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Italienischer MedienrieseBerlusconi junior

Die Mediengruppe der Familie Berlusconi will ihren Anteil bei ProSiebenSat.1 aufstocken. Das würde die Medienmachtstruktur in Deutschland verändern.

Gescheiterter Philosophiestudent, heute Medienmogul: Pier Silvio Berlusconi Foto: Mairo Cinquetti/picture alliance

Die Meldung sorgt in der Medienbranche derzeit für Aufruhr: Die italienische Gruppe Media for Europe (MFE) kündigte am vergangenen Montag an, ihren Anteil beim Privatsender ProSiebenSat.1 aufstocken und ihr Angebot an die Aktionäre erhöhen zu wollen. Die Frist für eine Annahme des Angebots läuft noch bis 13. August.

Auch der tschechische Konzern PPF machte ein Angebot, weshalb in manchen Medien von einem „Machtkampf zwischen Großaktionären“ die Rede war. Dass eher der italienische Konzern es in die Schlagzeilen schaffte, hängt damit zusammen, dass er bereits einen Anteil von 30 Prozent hält. Und vor allem damit, dass MFE nicht irgendein Unternehmen ist.

Media for Europe gehört zur Familie Berlusconi. Der ehemalige italienische Premierminister Silvio Berlusconi, der seine Karriere als Bauunternehmer begann, investierte ab den Siebzigerjahren in das damals neu zugelassene kommerzielle Fernsehen in Italien. Er kaufte einige bereits existierende Sender und machte daraus ein TV-Imperium mit dem Namen Mediaset, das damals de facto nur gegen den Staatssender konkurrierte.

Inzwischen ist Mediaset aufgrund des Wettbewerbes mit anderen Pay-TV-Anbietern und Streaming-Plattformen nicht mehr so dominant wie etwa in den Neunzigerjahren, aber immer noch bleibt es der größte private Medienkonzern des Landes. Seine Muttergesellschaft Media for Europe hat durchaus internationale Ansprüche, wie der Name selbst und die Verlegung des Rechtssitzes vor einigen Jahren nach Amsterdam zeigen. Unternehmenschef ist Pier Silvio Berlusconi, Sohn des 2023 verstorbenen Silvio Berlusconi und zweites von insgesamt fünf Kindern.

Außerhalb Italiens ist die Mediengruppe der Familie vor allem in Spanien präsent. Dort ist sie Eigentümerin des TV-Senders Telecinco, der zu den führenden privaten Fernsehunternehmen zählt. Auch in Deutschland will Media for Europe offensichtlich expandieren: Schon 2006 hatte Silvio Berlusconi, nur Monate nachdem er aufgrund einer Wahlniederlage den Posten des Ministerpräsidenten räumen musste, ein Kaufangebot bei ProSiebenSat.1 vorgelegt, doch daraus wurde nichts. 2019 ist das Unternehmen beim Münchner Fernsehsender eingestiegen und hat seitdem kontinuierlich aufgestockt. Jedes Mal läuteten sofort die Alarmglocken – und auch dieses Mal waren die Reaktionen alles andere als begeistert.

Medienmacht in Deutschland

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat nun Unternehmenschef Pier Silvio Berlusconi ins Kanzleramt eingeladen, um über eine eventuelle Übernahme, journalistische Unabhängigkeit und den Erhalt von Arbeitsplätzen zu diskutieren. Das Gespräch soll nach der Sommerpause stattfinden. „Ein Eigentümerwechsel bei einem Medienkonzern wie ProSiebenSat.1 wäre weit mehr als nur ein normales Geschäft“, sagte Weimer der Nachrichtenagentur Reuters. „Die potenzielle Übernahme würde die Medienmachtstruktur in unserem Land beeinflussen.“

Der Deutsche Journalisten-Verband kündigte an, die Initiative des Ministers zu unterstützen. „Wir warnen bereits seit Längerem vor der Übernahme durch die Berlusconi-Erben. Zum einen aus Sorge um journalistische Arbeitsplätze, zum anderen wegen der bedenklichen Nähe der MFE-Medien zu rechtspopulistischen Positionen“, so DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster in einer Mitteilung. ProSieben steht momentan unter Druck, das Management hat im Mai angekündigt, rund 430 Vollzeitstellen streichen zu wollen.

In Italien ist Mediaset für Unterhaltung, Sensationalismus und Trash-TV bekannt. Vor allem in den Neunziger- und Nullerjahren propagierte das Unternehmen ein durchaus sexistisches Frauenbild, das sich in der Gesellschaft stark verankert und auch die Öffentlich-Rechtlichen beeinflusst hat. Inzwischen hat sich die Darstellung der Frau ein bisschen verbessert und der Erbe Pier Silvio Berlusconi will das Angebot mehr auf Infotainment und Reality und weniger auf Trash-Formate ausrichten.

Trotzdem bleiben Rete 4, Canale 5 und Italia 1 – die drei wichtigsten Sender der Gruppe – das Zuhause von umstrittenen, ja sogar problematischen Sendungen. Der für seine rassistischen und xenophoben Aussagen bekannte Journalist Mario Gior­dano (der mit dem in Deutschland geborenen Schriftsteller nur den Namen teilt), hat dort eine eigene Talkshow. Das Dating-Format „Uomini e donne“, bei dem die sogenannten Ver­eh­re­r*in­nen um die Liebe eines oder einer „Tronista“ kämpfen (der Begriff kommt von dem Wort „Thron“), ist oft an Gehaltlosigkeit kaum zu überbieten – und zählt trotzdem zu den bekanntesten Programmen des Landes.

Politische Ambitionen?

Vor allem aber hat Silvio Berlusconi die Grenzen zwischen Fernsehen und Politik verschwimmen lassen. Er hat sein Medienimperium genutzt, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen und seine politische sowie wirtschaftliche Macht auszubauen.

Wird auch der Erbe Pier Silvio Berlusconi das Fernsehen nutzen, um sich zu etablieren? Aktuell ist der 56-Jährige, der ein Philosophiestudium abgebrochen hat und in verschiedenen Aufsichtsräten der Familienunternehmen sitzt, nur als Manager tätig und verhält sich etwas nüchterner als der ehemalige Premierminister.

Er steht der von seinem Vater gegründeten Partei Forza Italia, die zur Meloni-Regierung gehört und finanziell von der Familie Berlusconi abhängig ist, sehr nah und hat dort das Sagen. Trotzdem hat er keine aktive Rolle inne. An eine politische Karriere denkt Pier Silvio derzeit nicht, wie er den italienischen Medien Anfang Juli sagte, aber für die Zukunft will er das nicht ausschließen. Sein Vater selbst war 57 Jahre alt, als er eine Partei gründete und seine erste Wahl gewann.

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Pier Silvio Berlusconi ist sich offenbar dessen bewusst, dass die Skepsis in Deutschland gegenüber seinem Medienunternehmen groß ist, deshalb bekräftigte er am Montag, dass er keine komplette Übernahme von ProSiebenSat.1 anstrebt, sondern die „Flexibilität, um auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision eine klare Richtung vorzugeben“ – was allerdings schon nach einer großen Einflussnahme klingt. Dann sagte er, MFE werde die redaktionelle Unabhängigkeit sowie die nationale Identität des Senders bewahren.

Ein Blick nach Italien, wo die Familie Berlusconi ohnehin eng mit der Politik verflochten ist, und nach Spanien, wo die Gruppe seit Jahren vertreten ist, zeigt, dass der Alarm mehr als berechtigt ist

Die Frage ist nun: Kann man sich darauf verlassen? Mit Sicherheit lässt sich das im Voraus schwer sagen, und es wäre unfair, einen Unternehmer nur aufgrund seines Nachnamen zu bewerten. Ein Blick nach Italien, wo die Familie Berlusconi ohnehin eng mit der Politik verflochten ist, und nach Spanien, wo die Gruppe seit Jahren vertreten ist, zeigt dennoch, dass der Alarm mehr als berechtigt ist.

Hohe Geldstrafen

So sind die Mediaset-Nachrichtensendungen in Italien bekannt dafür, konservative Parteien zu favorisieren. Agcom, die Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen, die im Wahlkampf die Medienpräsenz der verschiedenen Parteien überwacht, um gleiche Chancen zu gewährleisten – eine Regel, die zur Einschränkung der Macht von Berlusconi eingeführt wurde – hat das Unternehmen bereits einige Male mit fünf- oder sechsstelligen Geldstrafen sanktioniert, unter anderem für die Berichterstattung vor den Parlamentswahlen 2022. Hier muss man hinzufügen, dass auch die staatlichen Sender schon mehrmals zur Kasse gebeten wurden: Das hängt aber vor allem damit zusammen, dass sie selbst von den jeweiligen Regierungsparteien stark beeinflusst werden.

Was Spanien angeht: Die linksliberale Zeitung El Diario hat vor der Wahl 2023 kritisiert, dass die italienische Mediengruppe versucht hat, „das politische Leben in Spanien zu beeinflussen und auch die Bevölkerung zu Positionen zu lenken, die der PP, dem spanischen Verbündeten von Berlusconis Partei, nahestehen“.

Tatsächlich scheint es kaum vorstellbar, dass der von Pier Silvio Berlusconi angestrebte europäische Fernsehkonzern frei von politischen Verwicklungen bleiben könnte. Denn zwar hat er unter seiner Führung einiges geändert und sein persönlicher Stil unterscheidet sich von dem seines Vaters. Aber eine Revolution innerhalb der Mediengruppe, die einen neuen, unabhängigen Kurs einschlagen könnte, hat auch nach dem Tod von Silvio Berlusconi bei Weitem nicht stattgefunden.

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