Protest gegen die AfD: Laut und schön
Das Sommerinterview mit Alice Weidel wurde von Gesang übertönt. Doch friedlicher Protest wird infrage gestellt. Dabei ist Stören wichtig für die Demokratie.

Auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit Blick auf den Reichstag sitzen sich AfD-Chefin Alice Weidel und ARD-Journalist Markus Preiß hilflos gegenüber und verstehen einander kaum. Im Hintergrund, auf der anderen Seite der Spree, stehen ein paar Dutzend Protestierende. Und aus der 100.000 Watt starken Anlage des ehemaligen Gefangenentransporters „Adenauer SPR+“ dringt die Melodie des Südtiroler Andachtsjodlers in ohrenbetäubender Lautstärke – „Scheiß AfD, Scheiß AfD“ tönen sanfte Stimmen durch das Berliner Regierungsviertel.
Aktivist:innen des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) haben gestört. Stören: schwaches Verb. Bedeutung: Jemanden aus seiner Ruhe oder aus einer Tätigkeit herausreißen, einen gewünschten Zustand oder Fortgang unterbrechen, sagt der Duden.
Am vergangenen Sonntag wollten sie nicht diskutieren oder diskutieren lassen. Sondern übertönten einfach die Äußerungen der AfD-Chefin und stellten mit ihrer Aktion auch gleich das ganze Format „Sommerinterview“ mindestens infrage. Wenn Politiker:innen der rechtsextremen AfD diese Bühne geboten wird, muss die Bühne entnormalisiert werden, so das Motto. Die darauffolgende Debatte skandalisierte dann weniger die fortschreitende Normalisierung der rechtsextremen AfD als die Protestaktion selbst. Wie steht es um das allgemeine Protestverständnis?
Hilft Störung nur der AfD?
Die Störung störte. Erstmal die unmittelbar Betroffenen. Alice Weidel, als diese während des Interviews genüsslich ihre Definition von „Remigration“ ausbreiten wollte und im Anschluss, als sie die Debattenkultur und einen Angriff auf die Presse- und Informationsfreiheit beklagte. Markus Preiß, weil durch den Lärm „journalistisch einiges auf der Strecke geblieben“ sei, wie er später sagte. AfD-Wähler:innen und Sympathisant:innen, die sich in den sozialen Medien über das vermeintliche „Versagen der ARD“ ausließen.
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Und dann störte die Aktion auch jene AfD-Versteher:innen, die glauben, sie helfe nur der AfD selbst, weil die Partei sich einmal mehr als Opfer stilisieren könne. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zum Beispiel, der erklärte, man könne die AfD nicht „kaputtschreien“, man müsse sie inhaltlich stellen. Alle zusammen gegen den Faschismus, alle zusammen – die AfD inhaltlich stellen, so wie die Union? Bisher würde das jedoch vor allem die Übernahme von AfD-Positionen bedeuten, wie im Falle der beschleunigten Abschiebungen, der Schließung der Grenzen oder der Verschärfungspläne beim Bürgergeld.
Doch welcher Protest bliebe dann noch übrig, wenn sich politischer und gesellschaftlicher Widerstand gegen die AfD den Gepflogenheiten des parlamentarischen Diskurses unterordnet?
„Das Spielerische ist sehr stark eingeschränkt“
„Es macht Protest oft aus, dass er lautstark stört“, sagt der Protestforscher Simon Teune von der Freien Universität Berlin gegenüber der taz. Teune forscht an der Schnittstelle von Kunst und Protest. Das Potenzial von künstlerischen Protestformen wie jenen des ZPS sieht er darin, einen Moment zu schaffen, der stellvertretend für die gesamte Situation steht. „Künstlerische und kreative Protestformen können eine problematisierte Situation auf den Punkt bringen und ihr eine ästhetische Form geben.“
Während des ARD-Sommerinterviews sei das vor allem durch den abgespielten Gesang des aktivistischen Augsburger Flinta-Chors Corner Chor passiert. Flinta steht für Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Trans und Agender Personen. Der Kontrast zwischen den harmonischen Stimmen, die diesen Moment der Schönheit schafften, und der simplen Botschaft könne politisch mobilisieren und einem größeren Publikum ein Deutungsangebot machen, so Teune.
Interessant sei jedoch, so der Protestforscher, dass dieser Protest als legitime Äußerungsform jetzt infrage gestellt werde. Die Legitimitätskorridore für Protest hätten sich verengt. „Der Raum für kreative Aktionen, für das Spielerische ist sehr stark eingeschränkt.“ Im Vergleich zu den 1980er und 90ern Jahren sei es heute sehr viel schwieriger, Protestformen zu finden, die nicht sofort zerpflückt und infrage gestellt würden.
Dass heute friedvolle kreative Protestformen stärker hinterfragt werden, hat Teunes Ansicht nach vor allem mit den sozialen Medien zu tun. „Social Media funktioniert sehr segmentiert und der Ausschnitt, den das Zentrum für politische Schönheit verbreitet, ist ein anderer, als der, den AfD-Kreise verbreiten“, sagt er. Es sei also viel leichter, virale Momente zu schaffen, doch viel schwieriger zu wissen, wie diese letztendlich von verschiedenen Gruppen eingeordnet werden.
Kreativer Protest hat Geschichte
Schon immer haben Aktivist:innen kreativen Protest und Störmomente genutzt, um ihr Anliegen symbolisch zu verpacken. Die Studentenbewegung der 68er nutzte Protestformen wie Happenings, das sind meist spontane, improvisierte Kunstaktionen mit Publikumsbeteiligung. In den 80er Jahren flog ein Heißluftballon von Greenpeace über den Todesstreifen von West- nach Ostberlin, um gegen Atomwaffentests zu protestieren.

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Seit Mitte der 2000er Jahre traten Clownsarmeen bei Antiglobalisierungsprotesten bei G8 oder G20 auf. Und die Occupy-Bewegungen der 2010er Jahre in New York, in London und in Istanbul bauten ganze Zeltstädte mit eigenen Bibliotheken und Zeitungen auf, um gegen soziale und ökonomische Ungleichheiten zu protestieren. In den letzten Jahren haben schließlich Klimaaktivist:innen der Letzten Generation und von Extinction Rebellion Gebrauch von kreativen Formen des Protests und zivilen Widerstands gemacht – mit Farbattacken und Sitzblockaden.
Das Zentrum für Politische Schönheit arbeitet seit 2009 mit provokanten, künstlerischen Protestformen, häufig sind sie explizit gegen die AfD gerichtet. Nach einer Rede Björn Höckes im Jahr 2017, in dem er das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, bauten sie 24 Betonstelen in den Nachbargarten von dessen Haus im thüringischen Bornhagen. 2019 erntete das Kollektiv viel Kritik, als sie die vermeintliche Asche von Opfern des Holocausts in einer Säule vor dem Reichstag installierten, als Mahnung an die CDU, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten.
Künstlerischer Protest folgt einer eigenen Logik
Kunst und Politik erleben in solchen Momenten eine Verquickung, agieren außerhalb des rein inhaltlichen Diskurses, überschreiten dabei auch Grenzen. Aktionskünstler Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit sagte vor einigen Jahren: „Im Gegensatz zum Diskurs hat Kunst die Freiheit, Fragen zu stellen, aber sie muss keine Antworten liefern.“ Das kann kritisiert werden, dennoch folgt künstlerischer Protest einer eigenen Logik. Er spielt mit Freiheiten, mit Deutungsoffenheit und Ambivalenz, mit genau dem, was durch die AfD bedroht ist.
Anstatt sie zu skandalisieren, sollten Kunst und Protest also vielmehr als Strategien gegen das allgemeine Gefühl von Hilflosigkeit erkannt werden. Die Mahnungen, „Störung nutze nur der AfD“, laufen ins Leere, denn bisher scheint der AfD kaum etwas zu schaden. In Umfragen liegt sie bei 25 Prozent, gleichauf mit der Union. Niemand hat ein Patentrezept, das zu insinuieren wäre anmaßend.
Der AfD muss auf vielfältige Weise begegnet werden, nicht nur im politischen Diskurs, sondern auch mit Kunst, mit Satire, mit Haltung. Genau in diesen Formen liegt die Stärke des demokratischen Protests: Er kann witzig sein, ironisch, subversiv. Bei Protesten von Rechtsextremen sieht es anders aus – angesichts der dort zur Schau getragenen Menschenverachtung und des Rassismus kann einem nur das Lachen im Hals stecken bleiben.
Vielleicht wird es doch nicht so schlimm gewesen sein
Schließlich lohnt ein Gedanke an die Zukunft. Denn wie Protest gewertet wird, kann sich im Laufe der Jahre verschieben. Laut Protestforscher Teune wurden beispielsweise die Gewalt in der Sufragettenbewegung und in der Anti-Atom-Bewegung im Nachhinein getilgt, während ihre Erfolge gefeiert wurden.
Was also wird der historische Abstand über den Protest der heutigen Zeit offenbaren? „Wer weiß, in 10, 15 Jahren, falls die AfD an der Macht ist und eine Politik macht wie in den USA, in Ungarn oder in Russland, dann kann sich die Bewertung im Nachhinein noch mal verschieben“, so Teune. Vielleicht wird es dann doch nicht so problematisch gewesen sein, Alice Weidel im Sommerinterview zu stören.
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