Entwaffnung der Hisbollah im Libanon: Regierung unter Druck – von innen wie außen
Das libanesische Kabinett entscheidet am Dienstag über die Entwaffnung der Hisbollah. Das könnte bestimmen, ob Israel seinen Krieg im Libanon wieder ausbaut.

Präsident Joseph Aoun und Ministerpräsident Nawaf Salam betonen seit Amtsantritt im Januar, dies sei ihr Ziel. Bisher fehlt ein offizieller Kabinettsentschluss dazu. Die Strategie der libanesischen Führung war, die Hisbollah in einen „nationalen Dialog“ einzubeziehen, statt sie zu übergehen.
Doch den USA – enger Verbündeter Israels – reicht das wohl nicht. Die Kabinettssitzung zum Thema wurde aufgrund des „äußeren Drucks auf den Libanon“ vorgezogen, berichtet die emiratische Zeitung The National mit Bezug auf diplomatische Quellen. Der US-Gesandte Tom Barrack übt auch öffentlich erheblichen Druck aus: Er drohte jüngst damit, die USA würden keine Verhandlungen in Beirut mehr führen oder Druck auf Israel ausüben, Angriffe einzustellen. Und das Fehlen einer klaren Zusage könnte eine größere Eskalation der israelischen Angriffe auslösen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters mit Bezug auf libanesische Quellen.
Was steht im Waffenstillstandsabkommen von November?
Die libanesische Regierung sitzt zwischen den Stühlen: Entwaffnet sie die Hisbollah im gesamten Libanon – ohne die politische Führung der Partei und Miliz einzubeziehen und ihr einen Rest an Finanzmitteln und Einfluss zu lassen –, riskiert sie einen Bürgerkrieg. Wird die Entscheidung vertagt, besteht die Gefahr einer Eskalation durch Israel mit US-Unterstützung.Seit Oktober 2023 gab es Angriffe Israels wie der Hisbollah. Mit einem Großangriff des israelischen Militärs im Südlibanon wurde daraus Ende September 2024 ein intensiver Krieg. Die libanesische und israelische Regierung unterzeichneten schließlich ein Waffenstillstandsabkommen, das seit dem 27. November 2024 gilt.
Es sieht vor, dass beide Seiten ihre Angriffe einstellen. Das Abkommen bezieht sich auf die UN-Resolution 1701, die ausdrücklich die Entwaffnung aller nichtstaatlichen Akteure im Süden fordert. Streit ist um die Auslegung entbrannt, ob sich der Deal auf die Entwaffnung im ganzen Libanon bezieht. Resolution 1701 fordert die Umsetzung von Vorgängerresolutionen, einschließlich der „Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen im Libanon“.
Die libanesische Armee hat seitdem ihre Präsenz im Süden ausgeweitet, die Hisbollah keine Raketen mehr auf Israel abgeschossen. Israel greift jedoch täglich Ziele im Libanon an, tötet Hisbollah-Kämpfer und Zivilisten, fliegt Drohnen und mit Kampfjets im libanesischen Luftraum. Und Hisbollah-Chef Naim Qassem wehrte sich am Mittwoch deutlich gegen die Abgabe des verbleibenden Arsenals, solange Israel sich nicht aus dem Libanon zurückziehe und Angriffe einstelle.
Das israelische Militär besetzt außerdem weiterhin fünf Punkte im Südlibanon. Fotos zeigen die Ausweitung der Stützpunkte mit Baggern und Lastwagen. Die israelische Armee werde sich nicht von den fünf Punkten zurückziehen, sagte der extrem rechte israelische Finanzminister Bezalel Smotrich Ende Juli. Er drohte der libanesischen Bevölkerung, die zerstörten Dörfer würden „nicht wieder aufgebaut“.
Guten Willen an die USA signalisieren
Salam und Aoun hätten einen Plan für die finale Entwaffnung und die USA wüssten davon, berichtete eine mit der Angelegenheit vertraute Quelle der libanesischen Tageszeitung L’Orient-Le Jour. Die Abrüstung solle innerhalb von 120 Tagen in vier Phasen erfolgen: zunächst der Kabinettsbeschluss, in den folgenden zwei Wochen entferne die libanesische Armee dann alle Waffen südlich des Litani. Es folge die Abrüstung nördlich des Flusses und in der letzten Phase das Hisbollah-Waffenarsenal in Beirut und im Bekaa-Tal.
Erst mal hängt es an der Kabinettsentscheidung. Im Kabinett sitzen fünf schiitische Minister, die blockieren könnten. Es würden Kontakte geknüpft, um einen Boykott durch die Minister zu verhindern, sagte eine dem Ministerpräsidenten nahestehende Quelle zu L’Orient-Le Jour. Um den USA ohne innenpolitische Eskalation guten Willen zu signalisieren, könnte sich eine Kabinettsentscheidung möglicherweise auf die ersten beiden Phasen des Plans konzentrieren, so die Quelle – also die Entwaffnung der Hisbollah im südlichen Libanon. Und bei dieser kooperiert die Schiitenmiliz bereits.
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