Gasgeschäfte im Wattenmeer: Klimawandel gibt Gas
Die EU will eigenes Gas. Verständlich. Geht nur leider zu oft auf die Umwelt. Besonders im Wattenmeer bei Borkum.
H erzlichen Glückwunsch! Vor 40 Jahren erklärte der Kieler Landtag jenes Gebiet, das vor seiner Nordseeküste Flut und Ebbe ausgesetzt ist, zum Schutzgebiet- zum Nationalpark „Schlesisches Wattenmeer“. Leben können hier nur Küstenseidenbienen, Miesmuscheln oder die Portulak-Keilmelde. Menschen, die sich auf den Inseln und Halligen an diese extremen Naturbedingungen angepasst haben, entwickelten eine Kultur des sich wechselnden Wasserstands, ein einzigartiger Lebensraum, der zum Weltnaturerbe erklärt wurde.
Dummerweise wurde für diesen Lebensraum der Wasserstand immer knapper: Durch den Klimawandel steigt der Meeresspiegel, der Pegel in Cuxhaven liegt heute 40 Zentimeter höher als zum Messbeginn 1843. Nicht nur die Höhe des Wasserspiegels verändert sich rasant, die Klimakatastrophe verändert auch die Wassertemperatur: Nach Angaben des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) war die Nordsee in diesem Frühjahr zwei Grad wärmer als im langjährigen Mittel.
Sardellen und Tintenfische, ursprünglich im Mittelmeer zu Hause, werden mittlerweile in der Nordsee gefischt. Wie stark sich die Nordsee verändert hat, zeigt ein Blick auf die Fangzahlen: Gingen Fischern in deutschen Hoheitsgewässern vor 20 Jahren noch gut 35.000 Tonnen Hering in die Netze, waren es 2023 gerade mal 320 Tonnen.
Vor diesem Hintergrund könnte ein Gerichtsurteil die Klimakatastrophe weiter anheizen: Der niederländische Konzern One-Dyas plant, im deutschen Wattenmeer Geld zu verdienen. Gelingen kann dies nur mit einem Stromkabel, das auf dem Meeresgrund verlegt werden muss und die geplante Bohrplattform mit Strom versorgt. Dagegen hatte die Deutsche Umwelthilfe geklagt: und erstinstanzlich verloren.
Das Ganze ist exemplarisch für die Klimakrise: Der überwiegenden Mehrheit ist die Lage bewusst. Geht es aber um konkrete Details, wird es unübersichtlich. Die Wissenschaft sagt: Zwei Grad mehr, und das Wattenmeer ist Geschichte. Die Badesaison läuft aber auf Hochtouren.
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