Naziaufmarsch beim CSD in Brandenburg: Und dann fühle ich etwas, das ich lange nicht fühlte: Angst
Unsere Autorin war mit ihrem Kind auf einem CSD in Brandenburg. Während ihr dort immer mulmiger wird, fragt sie sich, wie es so weit kommen konnte.

W ir stehen uns ratlos gegenüber auf dem nassen Asphalt einer brandenburgischen Stadt in der Nähe meines Wohnortes. Sie, die Polizistin, die von außerhalb angereist ist, um den CSD zu schützen. Und ich, die Demonstrierende, ein durchnässtes siebenjähriges Kind an der Hand, das jetzt gern wieder ins Warme würde, aber nicht kann. „Da würde ich jetzt wirklich nicht durchgehen an Ihrer Stelle“, sagt die Polizistin. Denn „da“, da sind die Nazis.
Weil ein CSD in Brandenburg im Jahr 2025 eben nicht bloß Menschen mit bunten Regenschirmen bedeutet, sondern auch eine Gegendemo von etwa 40 meist jugendlichen Neonazis, die uns mit großem Abstand folgt. Man wolle „den Kinderfickern mal zeigen, wer hier der Herr im Hause ist“, sagt ein Einheizer dort zu Beginn.
Ich bin im Mecklenburg der Neunziger Jahre aufgewachsen und natürlich bin ich nicht überrascht, dass es Nazis gibt. Ich wohne seit mehr als fünf Jahren in einem Landkreis in Brandenburg, in dem die Landtagsabgeordnete im Wahlkampf Stichwaffen mit AfD-Aufdruck verschenkte. Trotzdem stehe ich an diesem Tag im Regen auf der Straße und fühle etwas, das ich schon länger nicht mehr gefühlt habe: Angst. Angst vor dem, was ist. Und Angst vor dem, was noch kommt.
Letztes Jahr, da roch der CSD nach Sonnencreme und Softeis. Wir fuhren gemeinsam mit mehreren Kindern im Zug in die Nachbarstadt, wir waren spät dran. Nie wären wir auf die Idee gekommen, zu beratschlagen, ob der Demo hinterherzulaufen gefährlich werden könnte und mit wem wir im Notfall zusammenbleiben. CSD, das war ein politisches Familienfest und im Anschluss gingen wir auf den Spielplatz.
Natürlich waren die neuen queeren Feste in Brandenburg auch Reaktion auf etwas, das sich veränderte – in den Schulklassen, in den Fußballvereinen. Auch damals gab es bei den Feiern schon Vorfälle. Sticker, Rufe, Hitlergrüße. Wahrscheinlich habe ich die Angst verdrängt, solange das noch irgendwie ging – bis zu diesem Tag.
Vorfreude beim Malen des Regenbogenplakats
Den ganzen Vormittag hat mein Kind an seinem Regenbogenplakat gearbeitet, Wasserfarben gemischt, es vorfreudig durch die Wohnung getragen. Wir schnitten dicke Streifen Tesa ab und umwickelten die Pappe, damit der Regen dem Regenbogen nichts anhaben konnte.
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Noch bevor wir am Bahnhof Demoteilnehmende entdecken, sehen wir die ersten jungen Männer mit Kurzhaarschnitt und schwarzer Kleidung. „Deutsche Jugend voran“ heißt die Organisation, die zur Gegendemo aufgerufen hat. Ich denke: Fuck, ich hätte mein Kind nicht mitbringen sollen. Und dann: Fuck, wie weit ist es gekommen, wenn man auf einen CSD keine Kinder mehr mitbringen kann?
Wir warten unter der S-Bahnbrücke, der trans Chor singt, muss dann aber abbrechen, denn wir müssen los, damit sich Demo und Gegendemo nicht begegnen. Wir laufen durch den Regen und sind froh über die bunten Schirme, denn ein rechtsextremer Streamer hat seine Kamera auf einen langen Stab montiert, um uns zu filmen.
„Ich dachte, es gibt nur Für-Demos und keine Gegendemos“, sagt mein Kind.
Wie kann innerhalb von wenigen Monaten so viel verrutschen?
Als die Füße nass sind und wir nach Hause wollen, aber nicht können, weil die Nazis die Straße hinter uns blockieren, halten zwei Polizisten den Verkehr an, damit wir auf einen Trampelpfad gelangen. Kein Mensch, nirgends. Mir wird immer mulmiger. Bloß weg hier. In diesem Moment kommt mir ein komisches Wort in den Kopf: Zeitenwende. Wie kann innerhalb von wenigen Monaten so viel verrutschen? Ich lege eine Jacke über das Plakat und schäme mich für den Versuch, mich unsichtbar zu machen.
Als wir dann doch nach Hause kommen und später einkaufen gehen, steht am Supermarkt eine Gruppe Jugendlicher, schwarze Klamotten, lautes Lachen, Bierflaschen in der Hand. Sie reden über den CSD. Ich habe sie hier noch nie gesehen.
Am Abend nimmt mein Kind sein Plakat nochmal in die Hand und läuft damit durch die Küche. „Ge-gen-de-mo“, ruft es. Ich schaue verwirrt genug, um eine Erklärung zu bekommen. „Ich mache eine Gegendemo gegen die Gegendemo.“ Die Schuhe sind schließlich schon fast wieder trocken.
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