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Todesurteile in ÄthiopienSchleuser im Todestrakt

Erstmals werden in Äthiopien Todesurteile wegen „organisiertem Menschenhandel“ verhängt. Die Verurteilten sollen der organisierten Kriminalität angehören.

Junge Mädchen werden in arabischen Golfstaaten Opfer organisierter Kriminalität, als Dienstboten oder sogar Sexsklaven Foto: Edgar GutiÈrrez/imago

Berlin taz | Erstmals hat ein Gericht in Äthiopien Todesstrafen wegen „organisiertem Menschenhandel“ verhängt. Wie äthiopische Medien jetzt berichteten, gab Justizminister Belayihun Yerga am 30. Juli – dem Internationalen Tag gegen Menschenhandel – auf einer Veranstaltung bekannt, fünf Todesurteile gegen nicht näher bezeichnete Einzelpersonen seien gefallen. Von wem, gegen wen, zu welchem Zeitpunkt und wegen welcher Taten die Urteile gesprochen wurden, wurde nicht berichtet – Äthiopiens Staat ist notorisch intransparent.

Mit der medialen Veröffentlichung setzt Äthiopien ein deutliches Zeichen kurz nach der schwersten Flüchtlingstragödie seit Jahren. In der Nacht zu Sonntag war ein mit bis zu 157 Menschen, zumeist Migranten aus Äthiopien, besetztes Boot vor der Südküste von Jemen gekentert.In der Nacht zu Sonntag war ein mit bis zu 157 Menschen, zumeist Migranten aus Äthiopien, besetztes Boot vor der Südküste von Jemen gekentert. 76 Tote wurden angeschwemmt oder geborgen, zahlreiche Menschen gelten immer noch als vermisst.

Die Flüchtlingsroute aus Äthiopien über Dschibuti oder Somaliland auf die Arabische Halbinsel, wo die Menschen über Jemen nach Oman oder Saudi-Arabien weiterreisen wollen, wird jedes Jahr von mehreren Hunderttausend Menschen benutzt, gilt aber als eine der gefährlichsten der Welt. Der Krieg in Sudan seit 2023 hat die alte Migrationsroute aus Äthiopien Richtung Europa versperrt. Deswegen steigt seitdem die Zahl der Migranten, die ihr Glück in den Golfstaaten suchen, stark an.

Menschenhändler locken Minderjährige in die Golfstaaten

Dass junge Mädchen aus Äthiopien und anderen Ländern Afrikas in den schwerreichen arabischen Golfstaaten als minderwertige Dienstboten oder sogar Sexsklaven missbraucht werden, belastet seit Langem die arabisch-afrikanischen Beziehungen. Äthiopiens Regierung hat Menschenhändlerringen, die Minderjährige unter falschen Versprechungen in die Golfstaaten locken, schon längst den Kampf angesagt. Äthiopiens Gesetz 909 aus dem Jahr 2015, das erste gegen Menschenhandel, sieht Strafen von 15 Jahren Haft bis zur Todesstrafe für „Trafficking in Persons“ vor, also Menschenhandel gemäß des Palermo-Protokolls der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2005. Dieses setzt die weltweit gültige Definition von Menschenhandel.

Menschenhandel ist demnach „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung“.

Ausbeutung ist „die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“. Die mögliche Zustimmung der Opfer ist dabei unerheblich.

Verurteilte sollen der organisierten Kriminalität angehören

Die Todesurteile in Äthiopien fallen unter das Gesetz 1178 aus dem Jahr 2020, das weniger weitreichend ist als das von 2015. Es reduziert die Mindeststrafe auf sieben Jahre Haft und beschränkt die Todesstrafe auf Fälle, in denen das Opfer selbst zu Tode gekommen ist. Anwendbar ist sie nur auf Angehörige und Anführer organisierter Gruppen. Im Gegenzug erweitert es die Befugnisse der Strafverfolger bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die fünf jetzt Verurteilten dürften also Figuren der organisierten Kriminalität mit internationaler Vernetzung sein.

Selbst unter dem weiterreichenden Gesetz von 2015 hatte es keine Todesstrafen gegeben, trotz fast 3.000 Verfahren allein zwischen 2018 und 2020, wie eine Studie des EU-Projekts Enact (Enabling Africa’s Response to Transnational Organised Crime) im Jahr 2022 feststellte.

Demnach standen auch schon Staatsbeamte und Angestellte des internationalen Flughafens von Addis Abeba vor Gericht, und auch Fluchthelfer wurden kriminalisiert. Die spektakulärsten Verurteilungen bisher gab es im Jahr 2021, als der Anführer eines in Libyen ansässigen äthiopischen Menschenhändlerrings zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde und der Organisator einer Fluchtroute von Äthiopien über Sudan nach Libyen sogar zu lebenslanger Haft – allerdings in Abwesenheit, nachdem ihm während des Prozesses die Flucht gelungen war.

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