piwik no script img

Rechtsextremismus in SprembergIn der rechten Ecke

Im brandenburgischen Spremberg zeigen sich Rechtsextreme. Das passiert auch anderswo. Nur in Spremberg hat die Bürgermeisterin jetzt Alarm geschlagen.

Spremberg zeigt schon auch gern seine schönen Seiten, wie die historische Stadtansicht Foto: Cartsen Koall/getty images

Spremberg taz | Es ist kein leichter Auftritt für Christine Herntier. Die Bürgermeisterin von Spremberg steht an diesem Mittwochnachmittag Ende Juli am Rednerpult in einem schmucklosen Raum, es tagt die Stadtverordnetenversammlung der Gemeinde im äußersten Südosten von Brandenburg. Herntier hat gerade noch alle möglichen lokalpolitischen Themen heruntergebetet – Freibadsanierung, Bürgerhaushalt, Heimatfest –, da atmet sie tief durch. Jetzt will sie über das sprechen, womit sie in den vergangenen Tagen bundesweit in den Schlagzeilen war: ihren Weckruf, dass Spremberg ein massives Problem mit Rechtsextremismus hat.

„Ich habe teils heftige negative Reaktionen bekommen. Man wirft mir vor, dass ich die Stadt in ein schlechtes Licht rücken würde“, sagt die parteilose Bürgermeisterin. Sie sei aber nicht überrascht von der Kritik. Die sei sowieso nichts Schlechtes: „So finden wir aus der Sprachlosigkeit heraus.“

Und das war ihr erklärtes Ziel, als sie sich eine Woche zuvor im Amtsblatt an die Ein­woh­ne­r*in­nen Sprembergs gewandt hatte.

In dem Schreiben beklagte sie eine „Flut von Schmierereien, verfassungsfeindlichen Symbolen, Verherrlichung von Adolf Hitler mitten in der Stadt“. Lehrer und Schüler kämen zu ihr, erzählten ihr „voller Wut und Angst“ Dinge, die sie nicht für möglich gehalten hätte. „Wirklich, es ist zu einer Bedrohung geworden. Wir reden nicht darüber! Das ist doch schlimm!“

Damit hat Herntier offensichtlich einen Nerv getroffen. Die Nachricht von der Klartext-Bürgermeisterin machte schnell die Runde, weit über Spremberg und Brandenburg hinaus. Schon bald war sie live zu Gast im ZDF-„heute-journal“, zur besten Sendezeit.

Eine schmucke historische Altstadt

Was ist also los in Spremberg? Etwas mehr als 20.000 Menschen wohnen hier, rund eine halbe Autostunde südlich von Cottbus gelegen. Die historische Altstadt liegt schmuck auf einer Spreeinsel, Rathaus- und Kirchturm schauen über den Dächern hervor. Am Stadtrand, gleich an der Landesgrenze zu Sachsen, qualmen die beiden Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe, bis 2038 darf es noch laufen, dann ist Schluss.

„Perle der Lausitz“ lautet die unbescheidene Selbstbezeichnung der Sprem­berger für ihre Stadt. Politisch ist sie tiefblau eingefärbt. Bei der Bundestagswahl im Frühjahr erhielt die AfD hier rund 45 Prozent der Zweitstimmen. Auf Platz zwei landete die CDU – mit 15 Prozent. Darüber hinaus gilt der Süden Brandenburgs seit Langem als Hochburg der Neonazi-Szene, die hier eng vernetzt ist mit dem Hooligan- und Kampfsportmilieu.

Besonders lange suchen muss man nicht, um in Spremberg das zu finden, was Herntier beklagt. Am Rande der Altstadt rauscht die Hauptspree über ein Wehr, der Uferweg führt unter einer Brücke hindurch. „I love NS“ ist dort zu lesen, gleich neben einem großen Graffito mit dem Szenecode „14/88“. Ein paar Schritte entfernt sitzen Jugendliche auf einer Bank. Es ist Montagnachmittag, sie trinken Bier, rauchen Selbstgedrehte. Ein Freund kommt dazu, auf seinem T-Shirt prangt in Frakturschrift „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“. Zur Begrüßung formt er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, die übrigen Finger weit abgespreizt: White Power.

Szenen wie diese überraschen Benny Stobiński nicht. Der 43-Jährige ist in Sprem­berg aufgewachsen und seit 2002 Sozialarbeiter im Jugendbereich. Er hat, wie er sagt, mehrere Neonaziwellen in der Region miterlebt. Doch auch ihm bereitet die aktuelle Situation Sorgen: „Es ist krass, wie das in den letzten Monaten zugenommen hat“, sagt Stobiński zur taz. Am Skatepark etwa habe er beobachtet, wie sich Jugendliche zur Begrüßung den Hitlergruß gezeigt hätten. „Die sind erst 13, 14 Jahre alt.“

Er wolle die jungen Menschen aber auf keinen Fall aufgeben, sagt er: „Die meisten sind keine Neonazis. Aber sie sind empfänglich für rechtes Gedankengut.“ Es gehe deshalb darum, sie frühzeitig davon wegzuhalten, ihnen Alternativen zu bieten, „damit völkische Ideologie nicht die einzige Option ist, die einem Jugendlichen hier attraktiv erscheint“.

Mittel für Jugendarbeit werden gekürzt

Momentan würden aber viele Jugendliche allein gelassen. „Die Landesregierung kürzt finanzielle Mittel für die Jugendarbeit“, kritisiert Stobiński, der auch parteiloser Stadtverordneter in Spremberg ist. In dieser Situation kämen dann Kader von der Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ und böten Gruppenerfahrungen an wie Sport und Wandern. „So etwas verspricht ein Gefühl von Gemeinschaft. Natürlich fühlen sich die Jugendlichen erst mal angesprochen.“

Tatsächlich ist „Der Dritte Weg“ verstärkt in Spremberg und der Niederlausitz unterwegs. Dafür wurde extra ein sogenannter Stützpunkt Spreewald-Lausitz gegründet. Neben Sticker- und Plakataktionen fallen die Neonazis durch Infostände in der Altstadt auf und verteilen Flyer vor Schulen. Im Frühjahr hielten sie zudem ein militärisch anmutendes Sport-Event im Stadtpark ab und posteten Videos davon im Netz.

Und es kommt zu Gewalt in Spremberg: etwa an der Berufsorientierten Oberschule, wo ein Schüler eine Lehrerin schlug. Einer RBB-Recherche zufolge herrscht dort ein Klima der Angst, der Schulleiter spielt die Geschehnisse herunter. Auch der linke Jugendklub Erebos wurde angegriffen.

Vorfälle, die einen größeren Trend verdeutlichen: An vielen Orten sind junge, aktionsorientierte Rechtsextreme auf dem Vormarsch. Das untermauert auch der jüngst erschienene Verfassungsschutzbericht für Brandenburg mit Zahlen. Die Behörde erfasste im vergangenen Jahr 3.650 Rechtsextreme in dem Bundesland – fast 20 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Der Anstieg sei vor allem auf junge Menschen zurückzuführen, betont Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos). Trotzdem wird das Problem vielerorts kleingeredet. In Bad Freienwalde etwa, wo Neonazis im Juni bei einem Stadtfest auf Menschen einschlugen, sprach der CDU-Bürgermeister danach nur von einer „Störung“.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Umso bemerkenswerter ist also der Weg, den Christine Herntier in Spremberg wählt. Das findet auch Bianca Broda, die 2021 die Initiative „Unteilbar“ in der Stadt mitgegründet hat. „Die Bürgermeisterin hat das Problem mit Rechtsextremismus schon vorher ernst genommen, aber nicht so deutlich nach außen getragen“, sagt die 45-Jährige zur taz. „Wir begrüßen das ausdrücklich und finden das sehr mutig.“

Spremberg nicht aufgeben

Auch Broda ist in Spremberg aufgewachsen und vor sechs Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Motivation hinter ihrem Engagement bei ­„Unteilbar“ sei, dass sie Spremberg nicht aufgeben will: „Wir leben gerne hier. Und wir sind nicht hoffnungslos – im Gegenteil.“

Sie und ihre Mit­strei­te­r*in­nen wollen Begegnungsräume schaffen, wie Broda das nennt: Orte, an denen Sprem­ber­ge­r*in­nen aller Generationen ins Gespräch kommen. Im Juni etwa haben sie ein Sommerfest organisiert. „Wir versuchen bei unseren Aktionen vor allem zu betonen, wie wir in dieser Stadt zusammenleben wollen: solidarisch und vielfältig.“

Je klarer wir ansprechen, dass unsere Stadt ein Problem mit Rechtsextre­mismus hat, desto weniger ist das Thema tabuisiert

Bianca Broda von der Initiative „Unteilbar“ in Spremberg

Dafür wird Broda auch angefeindet. „In manchen Situationen habe ich schon ein mulmiges Gefühl“, sagt sie. Etwa habe sie schon mal im Supermarkt dumme Kommentare bekommen. Aber sie will sich nicht unterkriegen lassen: „Je klarer wir ansprechen, dass unsere Stadt ein Problem mit Rechtsextremismus hat, desto weniger ist das Thema tabuisiert. Die Kontroverse sorgt dafür, dass wir einen Umgang damit finden.“

Und die Kontroverse, die ist in Sprem­berg in vollem Gange. Im Bäckerei-Café am Marktplatz etwa, schräg gegenüber vom historischen Rathaus. Hier sitzen am Montagmittag zwei Rentnerinnen bei Café crème unter den großen Sonnenschirmen. Beide wohnen schon ihr ganzes Leben in der Region – und sind ziemlich unterschiedlicher Meinung, wenn es um den Weckruf der Bürgermeisterin geht.

„Ich bin aus allen Wolken gefallen“, sagt die eine. „Ich persönlich hab hier nichts mitbekommen.“ Was Herntier gemacht habe, finde sie nicht gut: „Man weiß ja auch gar nicht, wer dahintersteckt, ob das Rechte oder Linke sind. Die Linken sind doch genauso schlimm.“

Bei ihrer Freundin hingegen klingt das ganz anders: „Das war höchste Zeit. Wir hatten das schon mal vor 30 Jahren, und das alles kocht jetzt gerade wieder hoch. Leute werden bedroht, Bürgermeister, Lehrer. Wenn einer den Mund aufmacht, dann ist das richtig!“

Mit Abwahlantrag gedroht

Trotzdem steht Christine Herntier jetzt unter großem Druck. Kurz vor ihrem Auftritt vor der Stadtverordnetenversammlung gibt es eine erste kleine Demo auf dem Marktplatz. Deutschlandfahne, klein bedruckte Plakate, auf denen die Bürgermeisterin zum Rücktritt aufgefordert wird. Auch später wird in einschlägigen Telegram-Kanälen mobilisiert. Und die AfD droht mit einem Abwahlantrag.

Herntier selbst verbreitet derweil Zweckoptimismus. „Alle finden es scheiße, dass Spremberg in die rechte Ecke gestellt wird“, sagt sie. Das sei der kleinste gemeinsame Nenner – auf dessen Basis könne man jetzt reden. Zudem hat Innenminister Wilke Hilfe angekündigt. Der Verfassungsschutz werde vor Ort schauen, wie man Spremberg unterstützen könne, sagte Wilke. Er wolle darüber hinaus die Prävention an Schulen stärken.

Bianca Broda von „Unteilbar“ bleibt skeptisch. „Was Jugendliche wirklich brauchen, ist Teilhabe – und nicht, dass das Ministerium sich jetzt einen Punkteplan überlegt.“ Sie fordert eine Ausweitung von Schulprojekten, denn viele Angebote in Brandenburg seien auf den Raum Potsdam beschränkt.

Für sie ist klar: Sie will hier wohnen. Und sie hofft, dass sich auch junge Menschen zum Bleiben entscheiden. „Ich will nicht in die Großstadt umziehen, um in einer offenen Gesellschaft zu leben. Wir müssen das auch auf dem Land hinkriegen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare