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Dänische GewässerHallo Schattenflotte, hier Segelroboter

In der Ostsee experimentieren dänische Militärs mit Segeldrohnen. Sie sollen bei der Überwachung von mutmaßlicher russischer Sabotage helfen.

Kein Mann an Bord: Eine autonome Messdrohne von Saildrone auf dem Weg zur Datenerhebung auf hoher See Foto: James Brooks/ap

Neulich in der Ostsee. Ein Segler aus Bayern ist mit seiner Jacht im Kattegat zwischen Dänemark und Schweden unterwegs, die Sicht ist schlecht, da meldet sein Automatisches Identifikationssystem (AIS) südwestlich der dänischen Insel Læsø plötzlich in 2.500 Meter Entfernung einen 228 Meter langen Tanker. Der „war natürlich schon da, nur schlecht zu sehen und hat sein AIS aufgrund unserer Annäherung eingeschaltet“, schreibt der überraschte Freizeitskipper Mitte Juni in einem Segelforum. „Nachdem wir passiert hatten, war auch prompt wieder das AIS Signal weg. Warum spielt der Tanker Geisterschiff? Schattenflotte?“

Der Skipper meldete den Vorfall mit dem Tanker „Northernlight“, der in Schiffsregistern sowohl unter der Flagge der Marshallinseln wie der Maltas zu finden ist, dem Nato Shipping Center im britischen North­wood. Das hatte Ende Januar – nach mehrfachen Beschädigungen wichtiger Seekabel und Pipelines durch mutmaßliche Schiffe der sogenannten russischen Schattenflotte – dazu aufgerufen, verdächtiges Verhalten in der gesamten Ostsee sowie im direkt angrenzenden Skagerrak zu melden. Insbesondere wenn Schiffe ihren Anker über Grund schleiften, gar keinen Anker mehr hätten, sich merkwürdig in der Nähe von Unterwasserinfrastruktur verhielten oder in deren Nähe mit Tauchern in Verbindung stünden.

Die russische Schattenflotte wird auf mehrere Hundert Schiffe geschätzt. Sie dient der Umgehung westlicher Sanktio­nen, die nach Russlands Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 gegen Moskau verhängt wurden. Nach Ansicht westlicher Militärs schreckt Russland nicht davor zurück, die Flotte auch gegen die kritische Infrastruktur von Nato-Staaten ­einzusetzen. Zudem vergrößern die zweifelhaften Schiffe das Risiko von Unfällen, da sie etwa die in den schwierigen dänischen Gewässern empfohlenen Lotsen ablehnen und ihre Versicherungsverhältnisse unklar sind.

Es ist einfach zu teuer für uns, jedes einzelne russische Schiff mit einem Kriegsschiff zu verfolgen

Peter Viggo Jakobsen, Professor an der Dänischen Verteidigungsakademie

Die Nutzung funkgestützter AIS-Transponder, die auf See Schiffsdaten wie Position, Kurs, Geschwindigkeit und Herkunft auf die Navigationsbildschirme übermitteln und so Kollisionen verhindern sollen, ist seit Ende 2004 bei größeren Berufsschiffen vorgeschrieben. Ausnahme sind Kriegsschiffe. Wer sein AIS ausschaltet, macht sich verdächtig, ungesehen bleiben zu wollen. So wie etwa Fischtrawler, wenn sie illegal in fremden Hoheitsgewässer unterwegs sind.

Überforderte Nato

Dass die Nato inzwischen die Berufsschiffer und Fahrtensegler bei der Überwachung der Ostsee um Hilfe bittet, zeigt, dass das westliche Militärbündnis überfordert ist. „Die Herausforderung besteht darin, dass man im Grunde ständig auf dem Wasser sein muss und das ist ungeheuer teuer“, sagte der Strategieexperte Peter Viggo Jakobsen von der dänischen Verteidigungsakademie der Nachrichtenagentur AP. „Es ist einfach zu teuer für uns, jedes einzelne russische Schiff, sei es ein Kriegsschiff oder ein ziviles Frachtschiff, mit einem Kriegsschiff zu verfolgen.“

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Deshalb experimentiert die dänische Marine seit Mitte Juni auch mit vier Gefährten, die uralte und modernste Technik kombinieren. Die sich mit Windkraft übers Wasser bewegen können und mit Überwachungs- und Navigationselektronik, Sensoren und Kameras ausgestattet sind: Segeldrohnen. Die unbemannten und unbewaffneten Kieljachten der US-amerikanischen Firma Saildrone haben mit Carbon versteifte Rümpfe aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Sie sind zehn Meter lang, beobachten in einem Radius von 30 bis 50 Kilometern das Meer über und unter Wasser und segeln und kreuzen monatelang autonom. In ihrem festen Flügelsegel ist die dänische Flagge abgebildet und auf dem Rumpf in marinegrauer Tarnfarbe ist, wie bei Marineschiffen üblich, eine weiße Nummer.

Das Beschaffungsamt (Dalo) des dänischen Verteidigungsministeriums hat die Drohnen zunächst für eine dreimonatige Testphase geleast. Experten von Saildrone überwachen sie rund um die Uhr und werten die Daten aus. Gegründet wurde Sail­drone 2012 in der Nähe von San Francisco. Ein britischer Ingenieur, der mit einem Segelauto einen Weltrekord aufgestellt hatte, begann zunächst mit leuchtfarbenen Segeldrohnen für die Meeres- und Klimaforschung. 2019 segelte eine Drohne um die Antarktis und über den Atlantik, 2021 mit einem kleineren Flügelsegel in das Zentrum eines Hurrikans. Die Firma wirbt damit, dass ihre Drohnen schon mehr als eine Millionen Seemeilen gesegelt seien.

Längst arbeitet Saildrone auch für das US-amerikanische Militär, hat Hunderte Millionen Dollar an Risikokapital akquiriert und einen früheren Vizeadmiral der US Navy in seinen Vorstand geholt. Die US-Regierung hat im Februar verkündet, die Zahl der im Süden des Landes eingesetzten Segeldrohnen von zehn auf zwanzig verdoppeln zu wollen, etwa, um mit mehr Überwachung in der Karibik gegen Drogenhandel und illegale Migration vorzugehen. Mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gibt es laut Saildrone hingegen bisher keine Kooperation.

In Kopenhagen machte Sail­drone erst im April eine Zweigstelle auf und verspricht sich gute Geschäfte. Denn Dänemarks archipelartige Geografie ist strategisch wichtig: Die dänischen Gewässer verbinden die Ost- mit der Nordsee, wo das Land eine weitere Küste hat. Im Hafen von Køge am Öresund, 40 Kilometer südlich von Kopenhagen, begann Mitte Juni der Test der vier Segeldrohnen. Sie nahmen zunächst an der sogenannten Nato Task Force X Baltic Initiative teil, die bis nach Finnland reichte. Die unbewaffneten Segelroboter versorgten dabei auch bewaffnete unbemannte Wasserdrohnen mit Daten, erklärte Saildrone anschließend. Täglich hätten die Segeldrohnen Hunderte Schiffe getrackt.

Zu den Einsatzgebieten in Dänemark wollte sich eine Sprecherin des Beschaffungsamtes Dalo gegenüber der taz nicht äußern. Auch zu den Kosten machte sie keine Angaben. „Der erste Eindruck ist gut“, sagte sie nur. Die Segeldrohnen operieren trotz Tarnfarbe nicht versteckt, sondern ganz offen, inklusive eingeschaltetem AIS. Denn sie sollen abschrecken und zeigen, dass sie beobachten.

Das mögen nicht alle: Im August 2022 kaperten iranische Revolutionsgarden eine US-amerikanische Segeldrohne im Persischen Golf mit der Begründung, sie würde die Schifffahrt gefährden. Nach vier Stunden drohender Eskalation mit den USA gaben die Iraner das Roboterschiff wieder frei. Laut US-Militär fehlte ein Teil der Elektronik.

Auf die Frage, ob auch die deutsche Marine Segeldrohnen einsetzen wolle, erklärte ein Marinesprecher der taz, man arbeite „intensiv an der Beschaffung unbemannter Systeme“. Dabei würden „marktverfügbare Lösungen“ erprobt. Konkreter wollte er sich nicht äußern und auch nichts zum dänischen Test sagen.

Gefahr für Hobbysegler?

Wassersportmedien wie segelreporter.com oder yacht.de nehmen das Argument der Iraner, dass autonome Segeldrohnen die Schifffahrt gefährden können, übrigens ernst. Denn nach Regel 5 der internationalen Kollisionsverhütungsregeln (KVR) muss ein Schiff jederzeit einen Ausguck besetzen. Autopiloten oder Fernsteuerungen sind zwar zulässig, aber allein nicht ausreichend. Eine Kollision mit der 1,5 Tonnen schweren Segeldrohne dürfte einem Fracht- oder Kriegsschiff nichts ausmachen, eine Fahrtenjacht aber könnte leckschlagen und sinken.

Auf taz-Nachfrage räumt Saildrone-Sprecherin Jenn Virskus zwar ein, dass die internationale Rechtsprechung noch der „autonomen maritimen Technologie hinterherhinkt“. Die Satellitenverbindungen sowie die professionelle Überwachung durch erfahrene Saildrone-Seeleute garantierten jedoch Sicherheit. Die Sprecherin des dänischen Beschaffungsamts Dalo verwies darauf, dass die Drohnen schon in anderen Teilen der Welt segelten und von der dänischen Seefahrtsbehörde genehmigt worden seien.

In Dänemark gibt es hingegen laut dem Guardian Kritik, dass mit Saildrone die USA womöglich Zugang zu sensiblen dänischen Daten bekäme. Das sei angesichts der von Trump erhobenen Ansprüche auf das dänische Grönland riskant. Die Dalo-Sprecherin wollte der taz dazu nichts sagen, Saildrone-Sprecherin Viskus verwies auf das Bekenntnis ihrer Firma zur Datensicherheit. Auch könnten die Dänen den Provider der Datenübertragung selbst wählen.

Der bayerische Segler bekam auf seine Meldung des verdächtigen Tankers sogar eine Antwort: „Jetzt hat sich die Nato brav bei mir bedankt“, schrieb er samt Emoji im Segelforum.

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