100 Jahre nach dem Geist von Ardnacrusha: Verpasste Energiewende auf der grünen Insel
Irland will Energieriese werden. Doch fehlender Mut, schwache Netze und wenig Investitionen bremsen die Wende aus. Das ging schon mal besser.
Schon das deutlich bescheidenere Zwischenziel, bis 2030 fünf Gigawatt erneuerbarer Energie ans Netz zu bringen, wird Irland verfehlen. Das hat ernsthafte Konsequenzen: Die EU wird hohe Strafzahlungen verhängen, die die ohnehin angespannten öffentlichen Finanzen zusätzlich belasten werden. Der Grund liegt weniger in fehlender Technologie als im politischen Unwillen. Trotz ambitionierter Reden mangelt es an Umsetzung.
Dabei wird derzeit gerade überall an den Aufbruch vom Juli 1925 erinnert, als im bitterarmen Irland mit dem Wasserkraftwerk Ardnacrusha eines der damals größten Infrastrukturprojekte der Welt realisiert wurde. Der Name leitet sich vom irischen „Ard na Croise“ ab, was „Höhe des Kreuzes“ bedeutet, denn im 12. Jahrhundert stand an der Stelle des Kraftwerks ein stattliches Holzkreuz. Auch vor 100 Jahren ging es um eine Energiewende.
Die Kraft des Shannons sollte schon lange genutzt werden, aber erst als der irische Ingenieur Thomas McLaughlin in Berlin für Siemens-Schuckert arbeitete. Für ihn war die Wasserkraft die Möglichkeit, von Kohle und dem hier gerne verwendeten Torf als Energieträger wegzukommen. Das Projekt verschlang 20 Prozent des Staatshaushalts, weil Kanäle, Brücken, Schleusen und Fischtreppen gebaut werden mussten. Heute würde das rund 24 Milliarden Euro entsprechen. Der daraus erfolgende Widerstand war erst gebrochen, als die Regierung jedem Haushalt ein kostenloses heiliges Herz mit einem elektrischen ewigen roten Licht versprach.
Ungenutzte Chance
Ardnacrusha produzierte bis 1935 80 Prozent des irischen Bedarfs, der Strom gelangte jedoch nur in die Städte, die Landbevölkerung blieb außen vor – und weil Kohle rationiert war, konnte sie nur auf Torf zurückgreifen. Torffeuer ist jedoch nicht nur die klimaschädlichste Art zu heizen, sondern auch die ineffizienteste. Die große Chance blieb also ungenutzt, heute produziert das Kraftwerk immer noch, trägt aber nur 2 Prozent zur irischen Versorgung bei.
Den jüngsten Versuch, an die Aufbruchstimmung der Anfangszeit anzuknüpfen, gab es vor zwei Jahren. 2023 wurde eine Initiative ins Leben gerufen, die das Shannon-Mündungsgebiet in ein Zentrum für Offshore-Windenergie verwandeln soll. Doch seit den vielversprechenden Ankündigungen hat sich kaum etwas getan. Es fehlt an Infrastrukturinvestitionen. Irland gibt nur 51 Prozent des EU-Durchschnitts für öffentliche Investitionen aus. Die überlasteten Stromnetze und unzureichenden Verkehrssysteme sind für eine Bevölkerung von 5,5 Millionen schlicht ungenügend.
Ein modernes Energiesystem müsste nicht nur erneuerbare Energie erzeugen, sondern auch transportieren und verteilen können. Dafür braucht es – wie damals die Kanäle und Schleusen – ein vollständig modernisiertes Stromnetz, das mit dem europäischen Verbundnetz kompatibel ist. Die Kosten für eine solche Erneuerung liegen heutigen Schätzungen zufolge bei 12 bis 15 Milliarden Euro, eine Investition, die sich jedoch auszahlen würde.
Ardnacrusha als Blaupause
Mit einem Finanzierungsvolumen wie damals bei Ardnacrusha ließe sich eine grundlegende Energiewende finanzieren: Onshore-Windkraft mit 18 Gigawatt Leistung, die jährlich 49 Terawattstunden Strom erzeugt – weit mehr als die aktuell benötigten 31 Terawattstunden. Der überschüssige Strom könnte für den Export genutzt oder zur Dekarbonisierung von Verkehr und Heizung eingesetzt werden.
Auch der Verkehr könnte elektrifiziert werden. Mit den nötigen Mitteln ließen sich 800.000 Fahrzeuge auf elektrischen Antrieb umstellen. Ähnliche Effekte wären im Gebäudesektor möglich: Für etwa 12.000 Euro pro Einheit könnten zwei Millionen Haushalte mit Wärmepumpen ausgestattet werden – genug, um fast alle noch mit Öl oder Gas beheizten Gebäude in Irland klimafreundlich umzurüsten. Alternativ könnten 1,3 bis 1,5 Millionen Haushalte über Fernwärme versorgt werden, etwa durch Energie aus Abfall, Geothermie oder zentrale Wärmepumpen.
Doch all das bleibt Theorie. Die Realität ist ernüchternd. Irlands Energieversorgung hängt heute zu 86 Prozent von fossilen Brennstoffen ab. Beim Öl ist das Land vollständig importabhängig, beim Gas zu rund 80 Prozent. Als Insel ist Irland geopolitischen Risiken besonders ausgesetzt, auch das unbeständige Wetter stellt ein Problem dar. Vor allem die Unzuverlässigkeit von Wind und Sonne und das Fehlen großer Energiespeicher machen die Energiewende schwierig – ebenso wie das marode Stromnetz, das regelmäßig zu Ausfällen führt, besonders in ländlichen Gebieten.
Der politische Mut, in großem Stil umzusteuern, fehlt. Aus Angst vor wirtschaftlichen Risiken – etwa wegen möglicher US-Zölle unter Präsident Trump – werden keine ehrgeizigen Projekte mehr gewagt. Dabei wäre gerade jetzt ein entschlossenes Vorpreschen notwendig, um Irland zukunftsfähig zu machen. Doch anstatt den Geist von Ardnacrusha neu zu beleben, wartet die irische Regierung ab. So bleibt die Landbevölkerung auch künftig auf ein überfordertes, altersschwaches Stromnetz angewiesen.
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