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Mieterbund-Präsidentin zur Mietenpolitik„Wohnen ist die soziale Krise unserer Zeit“

Melanie Weber-Moritz fordert Bußgelder für Verstöße gegen die Mietpreisbremse. Wer die Wohnungs­frage lösen wolle, müsse auf Wien schauen.

Astronomischer Anstieg trotz Miet­preisbremse: Die Mieten in Großstädten sind in zehn Jahren um rund 50 Prozent gestiegen Foto: imago/Emmanuele Contini
Jasmin Kalarickal
Interview von Jasmin Kalarickal

taz: Frau Weber-Moritz, Sie sind die erste hauptamtliche weibliche Präsidentin des Deutschen Mieterbunds. Leiden Frauen anders unter der Wohnungsnot?

Melanie Weber-Moritz: Frauen haben im Durchschnitt ein geringeres Einkommen und von daher weniger Chancen auf eine neue Wohnung. Das betrifft besonders Alleinerziehende. Also ja, es gibt schon eine weibliche Seite der Wohnungsproblematik.

taz: Und muss man darauf politisch reagieren?

Weber-Moritz: Es sind natürlich alle Mieterinnen und Mieter betroffen, wenn es darum geht, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Gleichzeitig müssen wir uns um bestimmte Gruppen besonders kümmern: Alleinerziehende, Obdachlose, Geflüchtete, Menschen mit geringem Einkommen und Familien mit Kindern.

Im Interview: Melanie Weber-Moritz

Melanie Weber-Moritz, 51, wurde im Juni zur Präsidentin des Deutschen Mieterbunds gewählt. Sie war zuvor auch im Verbraucherschutz tätig und hat in Göttingen, Bristol und Berlin Politik- und Sozialwissenschaften studiert und zu Klimaschutz promoviert.

taz: Der Mieterbund möchte das Wohnen als Grundrecht ins Grundgesetz aufnehmen. Was würde das konkret verändern?

Weber-Moritz: Das fordern wir schon seit Langem. Eine Wohnung ist ein besonderes Gut, das nicht vergleichbar ist mit einem Auto oder einem anderen Gegenstand, den man konsumiert. Jeder Mensch braucht ein Zuhause, und das muss besonders geschützt sein. Vor allem in Zeiten, da immer mehr Menschen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren.

taz: 30.000 Zwangsräumungen haben im Jahr 2023 stattgefunden. Wenn wir Wohnen als Grundrecht begreifen würden, wäre das dann noch möglich?

Weber-Moritz: Eine Verankerung im Grundgesetz würde nicht zwangsläufig alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt lösen – das gilt auch für Zwangsräumungen. Aber es würde das gesellschaftliche Bewusstsein stärken, dass wir für den Schutz der Wohnung mehr tun müssen. Es wird gerne gesagt, dass die Wohnungsfrage die so­zia­le Frage unserer Zeit sei. Aber das stimmt so nicht, denn Wohnen ist die soziale Krise unserer Zeit. Der Staat muss im Sinne der Daseinsvorsorge endlich alle Mittel ergreifen und alle Hebel in Bewegung setzen, um sie zu lösen.

taz: Das Grundgesetz schützt explizit das Eigentum. Aber es heißt auch: Eigentum verpflichtet. Was heißt das für Sie als Mieterbund-Präsidentin?

Weber-Moritz: Wenn Menschen eine Wohnung mieten, entsteht eine Vertragsbeziehung und gehen Mieter ein Dauerschuldverhältnis ein. Dieses ist in gewisser Weise geschützt, weil wir ein soziales Mietrecht haben. Ob hier mehr oder weniger für Mie­te­r:in­nen passieren sollte, wird von uns anders beantwortet als von wohnungswirtschaftlichen Verbänden. Das Problem ist: Es gibt automatisch ein Ungleichgewicht im Vertragsverhältnis.

taz: Wie meinen Sie das?

Weber-Moritz: Ein Privatvermie­ter hat zum Beispiel die Möglichkeit, Eigenbedarf anzumelden, sodass Mieter ihre Wohnung verlieren. Hätten wir einen entspannten Wohnungsmarkt, wäre das nicht ganz so schlimm. Aber wenn Sie heute eine noch bezahlbare Wohnung verlieren, haben Sie in Groß- und Mittelstädten wenig Chancen, eine bezahlbare Alternative zu finden. Das heißt, wir haben großes Inte­resse daran, das Vertragsverhältnis so mieterfreundlich wie möglich zu gestalten, weil eine Wohnung eben keine Ware wie jede andere ist.

taz: Man kann die Wohnungsnot nicht nur über mietrechtliche Regularien bekämpfen, oder?

Weber-Moritz: Definitiv brauchen wir auch mehr bezahlbaren Wohnraum. Schätzungsweise 550.000 Wohnungen fehlen bundesweit, insbesondere Sozialwohnungen, aber auch bezahlbare Wohnungen für Menschen, die keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben und aufgrund ihres niedrigen Einkommens nicht jeden aufgerufenen Mietpreis bezahlen ­können.

taz: Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen drastischen Verlust von Sozialwohnungen gehabt, weil diese Wohnungen in unserem System nach einer gewissen Zeit immer ihren Status verlieren. Dieses Jahr investiert die Bundesregierung 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, Tendenz steigend. Müssten wir nicht mal zugeben, dass dieses System überhaupt nicht funktioniert?

Weber-Moritz: Wir haben aktuell rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen und elf Millionen potenziell Anspruchsberechtigte. Das Verhältnis stimmt also überhaupt nicht. Wir sind deshalb beim Deutschen Mieterbund schon sehr lange der Auffassung, dass wir aus dieser zeitlich befristeten Preisbindung herauskommen müssen. Es muss gelten: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung. Die Stadt Wien hat beispielsweise mit ihren Gemeindewohnungen ein wirklich großes Angebot für sehr viele Menschen bereitgestellt und schafft es dadurch, die Mietpreise insgesamt zu dämpfen. Das muss auch unser Ziel sein. Wir brauchen langfristig bezahlbaren Wohnraum.

taz: Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit, die unter der Ampelregierung eingeführt wurde, können Unternehmen Steuervorteile bekommen, wenn sie dauerhaft preisgünstigen Wohnraum schaffen. Verspricht das Erfolg?

Weber-Moritz: Es gab in der alten Bundesrepublik sehr lange eine Wohngemeinnützigkeit. Damals wurden rund ein Viertel der Neubauwohnungen darüber geschaffen, insgesamt 4,8 Millionen. Aber 1990 wurde die Wohngemeinnützigkeit wieder abgeschafft, weil man der Auffassung war, Deutschland sei „zu Ende gebaut“. In der Folge haben wir jetzt deutlich zu wenige kommunale, gemeinnützige oder genossenschaftliche Wohnungen, die günstige und faire Preise bieten. Die Wiedereinführung war deshalb gut und richtig, aber es fehlt die dafür notwendige Finanzierung, damit sich das ganze Segment etablieren kann.

taz: Könnte die Bundesregierung die Mittel, die für den sozia­len Wohnungsbau gedacht sind, nicht einfach in die Gemeinnützigkeit stecken?

Weber-Moritz: Wir brauchen beides. Aus dem Haushalt fließt schon zu wenig Geld in den sozialen Wohnungsbau. In diesem Jahr sind es 3,5 Milliarden Euro. Wir fordern von Bund und Ländern 12,5 Milliarden jährlich sowohl für den so­zia­len Wohnungsbau als auch für den Bau bezahlbarer Wohnungen. Der Bedarf ist da, die Städte wachsen – und dies wird zunehmend auch zur wirtschaftlichen Frage. Menschen können einen neuen Arbeitsplatz in einer Stadt nur antreten, wenn sie dort auch eine Wohnung finden.

taz: Gleichzeitig ist die Wohnfläche in Deutschland sehr ungleich verteilt.

Weber-Moritz: Wir haben einen Generationenunterschied, der sich immer mehr bemerkbar macht. Die ältere Generation hat vielleicht noch Eigentumswohnungen oder große, noch günstige Mietwohnungen. Aber sie zieht nicht aus, weil jeder Umzug viel teurer und eine Verschlechterung wäre. Gleichzeitig suchen viele junge Menschen verzweifelt nach einer passenden bezahlbaren Wohnung. Auf den Wohnungsmärkten bewegt sich kaum etwas, wir haben quasi einen Stillstand. Es gibt viele Ideen, wie man das verändern kann, etwa durch Wohnungstausch – aber in der Praxis funktioniert es leider nicht.

taz: Dabei gibt es an manchen Orten auch hohe Leerstände. Welches Potenzial bietet der vorhandene Bestand?

Weber-Moritz: Allein aus Umwelt- und Klimaschutzgründen ist es natürlich attraktiver, Bestände zu ertüchtigen, aufzustocken, nachzuverdichten oder beispielsweise Bürogebäude zu Wohnungen umzugestalten, statt neu zu bauen.

taz: Eine große Herausforderung der nächsten Jahre ist, den Gebäudebestand zu sanieren, um die Klimaziele zu erreichen. Leider ist das mit großen Mieterhöhungen verbunden. Warum wird das so wenig thematisiert?

Weber-Moritz: Mir ist das Thema ein Herzensanliegen. Der überwiegende Teil der 21 Millionen Mieterhaushalte lebt in alten Gebäuden, die schlecht gedämmt sind und überwiegend fossil beheizt werden. Dort ist der Bedarf der Sanierung am größten. Gleichzeitig erhöht sich die Miete nach einer Sanierung signifikant – und das betrifft vor allem die Einkommensschwächeren.

taz: Nach den derzeitigen Regeln kann sich eine 50-Quadratmeter-Wohnung nach einer Modernisierung um bis zu 150 Euro monatlich verteuern.

Weber-Moritz: Wir machen im Jahr rund eine Million Rechtsberatungen, unter anderem zum Thema Modernisierungsmieterhö­hung. Unserer Erfahrung nach ist die Miete nach einer Modernisierung im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent höher. Andererseits: Wird nicht saniert und energetisch ertüchtigt, haben Mieter das Pro­blem steigender Energiekosten. Es ist also aus klimapolitischer und sozialpolitischer Sicht nötig, die Bestände schnellstmöglich zu sanieren. Wir müssen es aber für Mieter kostengünstiger regeln.

taz: Tatsächlich sparen Mie­te­r*in­nen durch eine Sanierung auch Energiekosten ein, aber das gleicht nicht die Mieterhöhung aus. Wie geht es besser?

Weber-Moritz: Wir könnten warmmietenneutral sanieren. Das könnte der Gesetzgeber beispielsweise regeln, indem er die Modernisierungsumlage auf rein energetische Sanierungen beschränkt. Im Moment können 8 Prozent der Kosten von Modernisierungsmaßnahmen dauerhaft auf Mietende umgelegt werden, zum Teil unabhängig davon, ob sie Energie einsparen – zum Beispiel auch ein neuer Fahrstuhl oder Balkon. Zudem muss der Staat Sanierungen stärker fördern, damit sich die Investition für Vermieter lohnt.

taz: Wie hoffnungsvoll sind Sie bei der aktuellen Regierung?

Weber-Moritz: Bei diesem Thema eher skeptisch – ich befürchte, dass es hinten herunterfallen könnte.

taz: Wo sehen Sie im Mietrecht außerdem Handlungsbedarf?

Weber-Moritz: Die einfache Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 reicht nicht. Sie hat viele Ausnahmetatbestände, unter anderem umfassende Sanierung und Neubau ab 2014. Die Mietpreisbremse muss verschärft und verbessert werden, indem sie ohne Ausnahmen bundesweit und unbefristet gilt und bei Nichteinhaltung ein Bußgeld droht. Darüber hinaus müssen möbliertes Wohnen, Indexmieten und Kurzzeitvermietung stärker reguliert und Wuchermieten geahndet werden. Für Bestandsmieten brauchen wir einen bundesweiten Mietenstopp.

taz: Wenn heute ein Vermieter eine Wohnung laut Mietpreisbremse zu teuer vermietet, muss er keine Strafe fürchten. Warum ist das so?

Weber-Moritz: Weil es derzeit nicht anders geregelt ist. Aber es gibt den Vorstoß der Bundesjustizministerin, den Verstoß zukünftig mit einem Bußgeld zu ahnden. Es soll eine Expertenkommission geben, die sich damit und mit dem Thema Mietwucher befasst. Wir müssen die Mietenexplosion auf vielen Ebenen besser in den Griff bekommen.

taz: Die Union würde eher sagen: Wir müssen die Eigentumsbildung stärken, dann wären Menschen unabhängiger vom Mietmarkt.

Weber-Moritz: Dieser Wunsch ist an vielen Orten völlig illusorisch. Deutschland ist ein Mieterland. In Berlin leben über 80 Prozent der Menschen zur Miete. Bei den heutigen Bau- und Immobilienpreisen können sich nur sehr wenige Eigentum leisten. Natürlich kann man auch die Eigentumsbildung fördern, aber das löst nicht das Problem auf den angespannten Wohnungsmärkten.

taz: Der Staat versucht mit dem Wohngeld Menschen bei hohen Mietkosten zu unterstützen. Manche kritisieren, das sei ein Preistreiber, zudem lande das Geld indirekt in den Taschen von Vermietern und Wohnungskonzernen.

Weber-Moritz: Das Wohngeld ist ein wichtiges Instrument, um Menschen akut zu helfen. Gleichzeitig löst es nicht das Problem im Kern: Wenn die Mieten steigen, muss auch der Anteil bei den Wohnkosten entsprechend wieder höher angesetzt werden, damit man die Wohnung weiterhin bezahlen kann. Das ist keine gute Dynamik. Wir brauchen ein Segment auf dem Wohnungsmarkt, das dauerhaft bezahlbar bleibt.

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