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Wirtschaftsministerin Katherina ReicheIm Klassenkampfmodus

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche erscheint schon nach kurzer Amtszeit als Fehlbesetzung. Sie bringt selbst die eigenen Reihen gegen sich auf.

Wann begreift Merz, dass Reiche ein Problem ist? Foto: Kay Nietfeld/dpa

N ahezu jede Woche haut Bundeswirtschaftsministerin ­Katherina Reiche eine neue Provokation raus. Die Christdemokratin will mehr fossiles Gas, grünen Wasserstoff würgt sie ab. Den Erzeugern von Wind- und Solarstrom möchte sie spezielle Kosten aufhalsen und noch etliches mehr unternehmen, um die Energiewende auszubremsen.

Jetzt hat sie einen Generalangriff auf die Lebens- und Jahres­arbeitszeiten in Deutschland gestartet. Denn die Beschäftigten arbeiteten ihrer Meinung nach zu wenig. Reiche funk­tio­niert ihr Haus zum Kultur- und Klassenkampfministerium um. Damit hat sie die Rolle der Störgeräuschproduzentin in der Regierung übernommen, die früher FDP-Mann Christian ­Lindner innehatte. Der Unterschied: Lindner konnte nur blockieren, Reiche kann viel zerstören.

Bei ihrem Kreuzzug gegen die Energiewende wird die Ministerin auf Widerstand stoßen, und das nicht nur auf den, der von der Lobby der erneuerbaren Energien zu erwarten ist. Die Interessenlage ist komplex, auch konven­tio­nelle Energiekonzerne setzen längst auf Wind- und Solarkraft und wollen Planungssicherheit – die die Ministerin immer wieder infrage stellt. Sich angesichts dessen ohne Not noch mit anderen Seiten anzulegen, zeigt ein bemerkenswert aggressives missionarisches Sendungsbewusstsein.

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Mit ihrer jüngsten Provokation zur Arbeitszeit bringt Reiche nicht nur Gewerkschaften und Sozialverbände in Rage, sondern auch den Ar­beit­neh­mer:in­nen­flü­gel der Union. Dass die Par­tei­freund:in­nen eine Ministerin öffentlich als Fehlbesetzung bezeichnen, wie es der CDA-­Vizechef Christian ­Bäumler im Falle Reiches getan hat, ist mehr als ungewöhnlich. In Regierungszeiten, vor allem wenn sie erst begonnen haben, wäre absolute Parteiloyalität üblich.

Nicht nur für Friedrich Merz sollte es ein Alarmzeichen sein, dass seine Wirtschaftsministerin auch in den eigenen Reihen so schnell an Rückhalt verliert und als dysfunktional wahrgenommen wird. Auch die SPD-Spitze muss sich fragen, ob sie diese Form des Klassen- und Kulturkampfs weiterhin widerspruchslos hinnehmen kann.

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Anja Krüger
Parlamentskorrespondentin
Schwerpunkte Wirtschaft- und Energiepolitik
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4 Kommentare

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  • Ja gut, aber wer sollte stattdessen das Wirtschaftsministerium übernehmen?

    Die Union hat vor und selbst noch nach der Wahl lange potentielle Kandidatinnen gesucht. Erfolglos.



    Da CDU/CSU jedoch im Wahlkampf ihre Wirtschaftskompetenz massiv beworben haben, konnten sie das Ministerium nicht an die SPD geben.

    Reiche ist eine Notbesetzung. Die Union hat schlicht keine Experten für Wirtschaftspolitik. Deswegen wird Reiche bleiben und Rückhalt bekommen, ganz gleich was sie sagt oder tut.

  • Eigentlich istvder Kommentar Ausdruck eines nicht enden wollenden Strukturkonservativismus.mBitte nichts änder und alle Sozialleistungenbehalten und worklive Balance ausbaue. Dazu natürlich Respektlöhne allerorten. Dumm nur, dass Deutschland mit seiner Exportabhängigkeit seine Produkte halt verkaufen muss und unter Konkurrenzstress steht….Wenn das nicht klappt wird alles über Schulden finanziert…Deshalb Reform der Schuldenbremse. Bei Albanien nannt man das vor30 Jahren Hütchenspiel…

  • Die Augen verschließen und jammern hilft nicht und macht es für die junge Generation schlimmer. Man sollte das gesamte Sozielversicherungssystem komplett neu aufsetzten. Es ist ein unding dass die Angestellten sowohl das Krankensystem als auch das Rentensystem tragen mussen auch für die die nie oder wenig eingezahlt haben (Bürgergeld, ...). Die Soziallast muss auf alle verteilt werden (Beamte, Unternehmen, ...) und bei einer alternden Gesellschaft muss man auch länger arbeiten. Wer jetzt mit dem Maurer kommt sollte sich schämen. Wenn jemand arbeitsunfähig ist kann er wie jetzt auch schon in Frührente. Und das soll auch so bleiben. Vor 50 Jahren hat man 5 Jahre für 1 Rentenjahr gearbeitet. Jetzt sind es nur noch 2 Jahre. Das System muss kollabieren!

  • Die Vorschläge zu einer längeren "Lebensarbeitszeit" kommen fast nur von Leuten, die finanziell so gestellt sind, dass frei entscheiden können, wann sie mit Arbeiten aufhören. Sofern sie überhaupt jemals wirklich gearbeitet haben. Und natürlich sind diese Leute außerhalb des Systems, über das sie ständig schwätzen.