Westen hingegen kapitalistisch = rechts = schlecht. Die Ablehnung des (westlichen) Militärs konnte somit sehr einfach aus dem politischen Weltbild abgeleitet werden.

    Bei uns im Osten sah das schon anders aus. Da galten Pazifisten als konterrevolutionär, da es offensichtlich war, dass der Sozialismus nur mit Waffen gegen den Faschismus verteidigt werden konnte.

    Zum zivilen Widerstand: Das sollte man sich nicht schönreden. Bereits bei jeder kleinen Demo oder Blockade kann man sehen, wie schnell sich (gegenseitige!) Gewalt entwickelt. Radikaler Pazifismus ist dabei eine Verliererstrategie, die man sich nur aus einer extrem überlegenen Position leisten kann. Und genau hier liegt meiner Meinung nach der Kern des westlichen Pazifismus: Chauvinismus und Arroganz, moralische Überheblichkeit.

  • Woran mag es nur liegen, dass man vom zivilen Widerstand in der Ukraine so wenig hört...



    Wenn man von zivilem Widerstand hört, dann in Unterstützung der Streitkräfte durch Tarnnetze knüpfen, Borscht kochen und andere Dienste. Da kann man sich als Pazifist trefflich engagieren. Sogar von Deutschland aus.

  • ‚Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin‘



    es gibt inzwischen eine Antwort:



    ‚Stell dir vor es ist Abrüstung und einer macht nicht mit‘

    Beides ist gleichzeitig wahr. In den Diskussionen über Pazifismus wird aber oft weggelassen (meist von Kritikern), dass Abrüstung beidseitig sein muss.

    Abrüstung ist offensichtlich für die Menschen in allen Ländern von Vorteil, weil damit viel Geld für anderes als Rüstung genutzt werden kann. 3% BIP mehr für Bildung würde allen nutzen.

    Aber das geht nur, wenn alle mitmachen, und es braucht Überzeugungsarbeit nicht nur bei den Menschen im eigenen Land, sondern auch bei denen in jedem anderen. Damit *nirgendwo* ein Militarist ein anderes Land überfallen kann, weil die Leute ihn nicht an die Macht lassen oder nicht mitmachen.

    Solange das nicht erreicht ist, müssen die Armeen aller dem Krieg abgeneigten Länder zusammen stark genug sein, dass kein Militarist in anderen Ländern sie einfach überrennen kann.

  • Zerrissenheit, Nachdenklichkeit und Grautöne gehören zum Leben wie das Fragezeichen.



    Kann ein Gegenhalten gegen Putins militärischen Revisionismus sehr sinnvoll sein, um weitere Kriege zu vermeiden? Vermutlich, denn das ist nicht mehr Breschnews stabile Behäbigkeit.



    Hilft zugleich ein Denken in Friedenszielen, in innerer Enthaltsamkeit von ideologischer Brandrede ("der Russe" etc.) uns? Dass Dauer-Krieg à la Netanyahu keine Lösung ist? Vermutlich auch.

  • So lange es Menschen gibt, gibt es auch Krieg! Das wird sich nie ändern

  • Ich verstehe die Argumentation leider nicht ganz.

    Im Artikel wird beschrieben, dass es in der Ukraine bereits zivilen Widerstand gibt. Am Ende wird er dann aber als Alternative genannt, die helfen könnte. Wenn es aber schon zivilen Widerstand gibt, dann gibt es ihn doch schon.

    Ich halte es auch für bedenklich, von den Menschen in der Ukraine zu fordern, ihr Leben ohne Waffen aufs Spiel zu setzen, nur damit dann was genau passiert? Massaker an der Zivilbevölkerung?

    Ja, ziviler Widerstand ist immer ein Teil des Widerstands im Krieg. Aber doch nicht losgelöst als einziges Mittel.

    Ziviler Widerstand bedeutet, dass Zivilisten am Ende ihr Leben riskieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet werden von Soldaten, die sich nicht um Völkerrecht kümmern.

    Im Iran sieht man sehr gut, wie ziviler Widerstand seit Jahrzehnten leider nicht funktioniert sondern zu immer mehr Verbrechen durch das Regim führt.

    Die Tatsache auszublenden, dass das Gegenüber möglicherweise rücksichtslos von der Waffe Gebrauch macht, ist für mich der Denkfehler in dieser Argumentation.

  • "Erst nach dem Scheitern des Marsches auf Kyjiw sei der russische Angriff auf die Ostukraine erfolgt."

    Also hat Sabotage und ziviler Widerstand zur Vollinvasion geführt. War also nutzlos.

    Wolfram Beyer weiß wohl nicht, was mit zivilem Widerstand in Russland passiert.

    Wie realitätsfern kann man sich die Welt eigentlich denken?