piwik no script img

Zur Eröffnung der 1. Internationalen Arbeiter-­Olympiade versammelten sich am 24. Juli 1925 rund 100.000 Menschen in Frankfurt Foto: arkivi/picture alliance

Olympische Spiele der ArbeiterbewegungSportler, hört die Signale!

Vor 100 Jahren wurde Frankfurt am Main zum Schau­platz der Ersten Arbeiterolympiade – ein Ereignis, das Klassenbewusstsein auf die Bühne brachte.

P aul Schuster war dabei, an diesen vier Tagen im Sommer 1925. Der damals 20-jährige Gewerkschafter und gelernte Modellschreiner nahm als Fußballer an der ersten Internationalen Arbeiterolympiade in Frankfurt am Main teil. Das war vor 100 Jahren, am 24. Juli. Fast 100.000 Menschen waren in das „Große Frankfurter Stadion“ gekommen, das damals als eine der modernsten Sportstätten der Welt galt.

Es war faktisch die Eröffnung des späteren Waldstadions, das heute „Deutsche Bank Park“ heißt, zuvor einige Jahre lang „Commerzbank-Arena“. Schon diese Umbenennungen erzählen eine Geschichte.

An die Arbeiterolympiade erinnert sich heute kaum noch jemand. Zum Glück haben Paul Schuster, der 1998 starb, und andere Teilnehmer oft von ihr erzählt. Es war die „gewaltigste Kundgebung, die Frankfurt, ja vielleicht Deutschland je erlebt hat“, wie das Offenbacher Tageblatt schrieb. Und das ist noch sehr bescheiden ausgedrückt: Es war eines der bis dahin größten Sportereignisse der Welt.

Viel Presse kam. Selbstverständlich waren die Blätter, die der SPD gehörten, vor Ort. Und die auch im Arbeitersport konkurrierende KPD-Presse schaute ebenfalls genau hin. Die bürgerliche Frankfurter Zeitung war mit vier Sonderkorrespondenten vertreten. Sie sahen Sport, den sie so nicht kannten. Und zwar auf einem Niveau, das sie nicht für möglich gehalten hatten.

Die Arbeitersportbewegung

1878 bis 1890 Sozialistengesetze in Deutschland. Sport- und Kulturvereine werden als Tarnorgani­sationen gegründet. Bürgerliche Turn­vereine verweigern oft Arbeitern die Auf­nahme.

1893 Der Arbeiter-Turnbund (ATB) wird in Gera gegründet.

1919 Aus dem ATB wird der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB).

1920 In der Schweiz entsteht die sozialdemokratisch dominierte Luzerner Sportinternationale (ab 1928: Sozialistische Arbeitersport-­Internationale).

1921 In Moskau formiert sich die kommunistisch orientierte Rote Sportinternationale.

1921In Prag wird die Dělnická Olympiáda mit über 20.000 Teilnehmern und 150.000 Zuschauern veranstaltet, eine erste Arbeiterolympiade. Zeitgleich organisiert der kommunistische Arbeitersport der Tschechoslowakei eine Spartakiade mit 24.000 Teilnehmern und 100.000 Zuschauern.

1925 In Frankfurt am Main findet die 1. Internationale Arbeiterolympiade statt: 100.000 Teilnehmer und 450.000 Zuschauer.

1928 Der ATSB spaltet sich: Kommunistischerseits entsteht die Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport (ab 1930 Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit, KG).

1928 In Moskau steigt die 1. Internationale Sparta­kiade: 30.000 Teilnehmer und 200.000 Zuschauer.

1931 Die 2. Internationale Arbeiterolympiade findet in Wien statt.

1931 Die parallel in Berlin organisierte 2. Inter­nationale Spartakiade wird untersagt.

1933 Im Februar 1933 verbietet das NS-Regime den Arbeitersport der KG.

1933 Im Mai 1933 wird auch der ATSB verboten. Arbeitersportler werden verhaftet.

1937 In Antwerpen findet die 3. Internationale Arbeiterolympiade statt – mit sozial­demokratischen und kommunistischen Teilnehmern.

1945 Die Wiedergründung bürgerlicher Sport­vereine wird von den Alliierten untersagt.

1945 Die Naturfreunde, Wander­organisation des Arbeitersports, erhalten enteignete Häuser und Hütten zurück.

1946 Arbeitersportler gründen Zusammenschlüsse für demokratische Sportstrukturen, die späteren Landessportbünde.

1949 Der Rad- und Kraftfahrerbund (RKB) Solidarität gründet sich wieder und kämpft um Restitution. Außer Naturfreunde und RKB gibt es keine früheren Arbeitersportverbände mehr.

1949/50 Die bürgerlichen Sportverbände kehren zurück.

1950 Der Deutsche Sportbund (DSB) gründet sich.

1977 Nach jahrzehntelangen Kämpfen darf der RKB Solidarität Mitglied des DSB werden. Die Konflikte mit dem Bund Deutscher Radfahrer gehen weiter.

Am 25. Juli, schon morgens um 8 Uhr, fand das „Langsamfahren“ statt. Mit dem Fahrrad musste eine Strecke von 100 Metern absolviert werden. Ohne umzufallen, ohne abzusetzen, ohne rückwärts zu fahren. Gewonnen hatte Valentin Stieber aus Güntersleben bei Würzburg in einer Zeit von 14 Minuten und 22 Sekunden. „Immerhin ist auch dies interessant“, vermerkte der sozialdemokratische Vorwärts leicht irritiert. Die 37.000 Zuschauer in der Radrennbahn waren schlicht begeistert.

Der Arbeitersport zielte nicht aufs Gewinnen, schon gar nicht sollten nationalistische Schlachten geschlagen werden

Es ging nicht um das Gewinnen

An einem anderen Tag erlebten die Besucher, wie der Main beleuchtet wurde, „verschönt durch lampiongeschmückte Schwimmer und Ruderboote“, war die Frankfurter Zeitung beeindruckt. Daneben gab es auch solche Wettbewerbe: Tauziehen in drei Gewichtsklassen, ein 10-Kilometer-Straßengehen, und in der Frauenleichtathletik wurde zum allgemeinen Stolz ein Weltrekord aufgestellt. Die deutsche 4x100-Meter-Staffel gewann in 51,3 Sekunden deutlich vor den Finninnen, deren Team damals sonst beinah alles in der Leichtathletik dominierte.

Offiziell anerkannt wurde dieser Weltrekord jedoch nicht, denn es war ja Arbeitersport. Also etwas ganz anderes als der Sport, der in Verbänden wie dem Deutschen Fußball-Bund oder der Deutschen Turnerschaft betrieben wurde. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war die Bewegung gewachsen, und mit den Konflikten zwischen SPD und KPD spaltete sich auch der Arbeitersport. Die Arbeiterolympiade in Frankfurt war sozialdemokratisch geprägt.

Gemeinsam war allen Arbeitersportlern die Ablehnung der Spiele des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Die Arbeiter-Turnzeitung lobte die Frankfurter Veranstalter, die „mehr vom Volkssport und internationalen Sportsgeist verstehen als die, die in Deutschland sich erlauben, im Rattenfängergeist die große Flöte zu spielen, und innerlich doch wirklich arm sind in ihrem hohlen Nationalstolz“.

Beim „Langsamfahren“ war Geschick gefragt – 100 Meter mussten auf dem Fahrrad möglichst langsam absolviert werden Foto: Erste Internationale Arbeiter-Olympiade zu Frankfurt-M, 24. bis 28. Juli 1925, Festbuch

Internationalismus war zentral. „Als beim Einmarsch der Nationen die Franzosen mit einer wuschelköpfigen Französin, die das Schild 'France’ getragen hatte, in das Stadion einmarschierten, da sprangen 40.000 Menschen vor Begeisterung auf“, berichtete Paul Schuster Jahrzehnte später. „Das war für mich also das größte Erlebnis, dass 40.000 Menschen dem Todfeind oder dem Erzfeind Frankreich so viel Sympathie entgegen brachten, als diese Franzosen einmarschierten.“

Es wurde gemeinsam die „Internationale“ gesungen

Vor den Wettkämpfen wurden nicht die Nationalhymnen gespielt, sondern alle sangen gemeinsam die „Internationale“. Auch die Sportarten sollten möglichst anders sein. Das Langsamradfahren war nur ein Beispiel. Im Radsport fanden zudem Wettkämpfe im Reigenfahren statt: Da mussten Figuren vorgeführt werden, teils sehr artistisch als „Steuerrohrreigen“, bei dem man nur auf dem Hinterrad fährt.

Vor den Wettkämpfen wurden nicht die Nationalhymnen gespielt, sondern alle sangen die Internationale

Arbeitersport wandte sich gegen den „Rekordsport“, gegen das „Höher, schneller, weiter“ des bürgerlichen olympischen Sports. Mit dem Begriff „Sporttaylorismus“ wurde die Ähnlichkeit von sportlichem Training und industrieller Fließbandfertigung angegriffen. Arbeitersport wollte den Kapitalismus überwinden und verstand sich als Teil einer neuen, einer sozialistischen Kultur.

„Systemwettstreit“ war der wohl bemerkenswerteste neue Sport, der dargeboten wurde. Systemwettstreit war extra für diese Olympiade ausgetüftelt worden. Es war kompliziert und ambitioniert oder, wie die Frankfurter Zeitung urteilte, „seltsam und bedeutend zugleich“. Jedem Teilnehmerland wurde hier die Aufgabe gestellt, „sein heimatliches Übungssystem“ vorzuführen, wie es im Regelbuch hieß. Ein Kampfgericht sollte dann entscheiden, ob die Übungsstunde, die gezeigt wurde, einen Einblick in den Trainingsalltag jedes Teilnehmerlandes ermöglichte und ob dies dort auch „als Ideal der körperlichen Erziehung für die Allgemeinheit empfunden wird“. Aus den Erfahrungen, die in der ganzen Welt mit Turnen und Sport gemacht wurden, sollte nämlich das Beste herausgefiltert werden: für die Körperkultur einer neuen Zeit.

Allein, diesen Kram namens Systemwettstreit verstand kaum jemand. Die Organisatoren waren enttäuscht: „Lag es nun daran, dass die Aufgabe, die der internationale technische Ausschuss gestellt hatte, nicht noch eine spezialisierte Erläuterung enthielt, oder lag es an der Schwierigkeit der sprachlichen Verständigung überhaupt, kurz, es stellte sich jedenfalls heraus, dass die Nationen die Aufgabe ganz verschieden verstanden hatten.“ Trauriges Fazit im Abschlussbericht: „Es war kein Systemwettstreit.“

Alles andere, außer diese merkwürdige neue Disziplin, funktionierte aber gut. Die „Lebende Schachpartie“ etwa war vom Arbeiter-Schachbund eigens für die Olympiade konzipiert worden. „Die nachstehende Partie führt uns in die Zeit der großen französischen Revolution im Jahre 1789“, hieß es zur Erläuterung des Spiels mit menschlichen Figuren. „Sie zeigt, wie nach und nach die herrschenden Klassen im Kampfe gegen die Unterdrückten ihre Machtpositionen verlieren, und die letzteren durch Opferung ihrer besten Kämpfer zur Herrschaft gelangen.“ Mit dem ersten Zug e2-e4 begannen die vorrevolutionären Unruhen, nach dem 24. Zug war der König matt.

Arbeiterolympiade war kein Kuriosum

Noch mehr Kultur wurde geboten, nicht nur im Rahmenprogramm mit seinen Ausstellungen und Theaterdarbietungen. Es gab ein eigens für die Arbeiterolympiade komponiertes Weihespiel „Kampf um die Erde“, das 1.200 Arbeitersänger und -sängerinnen vortrugen: „Neuer Mensch / Du siehst die Wunden / offen noch / an deiner Erde. / Sie zu heilen / rüste dich / mach dich stark“. Ein „Festzug der Nationen“ mit mehr als 100.000 Arbeitersportlern sowie Trommlern und Spielmannszügen mit Transparenten, auf denen „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“, „Kämpft für den Achtstundentag!“ oder „Meidet den Alkohol!“ stand, zog durch Frankfurt. Und zum Abschluss der Olympiade sangen 100.000 Arbeitersportler die „Internationale“.

Foto: Erste Internationale Arbeiter-Olympiade zu Frankfurt-M, 24. bis 28. Juli 1925, Festbuch

Die Zahlen beweisen es: Die Internationale Arbeiterolympiade war kein Kuriosum. Es war eins der größten Sportfeste der Welt, und es stellte nicht nur die Organisatoren, sondern auch die Stadt Frankfurt, regiert von dem liberalen jüdischen Bürgermeister Ludwig Landmann, vor große Herausforderungen.

Die vielen Teilnehmer und Besucher mussten ja essen und irgendwo schlafen. „Bei der heutigen Wohnungsnot, die durch die Inflationszeit und die schlechte Bautätigkeit sich nicht vermindert, sondern vergrößert hat, ist es außerordentlich schwer, eine Besucherzahl von nahezu hunderttausend Personen in einer Stadt und deren Umgebung unterzubringen“, schrieb die Volkswacht.

103 Frankfurter Schulen wurden als „Massenquartiere“ angeboten. Täglich wurden bis zu 25.000 Eintopfgerichte zum Selbstkostenpreis ausgegeben, für die die Infrastruktur der Schulspeisung genutzt werden durfte. Die Stadt half viel: Nicht nur das Waldstadion, auch die daneben liegende Radrennbahn und das Stadionbad wurden neu errichtet. Für deren Bau war ein Beschäftigungsprogramm aufgelegt worden, in dem auch etliche Arbeitersportler Lohn und Brot fanden.

Ganz reibungslos verlief allerdings die Zusammenarbeit nicht. Im offiziellen Pressedienst der Arbeiterolympiade wurde bemängelt, „dass nicht alle Kräfte der Stadtverwaltung in unserem Interesse angewandt werden. Eine bürgerliche Olympiade hätte mehr Verständnis gefunden“.

Es ging ums gegenseitige Kennenlernen

Mit der Reichsbahn hatten die Veranstalter 40 Sonderzüge vereinbart, die allerdings sehr einfach waren. Die Volksstimme fühlte sich an die Waggons erinnert, die 1914 die Männer zur Front gekarrt hatten. „Damals fuhren sie ihre Menschenlasten gegeneinander zum Kampf, hetzten sie in blutige Zerfleischung“, heißt es, „diesmal brachten sie die Massen zu einem Fest der Einheit, zu einer Kundgebung des Friedens.“ Doch ausgehandelte Preisermäßigungen für Zugtickets wurden von der Reichsbahndirektion für nichtig erklärt. Begründung: Zwischenzeitlich seien ja die Löhne erhöht worden.

Ähnliche Erfahrungen machten die Veranstalter mit der Post. Ein Poststempel wurde als Werbung für die Olympiade vertraglich vereinbart, doch die Post kündigte dies einfach. „Als Grund wird angegeben“, heißt es im Olympiade-Pressedienst, dass dort ein „Artikel mit parteiischer Tendenz veröffentlicht“ worden sei. Dies sei der Beweis, dass die Olympiade nicht politisch neutral sei. „Für uns wird durch dieses Verhalten der Post nur der Wille gestärkt“, kommentierte der Pressedienst trotzig, „die Olympiade zu einer imposanten Kundgebung zu machen.“

Den angereisten Teilnehmern und Besuchern sollte viel geboten werden. Die Naturfreunde, die Tourismusorganisation der Arbeiterbewegung, organisierten Wanderungen durch den Taunus, und auch Bootsfahrten auf dem Main und dem Rhein wurden angeboten. Stolz verkündeten die Veranstalter, dass es gelungen war, „60 Prozent Preisermäßigung von der Dampfschifffahrt zu erlangen, so dass die Rheinfahrt nur auf 3 Mark zu stehen kommt“.

Insgesamt wurde im Nachhinein geschätzt, dass es 450.000 Zuschauer und Teilnehmer dieser Arbeiterolympiade gab. An den vielen Massenfreiübungen nahmen 100.000 Menschen teil. Allein im Turnen waren es 17.000 Teilnehmer. Und im Fußball trugen 40 Mannschaften etwa 260 Spiele aus, für die Plätze in ganz Frankfurt und Umgebung gefunden wurden. Auch Paul Schuster und seine Freie Turnerschaft Bockenheim kickten hier mit.

Bei den olympischen Wettkämpfen im engeren Sinne starteten immer noch etwa 3.000 Sportlerinnen und Sportler aus zwölf Verbänden, die nicht ganz identisch mit Ländern waren: So war etwa ein Verband „Tschechoslowakei-Prag“ und einer „Tschechoslowakei-Aussig“ dabei, aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina waren Sportler angereist, und auch die Freie Stadt Danzig hatte eine eigene Delegation.

Als alles vorbei war, holte die Frankfurter Zeitung, eines der großen bürgerlichen Blätter der Weimarer Republik, ein „Urteil des Fachmanns“ ein. Ein hoher Funktionär des deutschen bürgerlichen Sports, Wilhelm Dörr, wurde um einen Vergleich mit den Olympischen Spielen des IOC gebeten. „Es war eine Über-Olympiade im Über-Stadion“ schrieb der begeistert über das Frankfurter Fest. Er habe ein „Meisterstück“ gesehen, „das nach meinen Begriffen vorher niemand in der Welt so vollendet fertigbrachte“.

Das Fußballfinale gewann Deutschland 2:0 gegen Finnland. Da zu den Besonderheiten des Arbeitersports gehörte, dass Personenkult nicht erlaubt war, fanden sich weder in den Protokollen noch in den Berichten über die Fußballspiele Namen der Torschützen oder bestimmter Spieler. Das las sich dann so: „Der deutsche Torwart zeigte seine hohe Klasse und war in allen Arten der Abwehr erfolgreich.“ Auch der hochgelobte „deutsche Mittelstürmer“ blieb anonym.

In der fachlichen Auswertung des Finals durch die Veranstalter war von „einem überzeugenden Sieg der Deutschen wenigstens in dieser Kampfart“ die Rede, auch wenn ein Unentschieden gerechter gewesen wäre. Leicht gönnerhaft hieß es noch: „Den Finnen soll aber noch eine Anerkennung zuteil werden, und zwar für ihr ruhiges, widerspruchsloses Auftreten, auch dann noch, als der Schiedsrichter mehrere Abseitsstellungen zuungunsten der Finnen übersah bzw. falsch entschied.“

Vom sportlichen Niveau der Fußballwettbewerbe waren alle Beobachter begeistert. Das bürgerliche Fachblatt Der Fußball beispielsweise legte sich nach dem Finale fest: Die Auswahl der Arbeitersportler würde die offizielle Nationalmannschaft des DFB schlagen – und zwar „nach Belieben“.

Nur: Darauf kam es niemandem an, zumindest offiziell nicht. Der Arbeitersport zielte nicht aufs Gewinnen, schon gar nicht sollten nationalistische Schlachten geschlagen werden. Es ging ums gegenseitige Kennenlernen, fremde Sportkulturen sollten entdeckt werden. „Außer Fußball werden noch andere Ballspiele vorgeführt, auch solche, die von deutschen Arbeitersportlern bisher nicht gespielt wurden“, schrieb der Pressedienst.

Finanziell ein Desaster

Entsprechend gaben die Veranstalter auch bereitwillig die Organisation in kompetentere Hände: „Beim Tennis hat Frankreich die Leitung, beim Korbball wird nach belgischen Regeln gespielt.“ Auch Wettbewerbe im Faustball und im Trommelball, ein Rückschlagspiel mit einem tamburinähnlichen Schläger, wurden ausgetragen und beim damals in Deutschland – zumindest im Arbeitersport – kaum bekannten Hockey wurde gleich das Wissen vermittelt, wie man das Wort (vermeintlich) aussprechen sollte: „Hockey (sprich: Höcki)“.

Finanziell war die Erste Internationale Arbeiterolympiade ein Desaster, die Veranstalter machten jede Menge Schulden. Aber sportlich und politisch war die Bilanz großartig. Nicht nur sozialdemokratische Zeitungen, auch bürgerliche Blätter waren begeistert. Zurückhaltend war die Reaktion der kommunistischen Seite. Dieser Flügel des Arbeitersports hatte sich gegenüber der Frankfurter Olympiade zunächst unentschieden verhalten. Weil die Sowjetunion nicht eingeladen war, hatte etwa der Berliner Arbeitersport, in dem der kommunistisch geführte ASV Fichte dominierte, ­gegen eine Teilnahme votiert, letztlich aber waren allein von Fichte doch 174 Sportler dabei. Die Rote Fahne, Tageszeitung der KPD, schimpfte später, dass ihre „unermüdlichen Anstrengungen für die Einheitsfront“ bei den Olympiade-Veranstaltern „nicht die entsprechende Würdigung gefunden“ hätten. Der Vorwärts, die Zeitung der SPD, schüttete daraufhin Häme über die Kommunisten aus: „Die blamierten Moskauer!“

1928 veranstaltete der kommunistische Arbeitersport in Moskau sein erstes Weltfestival, die Spartakiade, eine Antwort auf die sozialdemokratische Arbeiterolympiade. Sie fiel nicht ganz so riesig aus wie der Frankfurter Auftakt, groß und beeindruckend war sie aber auch. Sie wurde parallel zu den bürgerlichen Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam ausgetragen. Eine ähnliche Herausforderung versuchte Moskau drei Jahre später: 1931 fand in Wien die 2. Internationale Arbeiterolympiade statt. Zeitgleich sollte die 2. Internationale Spartakiade in Berlin stattfinden. Doch der Berliner Polizeipräsident und die sozialdemokratische Regierung Preußens verboten das Sportfest.

Erst 1937, als die Nazis in Deutschland schon längst an der Macht waren, fanden Sozialdemokraten und Kommunisten zusammen – bei der 3. Internationalen Arbeiterolympiade, die im belgischen Antwerpen stattfand. Es war die letzte dieser Veranstaltungen, und auch wenn nur etwa 700 statt der erwarteten 4.000 bis 5.000 Sportler zu den offiziellen Wettkämpfen kamen, gilt Antwerpen ebenfalls als großer Erfolg. Zur Eröffnung kamen hier 100.000 Menschen.

Auch Paul Schuster war in Antwerpen. 1937 war er zusammen mit Freunden auf dem Fahrrad von Frankfurt nach Belgien gefahren. Seine Freie Turnerschaft Bockenheim, ein Arbeitersportverein, war 1933 verboten worden, aber als loser Verbund trafen sich die Freunde weiter. Für die Strecke Frankfurt–Antwerpen brauchten Schuster und seine Freunde zwei Tage plus eine Nacht. Eine weitere Internationale Arbeiterolympiade hat es nie mehr gegeben.

Fairplay fürs freie Netz

Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Zwar hat es nie mehr eine weitere Internationale Arbeiterolympiade gegeben, aber die Solijugend werden die erste Arbeiterolympiade von 1925 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums im Jahr 2025 wieder aufleben lassen mit einem Sport- und Kulturfest bei Frankfurt (3-5. Oktober).

    solijugend.de/even...arbeiterolympiade/

  • Die Politisierung des Sports durch die sozialistischen Arbeiterturnvereine führte nur zur Spaltung der Turnerschaft. Daraus entwickelte sich auch der Nationalsozialistische Sport.



    Vergleichbare Veranstaltungen gab es später beim Hitler und im Ostblock (Turnfeste, Spartakiaden, Weltfestspiele. Die Olympiaden auf der Basis der antiken griechischen Kultur blieben beim IOC.

  • Hochinteressant, gibt es dazu mehr Quellen?

    • @Axel Schäfer:

      Unter dem Info-Einschub „Die Arbeitersportbewegung - 1878 bis 1890 Sozialistengesetze in Deutschland. etc pp."



      steht „mehr anzeigen" - mit einem Down-Pfeil.



      Nach Anklicken wird eine ergänzende Tabelle angezeigt.

  • Hochinteressanter Artikel, vielen Dank dafür!



    In Anbetracht der mittlerweile vollständigen Verkommenheit des IOC sollte man an eine Wiederbelebung der Idee denken, gerne klassenübergreifend.

  • Klassenbewusstsein und Klassenkampf ändern auch nichts, wenn sie nur eine weitere Bühne des Wettbewerbs bleiben und nicht dazu führen, die Gesellschaftsordnung grundsätzlich zu ändern: Weg vom Wettbewerb und streben nach einem größeren Stück vom Kuchen, hin zur solidarischem Handeln in Wirtschaft und (Welt-)Gesellschaft. Real-existierender Sozialismus, Sozialdemokratie, Grüne und manche Bürgerrechtsbewegung machen vor, wie es nicht geht. Sie haben das „Schlachtfeld“ nur um neue Themen und weitere organisierte Gruppen erweitert. Heute sehen die meisten Menschen nicht einmal mehr, dass der Wettbewerb ihr Leben bestimmt oder zelebrieren diese noch als einzig wahre, einzig mögliche und auch noch unterhaltsame Ordnung der Dinge und des Lebens.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Eben hatte ich vergessen, warum Linke - und besonders die Linken mit solider Basis und historisch-materialistischem Überbau - als die Spaßbremsen des Universums gelten.

      Danke, jetzt weiß ich's wieder.

      Ich fand den Artikel super! - Das Beste und informativste, was ich heute gelesen habe.

      Danke



      Euer Sohn von Karl Marx und Otto Waalkes



      Oliver