Diskussion über Atomwaffen: Japan denkt das Undenkbare
Die Erinnerungen an die Bombe verblassen. Die Idee nuklearer Abschreckung findet in Japan jedoch wieder Befürworter – trotz Warnungen aus Hiroshima.

Premier Shigeru Ishiba sagte vor Vertretern von 120 Nationen, Japan müsste als einziges Land, das die Schrecken einer nuklearen Verwüstung im Krieg erlebt hat, die weltweiten Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt vorantreiben: „Wir müssen die unerträglichen Erfahrungen und Erinnerungen über Generationengrenzen weitergeben.“
Er zitierte ein 31-silbiges Tanka-Gedicht von Shinoe Shoda, das sie 1947 trotz eines Kritikverbots der damaligen US-Besatzer an ihren Streitkräften über das Leid von Hiroshima veröffentlichte: „Der schwere Knochen muss von einem Lehrer stammen. Die kleinen Schädel daneben müssen von Schülern sein, die sich um ihn versammelt haben.“
Vor der Presse bekräftigte Ishiba Japans Verpflichtung zur Einhaltung der drei Grundsätze, keine Atomwaffen zu besitzen, herzustellen oder ihren Aufenthalt in Japan zuzulassen. Er lehnte die Idee ab, dass Japan ein Nato-ähnliches Abkommen über die gemeinsame Nutzung von Atomwaffen mit den USA eingeht. Aber Japan müsste Wege finden, die nukleare Abschreckung der USA wirksamer zu gestalten.
Sohei Kamiya, Sansei-Parteichef
Damit bezog sich Ishiba auf seine frühere Forderung, Japan sollte seine nuklearen Optionen diskutieren. 2024 schrieb er vor seiner Wahl zum Regierungschef, eine asiatische Nato müsste „die gemeinsame Nutzung von Atomwaffen durch Amerika oder die Einführung von Atomwaffen in der Region spezifisch in Betracht ziehen“.
Die Erinnerungen an die Bombe verblassen
Die rechtsnationale Sansei-Partei, die bei der Oberhauswahl im Juli 14 Sitze gewann, spricht das Undenkbare noch klarer aus. Ihre Abgeordnete Saya, die nur einen Namen hat, sagte „Die nukleare Bewaffnung ist eine der kostengünstigsten und wirksamsten Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit.“ Parteichef Sohei Kamiya stimmte ihr zu: „Wir sollten Atomwaffen nicht sofort besitzen, aber wir dürfen uns einer Diskussion nicht verschließen.“ Dazu sagt Terumi Tanaka, Ko-Vorsitzender der Hibakusha-Organisation Nihon Hidankyo, die 2024 den Friedensnobelpreis erhielt: „Es ist beschämend, dass japanische Politiker über Atomwaffen unter der Prämisse diskutieren, sie einzusetzen.“
Schon Anfang 2022 hatte Ex-Premier Shinzo Abe verlangt, eine nukleare Bewaffnung Japans dürfe wegen der Bedrohung durch Russland und Nordkorea „nicht länger tabu sein“. Der damalige Regierungschef Fumio Kishida, der aus Hiroshima stammt, stoppte die Debatte. Aber sie könnte jederzeit wieder aufflammen. Nur noch 15 Prozent der Japaner glauben, dass die USA Japan in einem Krieg beschützen werden.
Dies erleichtert es Politikern, eine eigene nukleare Abschreckung zu fordern. Der Stadt Hiroshima fällt es auch immer schwerer, ihren Appellen gegen Atomwaffen mit Augenzeugenberichten Nachdruck zu verleihen. Die Zahl der Hibakusha ist auf unter 100.000 geschrumpft, im Schnitt sind sie über 86 Jahre alt. Die Erinnerungen an die Bombe verblassen so wie der Pazifismus in Japan nachlässt, der auch auf den Erfahrungen des Horrors von Hiroshima beruht.
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