Alte Gasleitung repariert: Syrien steht wieder unter Strom
Eine Gaspipeline zwischen Türkei und Syrien geht wieder in Betrieb. Das soll den SyrerInnen helfen – aber auch Türkeis Präsident könnte profitieren.

Der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar eröffnete im Beisein des syrischen Energieministers Mohammed al-Baschir, dem aserbaidschanischen Wirtschaftsminister und dem Chef des katarischen Entwicklungsfonds eine im Krieg zerstörte und nun wiederhergestellte Gaspipeline von der Türkei nach Aleppo.
Durch diese Gaspipeline soll nun Gas aus Aserbaidschan über die Türkei nach Aleppo fließen, um dort reparierte Kraftwerke in Betrieb nehmen zu können. Die sollen insgesamt 1.200 Megawatt Strom erzeugen. Finanziert wird das gesamte Projekt von Katar.
Laufen die Kraftwerke wieder, könnten damit rund 5 Millionen Haushalte plus kleinerer Industriebetriebe versorgt und damit die zweitgrößte Stadt Syriens wieder zum Leben erweckt werden. Außerdem soll Gas weiter nach Homs geleitet werden, um auch dort ein Kraftwerk wieder in Betrieb nehmen zu können.
Syrische Infrastruktur im Krieg zerstört
Die 1.200 Megawatt aus den reparierten Kraftwerken in Aleppo und Homs würden die derzeitig in Syrien erzeugte Strommenge fast verdoppeln. „Wir können zurzeit nur 1.700 Megawatt garantieren“, sagte al-Baschir kürzlich der Nachrichtenagentur AP, „das sind noch nicht einmal 20 Prozent der Strommenge, die Syrien benötigt“. Die durch den Krieg zerstörte Energieinfrastruktur des Landes ist eines der größten Probleme Syriens beim Wiederaufbau.
2010, vor Beginn des Bürgerkrieges, erzeugte Syrien hauptsächlich aus Öl und Gas rund 9.000 Megawatt Strom. Die im Krieg zerstörte Infrastruktur konnte, auch bedingt durch die Sanktionen gegen das Assad-Regime, kaum ersetzt werden. Es gab kein Geld und keine Ersatzteile.
Die Wende kommt jetzt mit der Aufhebung der Sanktionen. Im Juli verkündete US-Präsident Trump während eines Besuchs in Saudi-Arabien das Ende der US-Sanktionen, kurz danach folgte die EU. Schon vorher hatten türkische Ingenieure die Gaspipeline nach Aleppo repariert. Mit der Zeremonie in Kilis am letzten Samstag wurde nun der Gashahn aufgedreht. Schon bald soll eine weitere Pipeline von Urfa nach Aleppo fertiggestellt sein, die Gas für weitere 400 Megawatt Stromerzeugung liefern soll.
Für die Türkei ist ganz besonders der Wiederaufbau von Aleppo von größter Dringlichkeit. Mindestens 80 Prozent der fast vier Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei kommen aus dem Großraum Aleppo, knapp 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Viele Geflüchtete haben in den sechs Monaten seit dem Sturz des Assad-Regimes ihre Heimatstadt Aleppo besucht, die meisten sind wieder zurückgekommen, andere pendeln nun. Doch je mehr der Wiederaufbau Aleppos vorangeht, umso mehr SyrerInnen werden nach Hause gehen. Passend dazu hat die staatliche Fluglinie Turkish Airlines vor wenigen Tagen wieder Direktflüge nach Aleppo ins Programm genommen.
Erdoğan könnte Erfolg feiern
Geht die Anzahl syrischer Flüchtlinge in der Türkei in relevantem Umfang zurück, wäre das ein großer Erfolg für die Regierung Erdoğan. Nicht zuletzt deshalb ist die Türkei auch über die jetzt fertiggestellten Gasleitungen hinaus stark im Wiederaufbau Syriens engagiert.
Unmittelbar nach Aufhebung der Sanktionen hat ein Konsortium von Firmen aus der Türkei, den USA und Katar mit dem syrischen Energieministerium einen Vertrag über ein Volumen von 7 Milliarden Dollar zum Ausbau des syrischen Energiesystems unterschrieben, wie türkische Zeitungen verkündeten. Mit dem Geld wollen die Firmen vier neue Gaskraftwerke, die insgesamt 4.000 Megawatt liefern sollen, und einen großen Solarpark bauen, der 1.000 Megawatt Strom erzeugen soll.
Außerdem sind türkische Firmen bei der Reparatur bestehender Kraftwerke, Transformatoren und Stromleitungen dabei. Für die Reparaturen hat die Weltbank erst einmal 124 Millionen Dollar bewilligt. Werden diese Pläne tatsächlich realisiert, könnte Syrien in vier bis fünf Jahren wieder bis zu 10.000 Megawatt Strom produzieren.
Bis auf einzelne Solarpanels, die sich Privatleute selbst aufs Dach gesetzt haben, gibt es in Syrien bislang keinen Strom aus Sonnenenergie, obwohl das Land bis auf die drei Wintermonate mehr Sonne als genug hat. Windenergie gibt es in Syrien bislang noch gar nicht. Nur die beiden Wasserkraftwerke am Euphrat liefern etwas erneuerbare Energie.
Dabei wäre es sinnvoll, schon jetzt die Weichen für mehr erneuerbare Energie zu stellen. Doch der Hauptsponsor für den Wiederaufbau ist nun einmal Katar, und Katar lebt vom Verkauf seiner ergiebigen Gasfelder. Da die syrische Regierung hofft, in absehbarer Zeit auch die eigenen Ölfelder, die jetzt noch von den Kurden kontrolliert werden, wieder nutzen zu können, werden erneuerbare Energien wohl weiter ein Randphänomen bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sprache in Zeiten des Kriegs
Soll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?
Krieg im Gazastreifen
Ist das ein Genozid?
Flucht nach Deutschland
Entkommen aus dem belarussischen Grenzwald
CDU-Politikerin Saskia Ludwig
Diskutieren bei einer Gruselshow in Ungarn
Gefährliche Miet-E-Scooter
Der Wahnsinn muss endlich ein Ende haben
KI-generierte Einbände
Buchcover aus der Retorte