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Schlechte Bezahlung von HebammenNur noch 104 Euro für drei Geburten auf einmal

Neue Vergütungsregeln könnten die Lage freiberuflicher Hebammen weiter verschlechtern. Die ersten kündigen ihre Arbeit in Kreißsälen schon auf.

„Wenn der Vertrag kommt wie geplant, kann und will ich nicht mehr als Dienstbeleghebamme arbeiten“ Foto: Annette Riedl/dpa

Die Hebammen im Kreißsaal der Hamburger Asklepios-Klinik Altona arbeiten im Zwei-Schicht-System: von 8 Uhr früh bis 20 Uhr abends, von 20 Uhr abends bis 8 Uhr früh. Vier bis fünf Hebammen sind jeweils vor Ort, pro Person betreuen sie im Schnitt ein bis zwei Frauen unter der Geburt. „Es kommt vor, dass der Rettungswagen eine dritte Frau mit Blasensprung oder drohender Frühgeburt bringt“, sagt Pia Laube, eine der Hebammen der Klinik. „Dann dürfen wir kurzzeitig auch drei Frauen betreuen.“

Laube und ihre 41 Kolleginnen der Altonaer Klinik sind sogenannte Dienstbeleghebammen: Sie sind nicht bei einer Klinik angestellt, sondern freiberufliche Hebammen, die mit ihrem Team eigenständig den Betrieb des Kreißsaals einer Klinik organisieren. Deshalb rechnen sie auch selbstständig mit dem GKV ab, dem Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Für den ist dieses System teurer als das der angestellten Hebammen. Pia Laube und ihre Kolleginnen bekommen für die Betreuung einer Frau je angefangener Stunde 41,40 Euro, für die parallele Betreuung der zweiten und dritten Frau je angefangener Stunde ebenso.

Ab November soll jedoch ein neuer Vertrag die Vergütung festlegen, der sogenannte Hebammenhilfevertrag. Um ihn gibt es Streit. „Wenn der Vertrag kommt wie geplant, kann und will ich nicht mehr als Dienstbeleghebamme arbeiten“, sagt Pia Laube. Und auch der Deutsche Hebammenverband (DHV) befürchtet dramatische Konsequenzen: „Sollte der Vertrag tatsächlich in Kraft treten, kann die geburtshilfliche Versorgung in manchen Regionen hierzulande nicht mehr aufrechterhalten werden“, sagt Ursula Jahn-Zöhrens vom DHV der taz.

Rund 4.000 Hebammen arbeiten in Deutschland so wie Laube und ihre Kolleginnen aus Altona – also als Freiberuflerinnen, die den Kreißsaal eigenständig organisieren. Rund 20 Prozent aller Kinder in Deutschland werden schätzungsweise bundesweit im Belegsystem geboren. In manchen Gegenden ist der Anteil deutlich höher. In Bayern liegt er nach DHV-Berechnungen bei 80 Prozent.

Auf den ersten Blick sieht der neue Vertrag für die Dienstbeleghebammen zwar höhere Honorare vor: Sie bekommen für die Betreuung einer Frau 85,40 Euro, also etwa das doppelte wie bisher.

Kümmern sie sich aber parallel auch um eine zweite Frau, erhalten sie etwa dieselbe Summe wie bislang. Und betreuen sie zusätzlich eine dritte Frau, bekommen sie sogar weniger Geld als bisher: statt 124 Euro pro angefangener Stunde nur noch 104 Euro. Außerdem sollen mehrere Pauschalen wegfallen, wie für das Anlegen und Überwachen eines Wehenschreibers, die Messung der Sauerstoffsättigung oder die Erstuntersuchung des Kindes.

Bis zu 35 Prozent weniger

Unterm Strich, so prophezeit es deshalb der Deutsche Hebammenverband für eine beispielhafte Arbeitswoche, würde eine Hebamme nach dem neuen Vertrag rund 12 Prozent weniger verdienen als bislang. Je nach Klinik und Arbeitsorganisation müssten Beleghebammen sogar mit Gehaltseinbußen von bis zu 35 Prozent rechnen. „Mich macht das fassungslos“, sagt Pia Laube. „Mit dem neuen Vertrag sollten neue Gebühren für uns verhandelt werden. Jetzt aber führt er zu deutlichen Lohneinbußen.“

Laut DHV haben bereits ganze Hebammenteams wegen der neuen Vergütungsregeln ihre Verträge mit Krankenhäusern gekündigt, darunter im nordrhein-westfälischen Stolberg. Die „Hälfte aller bundesweit tätigen Beleghebammen-Teams“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung, würde planen, innerhalb der nächsten sechs Monate zu kündigen. Dies habe eine aktuelle Umfrage ergeben. „Wir steuern auf ein kritisches Versorgungsproblem zu“, sagt Ursula Jahn-Zöhrens vom DHV.

Ganz anders sieht das der Spitzenverband der Krankenkassen, der den Vertrag mit verhandelt hat. Anfang April verkündete er stolz: „Neuer Hebammenhilfevertrag sorgt für faire Vergütung und bessere Qualität.“ Es gebe „weniger Bürokratie“, eine „Stärkung der Geburtshilfe“ und eine „finanzielle Aufwertung“ der Arbeit von Hebammen.

Ist der Vertrag nun also Fortschritt oder Katastrophe? Die Antwort darauf ist auch unter Hebammen umstritten. Und das hat viel damit zu tun, wie er zustande kam.

Konkurrierende Verbände

Die Vergütung freiberuflicher Hebammen wird seit 2007 in besagtem Vertrag geregelt, im Lauf der Jahre wurde er mehrfach ergänzt und angepasst. Seit 2021 wurde über eine Erhöhung der Vergütung verhandelt. Beteiligt waren neben dem Deutschen Hebammenverband mit 23.000 Mitgliedern zwei deutlich kleinere Berufsverbände: Im Bund freiberuflicher Hebammen sind nur rund 700 Hebammen organisiert, darunter etwa viele Hausgeburtshebammen. Das Netzwerk der Geburtshäuser vertritt rund 120 Geburtshäuser bundesweit. Stimmberechtigt waren aber alle beteiligten VerhandlerInnen ungeachtet ihrer Mitgliederzahl gleichermaßen.

Ende September 2024 erklärte der DHV als größter Verband die Verhandlungen für gescheitert. Der Konflikt mit dem Verband der Krankenkassen sei „unüberwindbar“ gewesen, vor allem bei der Höhe des Stundensatzes und dem Abrechnungssystem der Dienstbeleghebammen. Die Folge: Der DHV zog sich aus den Verhandlungen zurück. Am Tisch blieben aber die beiden kleineren Verbände, der Bund freiberuflicher Hebammen (BfH) und das Netzwerk der Geburtshäuser. Diese schlossen dann den Vertrag mit dem GKV.

Wie es zum Konflikt zwischen den Hebammenverbänden kam, wollte keiner der beiden kleineren Verbände auf taz-Anfrage kommentieren. Aus dem DHV heißt es, man habe immer versucht, vereinspolitische Angelegenheiten aus den Verhandlungen herauszuhalten – am Schluss jedoch habe der GKV es als Gegenseite geschafft, „einen Keil“ zwischen die Berufsverbände zu treiben.

Schlechte Datenlage

Während der Verband der Krankenkassen nun also den neuen Vertrag feiert und der DHV ihn scharf kritisiert, verteidigt ihn die Vorständin des Netzwerks der Geburtshäuser, Christine Bruhn. „Wir haben versucht, ein sehr komplexes Abrechnungssystem neu zu strukturieren“, sagt Bruhn. Während bisher viel über Pauschalen verrechnet wurde, rechne der neue Vertrag vor allem über Zeit ab. Das mache die Dinge einfacher.

Ein grundsätzliches Problem bei der Bewertung des neuen Vergütungssystems sei allerdings die schlechte Datenlage. Lange etwa hätten keinerlei Abrechnungszahlen vorgelegen, nach denen entsprechend neue Vergütungen berechnet werden können, so Bruhn. Eine Arbeitsgruppe, an der alle VerhandlungspartnerInnen inklusive des DHV teilnehmen, solle nun das neue System parallel zum Start evaluieren und „erforderlichenfalls unverzüglich nachjustieren“.

Strittig bleibt, was das neue Abrechnungssystem für Dienstbeleghebammen im Einzelnen bedeutet. Wenn die Befürchtungen des DHV zutreffen, dürfte sich die Versorgungslage für Schwangere und Gebärende deutlich verschlechtern – und das in einem ohnehin chronisch unterfinanzierten Bereich.

„Kommt der Hebammenhilfervertrag wie geplant, wird er bundesweit Auswirkungen auf Familien haben“, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. Sollten sich Beleghebammen aus wirtschaftlichen Gründen gegen ihren Beruf entscheiden, breche ein wichtiger und qualitativ hochwertiger Teil der Geburtshilfe in Deutschland weg. „Das dürfen wir nicht zulassen.“ Die Forderung des DHV: Der Stundensatz für Dienstbeleghebammen müsse erhöht, die Vergütung mindestens an die Grundlohnentwicklung angepasst werden.

Auch die Dienstbeleghebammen der Hamburger Asklepios-Klinik sorgen sich um ihre berufliche Existenz. Für ihr gesamtes Team werde es „eine immense Herausforderung, überhaupt zusammenzubleiben“, sagt Laube. Der GKV sei im Begriff, ein funktionierendes und zukunftsweisendes System, das einen großen Teil der geburtshilflichen Versorgung in Deutschland sicherstellt, abzuschaffen.

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