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Angekündigte Wahlen in SyrienManifestation der Macht

Julia Neumann
Kommentar von Julia Neumann

Die angekündigten Wahlen in Syrien stehen auf undemokratischer Grundlage. Für die Befriedung des Landes dürfte das nicht hilfreich sein.

Ahmad al-Scharaa, kurz bevor er im Januar 2025 Präsident von Syrien wurde Foto: Fadel Itani/UPI/imago

D ie syrische Übergangsregierung hat Parlamentswahlen für September angekündigt. Doch es werden nicht die demokratischen Wahlen sein, auf die Sy­re­r*in­nen hoffen. Der selbsternannte Präsident Ahmad al-Scharaa hat sich einen undemokratischen Clou ausgedacht: Er bestimmt ein Drittel der 210 Abgeordneten direkt. Die restlichen zwei Drittel sollen durch einen Wahlausschuss bestimmt werden. Ein Präsidialdekret soll über das vorübergehende Wahlsystem und den Wahlausschuss entscheiden. Zurzeit gilt noch eine Art Übergangsverfassung – die dem Präsidenten sehr viel Macht zugesteht.

Politische Bewegungen stehen bereit, doch es gibt noch kein Parteiengesetz. All das manifestiert die Macht der ehemaligen HTS-Mitglieder. Dass die es mit demokratischen Wahlen nicht so haben, zeigen Vorgänge in Gewerkschaften oder Handelskammern. Statt Wahlen zu erlauben, hat die neue Regierung die obersten Köpfe ernannt.

Die Ankündigung ist ein geschickter PR-Coup, denn die Kritik an den Behörden wird lauter – auch aus dem Westen, dessen Investitionen die Regierung nicht verlieren möchte. Anfang des Monats drangen Soldaten der syrischen Armee in Suwaida ein. Die Drusen möchten ihr Gebiet eigenständig verwalten, die nationale Armee aber will die drusischen Fraktionen unter ihre Gewalt stellen. Zeu­g*in­nen berichten von Massakern an der Bevölkerung und einer Blockade durch regierungsnahe Kämpfer. Es gibt kaum Strom und Wasser, das Mehl ist ausgegangen. Es braucht dringend einen humanitären Korridor, um die Bevölkerung zu versorgen.

Im März hatten regierungsnahe Milizen gezielt Angehörige der Alawiten getötet. Zwar hatte al-Scharaa eine Untersuchungskommission eingerichtet, die am 20. Juli ihren Abschlussbericht vorlegte. Die Ergebnisse werden nicht offengelegt; Konsequenzen für die Täter stehen aus.

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Syrien braucht Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Dialog und Vertrauensbildung, damit Parteienbildung nicht entlang konfessioneller Linien, sondern entlang politischer Ausrichtung möglich ist. Das geplante Wahlsystem dürfte das erschweren.

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Julia Neumann
Korrespondentin Libanon
Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.
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3 Kommentare

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  • Blaupause ist dann wohl der Libanon. Dann kann man sich das Ganze mAn gleich sparen.

  • Diese Wahl oder den Artikel verstehe ich nicht: "Er bestimmt ein Drittel der 210 Abgeordneten direkt. Die restlichen zwei Drittel sollen durch einen Wahlausschuss bestimmt werden." Wenn der Präsident ein Drittel der Abgeordneten bestimmt und ein Wahlausschuss die restlichen zwei Drittel, wer oder was soll dann gewählt werden? Vielleicht der Hausmeister?



    Oder soll es so ablaufen wie bzw. im Iran, wo ein Wahlausschuß bestimmt, wer sich überhaupt als Kandidat aufstellen lassen darf. Unliebsame Kandidaten (gibt es da auch Kandidatinnen und wenn ja, und falls sie gewählt werden, dürfen die überhaupt ins Parlament oder sitzen sie in einem Extraraum?) werden gleich aussortiert. Das Wahlvolk hat dann die Wahl zwischen Pest und Cholera...

    • @Offebacher:

      Im Iran gibt es weibliche Parlamentarier, die sitzen im Parlament mit den Männern, aber generell werden nur linientreue zur Wahl zugelassen. Und auch in Deutschland gibt es einen Wahlausschuss der Parteien aus formalen Gründen ausschließt. Jetzt muss sich halt zeigen wie das ganze in Syrien abläuft und was mit dem 1/3 ist. Nutzt der Präsident das um bestimmte Gruppen zu repräsentieren (Frauen, Minderheiten etc.) oder um sich selber die Macht zu sichern.