Merz' Israel-Entscheidung: Richtungswechsel im Gaza-Krieg
Bundeskanzler Merz betont Solidarität mit Israel, lehnt militärische Unterstützung für Gaza-Offensive ab. Zustimmung aus der Opposition, Widerstand in der Union.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat seine überraschende Ankündigung verteidigt, Rüstungsexporte nach Israel einzuschränken. Deutschland stehe weiter „ohne Zweifel“ an der Seite Israels und werde „diesem Land auch weiter helfen, sich zu verteidigen“, sagte der CDU-Vorsitzende am Sonntag den ARD-„tagesthemen“. Aber die Bundesrepublik könne nicht Waffen in einen Konflikt liefern, den die israelische Regierung ausschließlich mit militärischen Mitteln zu lösen versuche und „der Hunderttausende von zivilen Opfern fordern könnte“. Hier gehe es „um ganz grundsätzliche Haltungsfragen“. Solidarität mit Israel „bedeutet nicht, dass wir jede Entscheidung, die eine Regierung trifft, für gut halten und ihr dabei auch noch Unterstützung zukommen lassen“, so Merz.
In einer schriftlichen Erklärung hatte der Kanzler am Freitag mitgeteilt, dass die Bundesregierung „bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können“, mehr genehmigt. Zur Begründung gab er die geplante neue Offensive Israels an. Für die deutsche Regierung habe die Freilassung der Geiseln und zielstrebige Verhandlungen über einen Waffenstillstand „oberste Priorität“. Das beschlossene „noch härtere militärische Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen“ ließe aber „immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen“.
Zustimmung kommt vom Koalitionspartner. So bezeichnete Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil den teilweisen Exportstopp als „richtige Entscheidung“. Aber in den eigenen Reihen der Union ist die Empörung groß. „Es ist ganz offensichtlich, dass diese Entscheidung des Kanzlers bei vielen in der Union auf erheblichen Widerstand stößt“, sagte der bayrische CSU-Landtagsfraktionsvorsitzende Klaus Holetschek am Wochenende der Augsburger Allgemeinen. Auch er selbst halte „den Waffenstopp für einen Fehler mit fatalen Folgen“.
Der niedersächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller verurteilte auf „Instagram“ die Entscheidung der schwarz-roten Regierung „aufs Schärfste“. Sein nordrhein-westfälischer Kollege Matthias Hauer, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, bezeichnete sie auf der Plattform „X“ als „ein verheerendes Signal“.
Die Hamas habe das schreckliche Leid in Gaza zu vertreten und müsse „nachhaltig vernichtet werden“, so Hauer. Von einem „schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands“ sprach der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Mit der Aussetzung von Rüstungsexporten nach Israel „beugt man sich einem antisemitischen Mob der Straße, der jüdisches Leben auch in Deutschland bedroht“, wetterte er auf „X“. Und der Vorsitzende der Jungen Union und CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel ätzte auf „X“: „Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.“
Nachhaltige Vernichtung der Hamas
Als „enttäuschend“ bezeichnete Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Mitteilung von Merz. „Dieser Kurswechsel läuft allen Solidaritätsbekundungen und Versprechen zuwider, die der Bundeskanzler seit seinem Amtsantritt vertreten hat“, erklärte Schuster. „Die Bundesregierung sollte ihren eingeschlagenen Weg schnellstmöglich korrigieren“, forderte er.
Kanzleramtsminister Thorsten Frei wies den Vorwurf eines Kurswechsels zurück. „Deutschland unterstützt Israel weiter bei allem, was notwendig ist, seine Existenz und seine Sicherheit zu verteidigen“, sagte der CDU-Politiker am Wochenende der dpa. Nicht betroffen vom Exportstopp sei denn auch „all das, was der Selbstverteidigung Israels dient, also beispielsweise im Bereich der Luftabwehr, der Seeabwehr“, betonte Frei.
Die Opposition reagierte positiv auf den teilweisen Exportstopp, allerdings geht er ihr nicht weit genug. „Endlich kommt die Bundesregierung ins Tun und stoppt die Lieferungen von Waffen, die in Gaza eingesetzt werden können“, sagte die Grünen-Chefin Franziska Brantner der dpa. Sie „begrüße das sehr, es kann aber nur ein erster Schritt sein“. Es brauche jetzt ernsthaften Druck für ein Ende des Kriegs und der humanitären Katastrophe.
Die Linken-Außenpolitikerin Lea Reisner sprach von einem „überfälligen Schritt, der zeigt, dass politischer Druck wirkt, auch wenn er für Zehntausende Menschen zu spät kommt“. Angesichts der Vertreibungspläne des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und der humanitären Katastrophe in Gaza reiche das jedoch „längst nicht mehr aus“. So forderte Reisner, das EU-Assoziierungsabkommen auszusetzen, Palästina anzuerkennen und „die Maßnahmen des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs umzusetzen“.
Im Zeitraum vom 7. Oktober 2023 bis zum 13. Mai 2025 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Israel im Gesamtwert von mehr als 485 Millionen Euro. Anfang Juni teilte sie in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit, die Lieferungen umfassten „unter anderem Feuerwaffen, Munition, Waffenteile, spezielle Ausrüstung für Heer und Marine, elektronische Ausrüstung sowie Spezialpanzer“.
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