Israelische Militäroffensive: Israel plant vollständige Besatzung Gazas
Die Offensive „Gideon’s Chariots“ endet, ohne ihr Ziel zu erreichen. Regierungschef Netanjahu will den Gazastreifen vollständig besetzen, trotz Widerstands.

Die Militäroperation „Gideon’s Chariots“, die Anfang Mai begonnen hatte, ist damit wohl beendet. Kurz bevor die Kampagne damals begann, posaunten israelische Politiker große Ziele hinaus: Die Operation sollte laut Verteidigungsminister Israel Katz „die Hamas besiegen und die Freilassung aller Geiseln erreichen“. Man werde „mit aller Härte vorgehen, um alle militärischen und staatlichen Strukturen der Hamas zu zerstören“.
Dieses Wording ist nicht weit entfernt von dem, was Netanjahu am Montagabend wohl erklärte: Der ganze Gazastreifen solle nun besetzt werden. So berichten es verschiedene israelische Medien in Bezug auf regierungsnahe Quellen. Zu dieser geplanten Besatzung des Gazastreifens soll Netanjahu nach Angabe der Jerusalem Post nun eine Sitzung des Kabinetts anberaumt haben.
Der Konflikt dazu mit dem israelischen Militär zeichnet sich bereits ab: So soll sich Generalstabschef Eyal Zamir gegen eine Besatzung Gazas ausgesprochen haben. Und der rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir schrieb auf X: Zamir müsse „klar zum Ausdruck bringen, dass er die Weisungen der politischen Führung uneingeschränkt befolgen wird“.
Hamas droht, verbliebene Geisel zu töten
Wie genau soll diese Besatzung – und der Weg dorthin – aussehen? Blickt man auf die eben zu Ende gehende Kampagne „Gideon’s Chariots“ stellt sich diese Frage umso dringlicher. Keines der zuvor angegebenen Ziele – Sieg über die Hamas, Befreiung der Geiseln – konnte erreicht werden.
Dem Militär ist bewusst: Die Hamas droht, die noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln zu töten, wenn sich Truppen ihren Positionen nähern. Insgesamt 50 Geiseln werden noch in Gaza festgehalten, etwa 20 davon sollen noch am Leben sein – wenn auch in wohl katastrophalem Gesundheitszustand.
Was also hat das israelische Militär seit Mai im Gazastreifen getrieben? Die Times of Israel schreibt: sich den Gegenden, in denen wohl Geiseln festgehalten werden, nicht genähert. Infrastruktur wie Gebäude und Tunnel in Gebieten, in denen bereits kaum mehr Konfrontationen mit der Hamas stattfanden, zerstört. Jüngst einen Vorstoß in Teile von Deir al-Balah in Zentral-Gaza gewagt, und sich dann wieder zurückgezogen. Trotzdem sind 48 israelische Soldaten im Laufe der dreimonatigen Militäroperation ums Leben gekommen – die meisten von ihnen durch Sprengsätze, die die Hamas in Gebäuden und Tunneln angebracht hatte. Ein hoher Blutzoll für ein marginales Ergebnis.
Auch der Plan, mit der Offensive Druck auf die Hamas in den schleppenden Verhandlungen um einen Geisel-Waffenruhe-Deal aufzubauen, ist wohl gescheitert. Mittlerweile haben Israel und die USA ihre Verhandlungsteams abgezogen.
Es ist nicht das einzige Scheitern Israels auf strategischer Ebene in den letzten Monaten. Ab Anfang März 2025 hatte Israel keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen hineingelassen. Das hielt zwei Monate an, dann eröffnete die von Israel unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) ihre Verteilzentren. Sie standen von Beginn an unter Kritik, befinden sich diese doch tief in Gebieten, zu deren Evakuierung das Militär eigentlich aufgerufen hat.
Nicht das einzige Scheitern Israels
Und bislang wurden Hunderte auf dem Weg zu den Verteilstellen – meist vom Militär – erschossen. Unter internationalem Druck ließ Israel schließlich ab 19. Mai wieder Güter über die Grenzübergänge – allerdings in deutlich zu geringem Umfang. In den vergangenen Wochen mehrten sich so die Berichte über weitverbreitete Unterernährung und Hungertote. Abgesehen von der horrenden Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung war diese Politik auch für Israel eine PR-Katastrophe: Enge Verbündete wie Deutschland verschärften ob des Hungers in Gaza gegenüber Israel ihren Ton. Selbst US-Präsident Donald Trump zeigte sich irritiert.
Die Vereinten Nationen (UN) veröffentlichen die von ihnen gesammelten Daten zu den Hilfstransporten, die seit dem 19. Mai nach Gaza eingefahren sind: Demnach wurden knapp 89 Prozent aller Lastwägen abgefangen – wie die UN schreibt, „von hungernden Menschen“ oder „bewaffneten Gruppen“. Davon profitiert auch die Hamas, die laut taz-Kontakten im Gazastreifenund Berichten anderer Medien mit ihrem „Sahm“ genannten Unit gegen Plünderer vorgeht.
Wie geht es nun weiter? Das könnte auch von einer Kabinettssitzung in der libanesischen Hauptstadt Beirut abhängen, die am Dienstagnachmittag begann. In ihr wird über die Entwaffnung der Schiiten-Miliz Hisbollah diskutiert. Sollte keine Einigung erzielt werden, so befürchten Analysten, könnte Israel seine trotz Waffenruhe anhaltenden Luftangriffe im nördlichen Nachbarland ausweiten – und es wieder einen ausgewachsenen Krieg geben. Und die gerade erst aus Gaza abgezogenen Truppen vielleicht dort landen.
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