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Epstein-AffäreUltimativer Sündenpfuhl

Eine Freigabe der Ermittlungsakten in der Causa Epstein steht weiter aus. Anstatt Licht in die Affäre zu bringen, werden immer neue Mythen verbreitet.

Das ehemalige, abgerissene und wiederaufgebaute Domizil des J. Epstein in Palm Beach Foto: Marco Bello/Reuters

I ch kenne Jeffrey Epstein. Nicht persönlich, umso besser. Vor etwa acht Jahren habe ich während der Recherche für den Roman „Doppelte Spur“, der sich mit Donald Trump, Wladimir Putin und den Grauzonen zwischen Verschwörung und Verschwörungstheorie beschäftigt, fast alles über Jeffrey Epstein gelesen, was im Internet zu finden war. Es ergab sich ein grausig- bizarres Bild und zugleich eine faszinierende Moritat über das perverse Ökosystem der nahezu allmächtigen Überreichen und Oligarchen.

Ein beispielhaftes Versagen der Justiz und ein herzzerreißender Skandal angesichts all der missbrauchten Mädchen und jungen Frauen, denen keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Am Ende legte ich eine Liste an mit den Namen all der prominenten Männer, die privaten sowie professionellen Umgang mit Epstein hatten, sei es auf seiner Insel und in seinem Privatflugzeug, in seiner Villa in Florida, seiner Ranch in New Mexiko oder seinem Stadthaus in Manhattan.

Schließlich blickte ich auf ein veritables Who is Who, darunter Präsidenten von Staaten und Universitäten, Prinzen und Professoren. Die wenigsten Namen musste ich googeln. Einer aus diesem Freundeskreis war Donald Trump. Wenig erstaunlich, dass sich das Misstrauen gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Eliten an diesem Fall entzündete, der in der Folge von der MAGA-Bewegung massiv instrumentalisiert wurde. Nicht nur rhetorisch bei Wahlkampfreden, sondern auch ökonomisch.

Der windige Finanzier Epstein war ein gefundenes Fressen für eine dubiose Truppe von Verschwörungsgewinnlern, die schneller als die BILD-Zeitung erkannte, dass sich der Cocktail aus Korruption + Missbrauch + Privatinsel + Privatjet erheblich besser verkauft als Nahrungsergänzungsmittel oder Werde-schnell-reich-Tipps. Statt Vitaminpräparate und Kryptowährungen zu verschachern, waren just die zwei heute dem FBI vorstehenden Männer eifrig beteiligt am Epstein-Skandalgeschäft.

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Lukrative Einnahmen

Kash Patel, der im Sumpf stets am lautesten unkt, forderte wöchentlich die Entlarvung der Mitverschwörer, denn die Epstein-Akten seien der „ultimative Beweis für kriminelle Machenschaften der Elite“. Und sein Stellvertreter Dan Bongino, ein MAGA-Medienstar, hat nun erhebliche Schwierigkeiten, sein einst hysterisches Narrativ den veränderten realpolitischen Notwendigkeiten anzupassen.

Die offensichtliche Vertuschung im Sinne einiger der mächtigsten Menschen der USA (weiterhin bleiben viele Fragen über das weitreichende Netzwerk von Epstein und den darin Verstrickten unbeantwortet) stellte sich für unzählige Podcasts und Blogs als eine wahre Goldgrube an Phantasmagorien heraus. In einem derart gewinnbringenden Kreislauf werden schmutzige Geschäfte medial noch schmutziger gewaschen.

Viele profitieren davon, so auch (indirekt) die Justizministerin: Pam Bondi verdient saftig an ihrer Beteiligung bei Truth Social, der Social-Media-Plattform der Trump Media & Technology Group (TMTG). Als juristische Beraterin erhielt sie Aktien und Optionsscheine, die im Dezember 2024 einen Wert von über 3,9 Millionen Dollar hatten. Im April 2025 verkaufte Bondi an einem einzigen Tag TMTG-Aktien im Wert von 1 bis 5 Millionen Dollar.

Der Gewinn aus solchen Verkäufen wird nie präzise angegeben, sondern als Spanne eines möglichen Werts. Reihum Reibach für Trumps Lobbyistin. Seit Epsteins „angeblichem“ Suizid im Jahre 2019 hat das Justizministerium die Akten zu diesem Fall unter Verschluss gehalten. Und nun, nach eingehender Prüfung der Unterlagen auf ihrem Schreibtisch, verkündet die Justizministerin, dass es diese Akten nicht gibt. Gemäß solcher Logik würde die Obduktion feststellen, dass die Leiche gar nicht existiert.

Verschwörung am helligten Tage

Was für ein Affront gegen die MAGA-Bewegung, nicht etwa wegen Lügen und offenkundiger Inkompetenz, sondern weil ihr der Sauerstoff entzogen wurde, mit dem sie Verschwörung einatmet und Verschwörungsgespinst ausatmet. Besonders bei dieser Groteske aus den höchsten Kreisen von Politik, Finanzen und Wissenschaft ist, dass sie nicht als Kabale munkelnd im Dunkel stattgefunden hat, sondern – und das ergab eine einfache Internet-Recherche –, im gleißenden Licht des helllichten Tages.

Ganz anders als bei früheren Verschwörungen, wie etwa Ablenkungsmanöver mit Außerirdischen. Wie das Wall Street Journal im Juni publizierte, wurde die UFO-Mythologie durch handfeste Desinformation des Pentagons angeheizt. Das US-Militär fabrizierte Beweise für außerirdische Technologie und streute Gerüchte, um die eigenen Waffenprogramme geheimzuhalten.

In den 1980er Jahren verteilte ein Oberst der Air Force gefälschte Fotos von „fliegenden Untertassen“ an einen Barbesitzer in der Nähe des geheimen Stützpunkts Area 51 in Nevada, der sie eifrig verbreitete, um die Tarnkappenflugzeuge, etwa den F-117 Nighthawk Jet, zu verheimlichen. Um die gegenwärtige Aufregung zu begreifen, muss man sich den Hauptunterschied zwischen linker und rechter Systemkritik vor Augen führen.

Während der linke Blick die systematischen Privilegien im Rechtssystem und den Modus Operandi von Macht und Herrschaft analysiert, um eine zutiefst ungerechte Welt zu erklären, benötigen die Rechten in ihrer gegenwärtigen Psychotisierung ein Spinnennetz düsterer Mythen. Eine gängige Definition behauptet, eine Verschwörungstheorie entsteht, wenn machtlose Menschen der frustrierenden Welt einen Sinn zu geben versuchen, indem sie eine Geschichte (weiter)spinnen, die ihnen ein Gefühl der Orientierung im Labyrinth der Welt vermittelt.

Und da beim Epstein-Fall so viel von dem Skandal sichtbar war, muss noch viel mehr unter der Oberfläche verborgen sein. Deswegen ist dies der ultimative Sündenpfuhl und der heilige Ritter Trump entzaubert, wenn er just vor dieser Prüfung kneift. Um Theodor Adornos berühmtes Verdikt zu paraphrasieren: „Der Verdacht, dass die Verschwörung, die man serviert hat, nicht jene sei, für die sie sich ausgibt, wird wachsen.“

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ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. 2023 ist sein aktueller Roman „Tausend und ein Morgen“ bei S. Fischer erschienen und druckfrisch im Handel: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“ im Verlag Andere Bibliothek.  
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15 Kommentare

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  • "Schließlich blickte ich auf ein veritables Who is Who, darunter Präsidenten von Staaten und Universitäten, Prinzen und Professoren. Die wenigsten Namen musste ich googeln. Einer aus diesem Freundeskreis war Donald Trump."

    Erinnert ihr euch noch, wie es vor der ersten Wahl hieß, Trump sei ja so anders als Politiker?

  • Danke für den aufschlussreichen Artikel.

    Für solche Artikel lohnt es sich regelmäßig die TAZ finanziell zu unterstützen.

  • Was für ein komisches Geraune um Verschwörungstheorien!



    Was soll das denn? Der Fall Epstein ist ein Skandal, der aufgeklärt gehört! Und es wäre auch nicht schlecht, wenn man wüsste, wer durch die dort erstellten Videoaufnahmen erpressbar war und wahrscheinlich auch noch ist. Vielleicht kann man dann so manche Entscheidung besser einordnen.

  • Ganz wunderbarer Artikel über die Epstein-Affäre, die Doppelmoral und die Bigotterie der MAGA-Bewegung und Trumps Präsidentschaft. Mit "Ultimativer Sündenpfuhl" ist das Ganze treffend betitelt. Danke dafür.

  • Sehr informativ, Danke !

  • Seine Generalstaatsanwältin Bondi hat Trump schon vor 2 Monaten darüber informiert, dass sein Name mehrfach in den Dokumenten Epsteins auftaucht

    edition.cnn.com/20...epstein-list-files

  • Die für manch schlichtes MAGA-Gemüt bittere Erkenntnis: Trump und seine Spießgesellinnen und -gesellen sind alles andere als außerhalb des Systems Stehende. Natürlich hat der Orangene bei allen Sauereien, die man heute vor allem den Demokraten anhängen will, mehr als kräftig mitgemischt. Was genau da noch aus dem Epsteintümpel auftaucht ist unabsehbar. Vielleicht bringt Trump am Ende seine Hybris zu Fall: der Versuch, auch diese Sache durch dreisteste Lügen für sich zu nutzen kann sich am Ende gegen ihn richten. Auch wenn er (zumindest für seine Anhänger) längst jenseits aller halbwegs nachvollziehbaren moralischen und rechtlichen Maßstäbe unterwegs ist, vielleicht ist auch bei ihm irgendwann das Maß voll.

  • Na und? Das Theater soll doch gerade dazu benutzt werden, die Macht der real Herrschenden dem Publikum vorführen. Die Leute sollen spüren, wer "oben. auf" ist.



    Schamloses Machtgebahren ist hier ein Instrument der Herrschaftssicherung. Abschreckung durch demonstrative Ruchlosigkeit.

  • Ich frage mich, warum die Biden Regierung die Dokumente nicht freigegeben hat. Zeit genug war ja. Sich jetzt hinzustellen, und die Trump Regierung zu beschimpfen, ist heuchlerisch. Ich bin mir sicher, dass auf dieser angeblich nicht vorhandenen Liste Politiker und Anhänger beider Parteien stehen.

    • @Ahnungsloser:

      Mit Sicherheit.



      Bill Clinton zum Bsp.



      Es gab ja schon seine Gründe warum Epstein nicht schon viel früher verurteilt wurde.



      Vor Gericht war er schon längst, die selben Vorwürfe, erdrückende Beweislast und was war das Resultat?

    • @Ahnungsloser:

      Anders als Trump hatte Biden (oder sonst jemand bei den Demokraten) nicht im Wahlkampf auf buchstäblich jeder Wahlkampfveranstaltung versprochen, die Epstein-Dokumente zu veröffentlichen.

    • @Ahnungsloser:

      Der Fall Epstein war unter der ersten Trump Regierung aktuell.

      • @Minelle:

        Schon klar. Zwischen der 1. und jetzigen Regierung gab es aber eine demokratische Regierung. Da hätte man aktiv werden können, wenn man gewollt hätte.



        Unabhängig davon, ob man was im Wahlkampf versprochen hat oder nicht. Wir reden hier über Pädophilie.



        Es sollte im Interesse aller sein, das aufzuklären.

  • Lesetipp ansonsten: Noam Chomsky, der die Machtmechanismen von US-Staat und großem Geld trocken aufzählt.

    Wie groß kann kognitive Dissonanz noch werden, das ist ansonsten das Experiment der Rechtsrabiaten in den USA gerade? Ab wann bricht die Vergötzung einer Person zusammen?

    • @Janix:

      Wenn die Person nicht mehr benötigt wird, es geht ja nicht um die Person selbst, sondern wofür sie steht.