piwik no script img

Radikalisierung nach rechtsSeid schnell, seid scharf

Essay von Natascha Strobl

Konservative tappen immer wieder in dieselbe Falle. Sie rennen Rechtsextremisten hinterher und betreiben Kulturkampf. Fünf Regeln, um das zu verhindern.

Ex-Kanzler Österreichs Sebastian Kurz im Wahlkampf 2019 Foto: Dagmar Schwelle/laif

W ieder einmal bricht die Union die politischen Gepflogenheiten und stößt die anderen Parteien vor den Kopf. Wieder einmal gibt es tagelang aufgeregten politischen Zirkus. Deutschland drohen nun lang anhaltende österreichische Verhältnisse. Doch Deutschland muss nicht dieselben Fehler machen.

Warnendes Beispiel ist die Ära Sebastian Kurz in Österreich und ihre Skandale: Umfragenbetrug, Ibiza-Skandal, Anklage gegen René Benko, der tot aufgefundene Sektionschef des Justizministeriums Christian Pilnacek, Untersuchungsausschuss, Gerichtsverfahren und am Ende ein Engagement bei Peter Thiel – die letzten acht Jahre Österreich waren wahrlich nichts für schwache Nerven. Zwischendurch gab es eine Pandemie, eine Rekordinflation, Korruption als Normalzustand, gebrochene Versprechen, nicht mehr mit der FPÖ zu koalieren, und den Versuch, sich die unabhängige Justiz Untertan zu machen, so wie es mit weiten Teilen der Medienlandschaft längst gelungen ist.

Österreichs Konservative und damit das Land haben unter Sebastian Kurz einen Weg eingeschlagen, den zuvor schon Ungarn mit der Fidesz und fast gleichzeitig die USA mit Trump gegangen sind. Boris Johnson und die Tories in Großbritannien, Jair Bolsonaro in Brasilien folgten. Konservative Parteien radikalisierten sich nach rechts und wurden inhaltlich ununterscheidbar von rechtsextremen Parteien, überholen sie teils sogar rechts. Die Gründe für diese Radikalisierung liegen in dem Umstand, dass die Welt rund um diese Parteien zerbricht und alte Normalitäten schwinden.

Das traditionelle konservative Versprechen vom Bewahren des Ist­zustands wird in einer Krise völlig unbrauchbar. Wer kann sich schon für den krisenhaften Status quo begeistern? Der radikalisierte Konservatismus möchte nicht bewahren, sondern den Status quo mit einem Sprung nach vorn zerstören. Das Versprechen der Zukunft liegt dabei in einer Vergangenheit, die so nicht existiert hat. Dieses Versprechen teilt man mit der ungeliebten Schwesterideologie, dem Faschismus. Die Gegenwart zu zerstören, um auf ihren Trümmern eine neue bewahrenswerte Zukunft zu bauen, die hie­rarchischer und autoritärer ist, ist kein genuin konservatives Versprechen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Debatten über Brandmauern muten putzig an

Der radikalisierte Konservatismus radikalisiert sich nach rechts. So war es neu, aber folgerichtig, dass Sebastian Kurz auf seine Wahlplakate „Zeit für Neues“ schreiben ließ. Die klare Zäsur setzte er dabei vor allem innerhalb der Partei. Zeit für eine neue Parteifarbe, Zeit für einen neuen Parteinamen. Auch das sind nicht Elemente des klassisch konservativen Handelns. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Vielleicht kommt ja irgendwann eine gute mehrstaffelige Politserie bei einem großen Streaminganbieter. Der Entertainmentfaktor des hautnahen Miterlebens war allerdings sehr gering.

Immer wenn ich in Deutschland unterwegs bin, erlebe ich denselben (richtigen und gut gemeinten) Furor, ob ich denn überhaupt wisse, wie schlimm es hier sei mit der Union. Und mit der AfD sowieso. Ja, ich weiß es. Ganz Europa weiß es. Denn ganz Europa (und Länder darüber hinaus) erleben es oder haben es schon erlebt. Ostdeutschland ist nicht die Ausnahme, Westdeutschland ist es.

Für (fast) alle anderen Länder muten Debatten über Brandmauern, Verbotsverfahren und klare Abgrenzung bis weit hinein in Kirchen und konservative Kreise putzig, aber ehrenhaft antiquiert an. In vielen Teilen Europas muss man nicht mehr die Konservativen, sondern Liberale, Sozialdemokratie und selbst Grüne abhalten, nicht da oder dort umzusetzen, was die extreme Rechte fordert. Das soll keine Verniedlichung oder Banalisierung der deutschen Verhältnisse sein, im Gegenteil. Deutschland hat bis jetzt gehalten, und davon zehrt ganz Europa. Deutschland muss auch weiterhin stabil demokratisch bleiben. Denn fällt Deutschland, fällt Europa. Es gibt kein Land, das diesen Platz einnehmen kann.

Umso wichtiger ist, dass sich deutsche Akteur_innen besinnen und weder die Gefahr verleugnen noch in narzisstisches Selbstmitleid verfallen.

Gefahr war selten so groß

Denn die Gefahr ist so real wie nie zuvor. Die AfD ist stärkste Partei oder droht es zu werden. Innerhalb des Konservatismus setzt sich eine Erzählung durch, dass „die Leute“ das „so“ wollen und damit mehr Rassismus, mehr Misogynie, mehr Kulturkampf meinen. Macht man dies nun selbst, dann werden „die Leute“ schon konservativ statt extrem rechts wählen. Das kann kurzfristig sogar funktionieren, wobei sich der Effekt schnell abnutzt. Am Ende stehen eine gestärkte extreme Rechte und ein Konservatismus, der sich selbst zerlegt hat und dessen Basis gespalten und verunsichert ist. Zumal es außenpolitisch zwei Positionen gibt, die für Konservative nicht zu übernehmen sind: die Haltung zu Russland und die Haltung zu Israel.

Nähert sich der Konservatismus der extremen Rechten an, so wird Letztere diese beiden Themen in den Vordergrund stellen. Innenpolitisch ist man weitgehend deckungsgleich: Ausländer raus, Kulturkampf wegen jeder Unisextoilette und jeden Veggie-Days im Kindergarten, gegen Frauenquoten und gegen Regenbogenflaggen. Der Sozialstaat soll abgewickelt werden, und wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.

Bei der Pandemie schlägt man nicht ganz dieselben Töne an, aber in der zweiten und dritten Reihe wird der Sozialdarwinismus munter lanciert, das hilft dann auch später im Umgang mit der Klimakrise. Das ist die Realität des radikalisierten Konservatismus, wo er schon an der Macht ist oder war. Man hat es plötzlich mit zwei fast identischen Parteien zu tun, die gesellschaftlich aber anders verankert sind, wobei die Konservativen aus einer Regierungsposition heraus agieren.

Medien, Parteien, Institutionen, Zivilgesellschaft und eine interessierte Öffentlichkeit haben viele Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken.

Es gibt fünf Regeln, an die sich alle halten sollten, damit man nicht dieselben Fehler macht wie andere Länder:

Klare Kante statt eines tonlosen Entsetzens

Einer der größten Fehler ist es, Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen, weil man jedes Mal aufs Neue so wahnsinnig überrascht ist über das, was da passiert. Während man noch die Realität verhandelt, schlägt der radikalisierte Konservatismus schon fünf neue Volten. Statt sich vorzubereiten, beginnt man jedes Mal wieder bei null. Es ist genau das, was die demokratische Führungsriege gerade macht. Seid nicht wie die demokratische Führungsriege. Seid schnell, seid scharf in der Reaktion. Autoritäre Charaktere verstehen nur autoritäre Antworten.

Keine Angstlust

Immer wenn sich eine neue Entwicklung am extrem rechten Rand auftut, dann besteht eine Angstlust, diese Entwicklung möglichst ins gleißende Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Man muss das nicht tun. Man muss die Köpfe der extremen Rechten nicht zu „Superstrategen“ adeln und ihnen Bildstrecken und Interviews geben. Man muss sie nicht porträtieren, man muss sie nicht einladen. Die extreme Rechte muss nicht der Nordstern der etablierten Politik sein, an dem man sich jeden Tag ausrichtet.

Nicht über jedes Stöckchen springen

Der radikalisierte Konservatismus setzt auf schnelle mediale Überwältigungskampagnen. Die Reaktion: Oh nein, hier passiert etwas ganz Schlimmes, so schlimm, alle bitte jetzt sofort auf dieses ganz Schlimme reagieren! Wer sich davon überwältigen lässt, ist Teil der Kampagne. Wenn sich drei Stunden später herausstellt, dass es kein Plagiat gibt oder die Berechnung der ach so hohen Sozialhilfe vor Fehlern strotzt, will man nicht Teil davon gewesen sein. Jede Empörung ist einkalkuliert, jedes Teilen hilft. Wichtiger wäre es, reaktionsschnell eine Gegenmaßnahme (medial wie in den sozialen Netzen) bereitzuhaben, die den Kulturkampfversuch sofort abschießt. Die Themen sind so erwartbar, dass man sich ein eigenes Arsenal ohne große Mühe zurechtlegen kann.

Gegeneskalation

Es widerspricht dem zentristischen Charakter der meisten demokratischen Parteien, den politischen Gegner offensiv anzugreifen. Das muss man auch nicht. Aber die Verhältnisse müssen angegriffen werden. Der Zuspruch für die extreme Rechte (egal welcher Ausprägung) speist sich aus dem Frust, der in der Bevölkerung herrscht. Dieser Frust ist diffus. Kulturkämpfe bieten ein menschenfeindliches Outlet. Es ist verfehlt, beruhigen zu wollen. Beruhigung ist eine Verliererstrategie. Denn der Frust ist berechtigt. Es obliegt demokratischen Kräften, ihn demokratisch zu deuten und zu lenken. Nur über die Bearbeitung des vorhanden Frusts kommt man politisch in die Offensive. Als beruhigende Verwalterin des Status quo geht man zu Recht unter.

Es gibt keinen unsichtbaren Schiedsrichter

Die wichtigste Erkenntnis ist, dass das kein Fußballspiel ist. Es gibt keinen Schiedsrichter, der den Bruch von Usancen und Etikette bestraft. Auf die Ungeheuerlichkeit hinzuweisen und zu hoffen, dass Gelbe und Rote Karten verteilt werden, ist naiv. Sie kommen damit durch, es gibt niemanden, der das bestraft. Die demokratischen Kräfte in und außerhalb des Konservatismus müssen sich also selbst auf die Beine stellen. Empörung und Entsetzen sind zu wenig. Moralisch recht zu haben, ist zu wenig. Man muss dagegenhalten, auch wenn es wehtut.

In Österreich, in den USA, Ungarn und Großbritannien haben die demokratischen Parteien all diese Fehler gemacht. Je radikaler die konservative Partei geworden ist, desto zahmer und staatstragender wurden die demokratischen Parteien. Je rechter der etablierte Konservatismus wurde, desto schneller folgten Sozialdemokratien und Liberale. Das ist ein Irrweg. Deutsche Parteien haben die Möglichkeit in die Zukunft zu schauen und Akteur_innen, die das schon erlebt haben, zu befragen. Es gilt, diese Chance zu nutzen und aus den Fehlern anderer zu lernen. Davon hängt nicht nur die Zukunft Deutschlands, sondern die von ganz Europa ab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "In Österreich, in den USA, Ungarn und Großbritannien haben die demokratischen Parteien all diese Fehler gemacht."

    Die Autorin hat Dänemark vergessen. Die Sozialdemokrateh haben da proaktiv gehandelt und sind derzeit ganz oben. Was die These der Autorin widerlegt. Frage ist, warum und was können wir von DK lernen?

  • Guter Beitrag von Frau Strobl, danke. Musste und muss auch immer wieder mit Entsetzen feststellen, wie kampflos demokratische Parteien in allen möglichen Ländern Rechten und Rechtsextremen das Feld überlassen. Gerade in den USA scheinen mir die Demokraten sämtliche Hoffnung auf die Gerichtshöfe zu setzen. Dabei ist längst offensichtlich, dass der Oberste Gerichtshof loyal zu Trump steht. Ein Rechtsstaat ist das nicht mehr.

    An Ländern wie Ungarn (und auch Russland) kann man sehen, dass die Existenz von Gerichten für sich nicht vor Autoritarismus/Faschismus schützen kann. Diese wurden und werden nämlich nicht abgeschafft, sondern zu ausführenden Organen der Regierung degradiert. Es braucht aktiven politischen Widerstand. Diesen Kampf gewinnt die Justitia nicht, wenn sie auf sich gestellt ist.

    • @Claudio M.:

      Stimme ich zu ...und : Wenn die SPD jetzt nicht bei der Richterwahl standhaft bleibt , ist sie klinisch TOT .

  • Alles richtig, nur eins verstehe ich nicht: Warum schiesst die Autorin sich so auf „die Konservativen“ ein. In Wahrheit ist es ein Problem aller Nichtfaschisten, das mit dem nicht frustabbauendem Verhalten“. Wenn das demokratische Parteienspektrum da, jenseits der gerade präferierten parteiinternen Meinungsblase, mal wirklich offen die eigenen ideologische Mantras überprüfen, statt nur verteidigen würde, wäre schon viel gewonnen.