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Israelische RegierungspolitikDie Gaza-Besetzung wäre ein historischer Fehler

Felix Wellisch
Kommentar von Felix Wellisch

Die Besetzung des Gaza-Streifens ist die konsequente Folge israelischer Regierungspolitik. Sie ist ein Schritt auf dem Weg zur israelischen Dominanz.

Protest für einen Waffenstillstand in Gaza und die Rückkehr israelischer Geiseln in Tel Aviv, am 2.8.2025 Foto: Mostafa Alkharouf/imago

I srael wird den Gazastreifen besetzen – das hat das Kabinett am Freitagmorgen entschieden. Auch wenn die Minister der Forderung von Regierungschef Benjamin Netanjahu nach einer vollständigen Besetzung nicht ganz nachkommen, sondern sich mit der Einnahme von Gaza-Stadt für ein Vorgehen in Etappen entscheiden: Die Richtung ist klar. Doch die Entscheidung ist ein historischer Fehler. Sie wirft Israel mit der Übernahme der Kontrolle über die zwei Millionen Palästinenser in Gaza in eine Zeit vor dem Oslo-Friedensprozess zurück und basiert weniger auf militärischer Notwendigkeit als auf politischem Kalkül und ideologischem Starrsinn.

Militärisch sind die Erfolgsaussichten mau. Das sagen nicht nur Israels ­Sicherheitsbehörden, es zeigt sich auch an der Bilanz von eindreiviertel Jahren Krieg. Nur eine Handvoll Geiseln konnte lebend durch Armeeeinsätze befreit werden, die Mehrheit kam durch Verhandlungen frei. Die Hamas, obgleich geschwächt, ist nicht besiegt.

Netanjahu ist nicht nur ein von Rechtsextremen Getriebener

Die Liste der Gefahren ist hingegen ellenlang. Zuallererst wird die Eskalation das Leid der zwei Millionen Menschen in Gaza noch verschärfen. Sie wird die ohnehin an einem Kipppunkt angelangten internationalen Beziehungen Israels zu seinen Verbündeten weiterhin belasten. Sie gefährdet das Leben der rund 20 noch lebenden Geiseln und spaltet die israelische Gesellschaft, in der viele den Sinn des Krieges nicht mehr ­sehen.

Nicht zuletzt ist fraglich, ob Israel eine Besetzung in Gaza überhaupt umsetzen kann: Die Armee wird schon jetzt an zu vielen Fronten eingesetzt, neben Gaza auch in Syrien, im Libanon, im Westjordanland. Die Zahl der Rückmeldungen unter Reservisten sinkt. In letzter Zeit gab es vermehrt Berichte über Suizide von Soldaten nach Einsätzen in Gaza.

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Es ist kein Geheimnis, warum messianische Siedler wie Finanzminister Bezalel Smotrich für eine Besatzung sind: Für sie ist das ein Schritt auf dem Weg zur jüdischen Besiedlung von Gaza. Der Widerstand der Palästinenser, die Gewalt, der Konflikt sind für sie keine Probleme, sondern der Treibstoff für ihr Projekt, die Grenzen Israels zu verschieben und das Land in eine religiöse Autokratie umzubauen.

Doch auch Netanjahu ist nicht nur ein von seinen Koalitionskollegen getriebener Opportunist. Ja, der endlose Krieg ist für ihn auch eine Überlebensstrategie. Doch die Ablehnung einer Zweistaatenlösung und die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde sind eine Konstante in seinen politischen Überzeugungen. Die Besatzung von Gaza und die spätere Übergabe an „arabische Kräfte“ machen für ihn politisch und ideologisch Sinn.

Ein Weg aus der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern aber ist sie nicht, im Gegenteil. Sie ist ein planloses Unterfangen ohne Exit­strategie. Der Sicherheit Israels dürfte sie eher schaden, denn die kann langfristig nur durch politische Lösungen erreicht werden. Dafür braucht es Perspektiven und die Aussicht auf ein friedliches und selbstbestimmtes Leben für Palästinenser wie für Israelis.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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