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Der HausbesuchDie beiden Alfreds und die Särge

Das Leben feiern, dem Sterben Würde geben. Der Künstler Alfred Opiolka und sein Partner Alfred Martin aus Lindau wollen Schönheit – auch im Tod.

Alfred Opiolka liegt Probe in einem Sarg. Der, in dem er beerdigt werden will, steht daneben Foto: Jörn Lorenz

Manche Leute haben einen gradlinigen Lebensweg wie Alfred Martin. Andere müssen Umwege gehen wie Alfred Opiolka. Heute sind sie ein Paar und leben in Lindau im Bodensee.

Draußen: Es sei doch so, dass drinnen und draußen zusammengehören – das finden die zwei Männer, die beide Alfred heißen. Deshalb setzen sie Zeichen in der Schneeberggasse auf Lindaus Altstadtinsel, wo sie leben. Die Gasse ist Bühne. Wer sie entlanggeht, findet Pflastersteine, die Opiolka vergoldet hat, sieht in Ecken Engel, die er und sein Mann aufgehängt haben, kann sich auf einer Schmetterlingsbank ausruhen und sich etwas wünschen. Zudem ist Vogelgesang zu hören. Es sind ­Opiolkas und ­Martins Kanarien­vögel, deren Voliere steht im ersten Stock am offenen Fenster. Nur dass im Laden unter der Wohnung bunt bemalte Särge stehen, irritiert.

Drinnen: Über eine hölzerne Treppe im Innenhof geht es in die Wohnung der beiden Alfreds. Hinter der Eingangstür liegt ein 80 Quadratmeter großer Raum mit Kreuzgewölbe, in der Mitte eine tragende Säule. Früher war das mal ein Kornlager. „Ich brauche Platz. Ich brauche schöne Dinge, die mich umgeben“, sagt Alfred Opiolka. Die Hutsammlung etwa. Oder die Kollektion der Engel. Eine weiße Couch und ein langer Jugendstiltisch mit Empirestühlen sind einzig die Möbel. Dazu schönes Porzellan, edle Gläser und eine Weinsammlung. Auf dem Boden ist ein Tuch ausgebreitet, auf dem Wilde Malve und Kastanienblüten trocknen. „Kastanienblüten sind auch fürs Herz.“ Dazu natürlich die singenden Vögel.

Die Bühne: Die beiden Alfreds können nicht genug betonen, wie wichtig für sie die Gasse ist, die oben von der Maximilianstraße, Lindaus Haupttouristenmeile, abgeht. „Weil sie der Platz ist, wo wir leben und arbeiten. Deshalb will ich, dass das Umfeld so ist, dass ich mich wohlfühle. Wenn es mir gefällt, gefällt es auch anderen“, sagt Alfred Opiolka. „Wahrscheinlich“, überlegt er weiter, „steht da draußen ein imaginäres Schild, auf dem steht: ‚Für Deppen verboten‘.“ Er glaubt, er sei nicht umsonst an diesen Ort geführt worden in seinem wandelbaren Leben. „Die Gasse wird immer schöner.“ Ja, er geht noch weiter: „Diese Gasse wird mindestens so wichtig werden wie der Hafen.“ Bei schönem Wetter stellen Alfred Opiolka und ­Alfred Martin draußen einen Tisch auf und essen dort. Menschen flanieren vorbei. Sie grüßen und lächeln.

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Dienst am Menschen: Der Laden, in dem die Särge stehen, ist Opiolkas Atelier. Er bemalt sie. Und gegenüber ist der Schnapsladen Spirit of Spiritus, der dem anderen Alfred gehört. Seit Corona wird er auch als „Impfstelle“ beworben, wo man eine „Schluckimpfung“ bekommt. In beiden Locations geht es darum, das, was angeboten wird, nicht bloß zu verkaufen. Opiolka und Martin wollen denen, die es kaufen, auch dienen.

Das Leben: Die Särge sind meist mit Naturmotiven bemalt. Kornblumen, Mohnblumen, Wiesenblumen, Sonnenblumen. Schmetterlinge, Libellen, Bienen. Der Sarg, in dem Opiolka beerdigt werden will, ist der, auf dem sich die Kohlweißlinge, Schwalbenschwänze, Aurora­falter tummeln. Er wirkt luftig und leicht. „Warum soll ein Sarg eine verschlossene Kiste sein?“, fragt er. Als wolle man den Toten wegsperren. „Die meisten Menschen wollen mit dem Tod nichts zu tun haben. Aber ich denke, es ist anders. Selbst wenn Kinder sterben, schafft man es, den Abschied als schöne Erinnerung im Gedächtnis zu behalten.“ Das ist Alfred Opiolkas ­Mission. Er will, dass der Tod seinen Schrecken verliert, indem die Verstorbenen in Särgen liegen, die nicht ans Sterben, sondern ans Leben erinnern. Wer will, kann in den Särgen Probe liegen. Später beim gemeinsamen Essen auf der Gasse sitzt die Haus­ärztin der beiden ­Alfreds mit am Tisch und erzählt, wie sie sich einmal in einen Sarg flüchtete, um ihrem nervenaufreibenden Besuch für ein paar Minuten zu entkommen: „Eine unglaubliche Ruhe durchströmte mich.“

Die Voliere steht am Fenster, damit der Vogelgesang auch auf der Straße zu hören ist Foto: Jörn Lorenz

Wandlungen: Alfred Opiolka war nicht immer Sargmaler und auch nicht immer mit einem Mann liiert; sein Lebensgefährte Alfred Martin wiederum war nicht immer Spirtuosenverkäufer. Und in Lindau wohnten beide lange nicht. Alfred Martin wuchs in Sonthofen auf. Dort ging er zur Schule, machte eine Banklehre, war 30 Jahre lang Vermögensberater. Opiolka, der andere Alfred, wurde 1960 in Polen geboren, seine Eltern sind deutschstämmig. 20 Jahre durften sie nicht ausreisen, obwohl sie es wollten. Erst als der Vater, ein Bergmann, verrentet werden soll, wird dem Ausreiseantrag stattgegeben. Fast von einem Tag auf den anderen sollen sie gehen. Es verschlägt die Familie nach Kempten ins Allgäu, ­Opiolka ist da neun Jahre alt, das jüngste von drei Geschwistern. „Schlimm war für mich, dass ich meinen Hund nicht mitnehmen konnte.“ Kaum über der Grenze, sprechen die Eltern nur noch Deutsch, was ihnen in Polen untersagt war. Polnisch hat Opiolka inzwischen fast verlernt.

Die Kunst: Nach der Schule macht Opiolka eine Lehre bei einem Kunst- und Dekorations­maler. Er lernt Schriften, Farbenlehre, das Vergolden, lernt alles, was ein Grafiker braucht, außerdem Plakat- und Fassaden­malerei. „Eine sehr praktische Ausbildung.“ Nach der Prüfung geht er ein Jahr nach Australien und Neuseeland. Wieder zurück, arbeitet er in seinem Beruf, entwirft für die Hotellerie Speisekarten, Plakate, Geschäftspapiere, Visitenkarten und alles andere, was anfällt. Es fängt an, ihn zu stören, dass es Gebrauchskunst ist. Er will keine Sachen machen, die die Leute „brauchen“, sondern solche, die sie wollen. „Kunst“, sagt er. Nur dieses eine Wort. „Die Anfänge waren hart. Ich war über jeden Auftrag froh.“

Die Frauen: In dieser Zeit wird er zudem Vater. Bald aber stirbt die Mutter der Kinder. „Sie wollte, dass die Kinder bei ihrer Schwester aufwachsen. Ich hab keinen Einspruch erhoben.“ Die Schwester habe das wunderbar gemacht, erzählt Opiolka – nur die Tochter trage ihm seine Abwesenheit nach. Später ist er noch zwei Mal verheiratet. „Beide Frauen ein Traum. Ich bin mit beiden befreundet.“ In den Ehen lernt er, was Selbstwert ist. Und Fülle. „Du kannst nicht in Fülle leben, wenn du für andere nicht auch Fülle bereitstellst.“

Umwege: Und sein Weg von den Frauen zu den Männern? „Ich hatte eine Wahnsinnsangst, es zu leben, geschweige denn, es nach außen zu zeigen. Aber irgendwann brach es durch.“ Gerlinde, seine damalige Frau, kann damit nicht umgehen. Sie trennen sich. Seinen Mann, Alfred Martin, der den Umweg über Frauen nicht gehen musste, lernt er aber erst später kennen. In Lindau.

Der Tod: Als ein Bestatter in Wiesbaden will, dass er dessen Räume ausmalt, öffnet das bei Opiolka innere Türen; er bekommt mit, dass es bei einem Bestatter nicht kühl zugehen muss. „Da habe ich mich zum ersten Mal mit dem Tod beschäftigt.“ Er will dazu beitragen, dass der Tod hell und würdevoll zelebriert wird. „Aber ich kann nur malen. Also habe ich einen Sarg gekauft, bemalt und bei einem Kunstevent ausgestellt.“ Die Reaktionen darauf sind gespalten. „Prügel und Tränen. Die Zeit war nicht reif.“ Was genau er meint? „Die Leute wollten nicht so eindeutig mit dem Tod konfrontiert werden.“ Ein Jahr danach eröffnet er trotzdem einen Sargladen in Kempten. Später zieht er um nach Lindau. „Ich bin an nichts so gewachsen. Der Tod ist keine Kränkung.“ Heute ist er stolz, dass er von seiner künstlerischen Arbeit als Sargmaler leben kann.

Opiolka mag Engel Foto: Jörn Lorenz

Särge, Schreine und Urnen: Opiolka malt gerne Florales. Viele der Objekte sind folglich mit Blumen bemalt. Wobei ihm wichtig ist, dass das, was die Verstorbenen zu Lebzeiten schön fanden, der Hülle entspricht, in der sie beerdigt werden. Ein Kind etwa bekam einen Schrein, der wie ein Feuerwehrauto aussah. Auf dem Sarg eines begeisterten Lindauers ist der Bodensee. Jemand, der das Leben liebte, kaufte sich eine Urne zu Lebzeiten, in der er eine Champagnerflasche aufbewahrte. „ ‚Trinken auf das Leben‘, steht darauf.“ Die Urne eines Musikers wiederum zeigt dessen Saxofon und ist mit Gitarrensaiten bespannt, die man anschlagen kann. Statt eine Handvoll Erde fallen zu lassen, schlugen die Trauernden die Saite an und schenkten dem Verstorbenen zum Abschied einen Ton.

Die Freude: „Künstler stellen sich Aufgaben“, sagt Alfred Opiolka. Die einen machen politische Kunst, die anderen weisen auf den drohenden Klimakollaps hin, wieder andere setzen Metagedanken sinnlich um. Ihm sei Politik auch wichtig, sagt Opiolka. Aber nicht in der Art, wie sie gemacht wird. „Ich denke, durch regelmäßiges Beten kann ich auch etwas für den Weltfrieden erreichen.“ Sei’s drum, wenn er deswegen Häme erntet. „Ich arbeite gegen das Geschrei. Meine, unsere Aufgabe ist es, Leute zum Lächeln zu bringen.“ Sein Partner nickt.

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3 Kommentare

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  • Ganz nett.



    Wie weit taz-relevant?

    • @Janix:

      Eine Antwort via planet-wissen.de aus dem Bereich der Kulturwissenschaften aus Kassel:



      "...– also aufzeigen, wie ein Grabmal künstlerisch und handwerklich gestaltet werden könnte. "Es sollte ein didaktisch ausgerichtetes Museum sein", beschrieb der damalige Direktor Professor Reiner Sörries die ursprüngliche Zielsetzung.



      Tabuthema Tod



      Doch bald wurde klar, dass der Tod und die damit zusammenhängende Begräbniskultur für viele ein Tabuthema darstellte. Nun wurde es zu einer wichtigen Aufgabe des Museums, die Schwellenangst der Besucher zu beheben. Mit kulturellen und historischen Themen wollte man möglichst sanft an die Öffentlichkeit herangehen.



      Dabei sollten die Besucher nicht gleich mit den Fragen des Sterbens und des Todes konfrontiert werden. Vielmehr finden sich auch schöne Dinge rund um die Bestattungsgeschichte."



      Hier musste ich an Elin Musik denken:



      "Das Museum beschäftigt sich auch mit alternativen Bestattungsformen, mit moderner und individueller Sarg- und Urnengestaltung. So wird zum Beispiel ein Erinnerungs-Diamant präsentiert, der aus der Asche eines Toten hergestellt wurde.



      In einer kleinen Metallkapsel dann via Träger-Rakete aus d. USA ins All. Für 11tsd bis 25tsd €!

  • "...den Abschied als schöne Erinnerung im Gedächtnis zu behalten.“ Das ist Alfred Opiolkas ­Mission. Er will, dass der Tod seinen Schrecken verliert, indem die Verstorbenen in Särgen liegen, die nicht ans Sterben, sondern ans Leben erinnern. Wer will, kann in den Särgen Probe liegen.“



    Deutlich wird, dass d. Deutungshoheit nicht mehr in d. Verlautbarungen weniger organisierter Religionen verbleibt, wie die Würde des verstorbenen Menschen auch n. dem Tod im Zentrum bleibt.



    In Rheinland-Pfalz wurde unlängst das Bestattungsgesetz geändert, es ist nur der Auftakt zu Beginn zeitgemäßer kultureller Transformationen in diesem Metier.



    „Nach über 42 Jahren haben wir einen neuen Rahmen geschaffen, der individuelle Vorstellungen und Wünsche der Menschen im Land mit einem würdevollen Abschiednehmen in Einklang bringt. Viele Menschen wollen sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, was mit ihnen nach ihrem Ableben geschieht."



    Staatsminister Clemens Hoch mwg-rlp.de



    In d. sechziger Jahren war noch d. Kremation b. Katholiken verboten.



    www.kremationsvere...chichte/religionen



    Das Verstreuen der Asche bleibt aber für Katholik*innen verboten.



    "Friedhofspflicht" in Deutschland: erst ab 1934