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Europäische ErklärungAuf Kosten der Ukraine

Per Handschlag wollen Trump und Putin Russlands Krieg in der Ukraine durch Grenzverschiebungen beenden. Die Europäer lassen sich allmählich darauf ein.

Für Krieg gibt es kein passendes Schuhwerk: nach einem Luftschlag in Kramatorsk (31. Juli 2025) Foto: Yevhen Titov / AP

Berlin taz | Das prächtige Chevening House, informelle Residenz des britischen Außenministers inmitten einer Parklandschaft nahe London, hat schon so manches diskrete Treffen beherbergt. Der Ukraine-Gipfel, der dort am Samstag stattfand, hat eine für Chevening unübliche Außenwirkung. Die wichtigsten Akteure Europas beugten sich hier Donald Trump – weniger als eine Woche, bevor der US-Präsident Russlands Präsident Wladimir Putin treffen will, um „den Krieg in der Ukraine zu beenden“, wie er mehrfach formuliert hat.

„Wir begrüßen Präsident Trumps Arbeit, das Töten in der Ukraine zu stoppen, den Angriffskrieg der Russischen Föderation zu beenden und für die Ukraine einen gerechten und dauerhaften Frieden und Sicherheit zu erreichen“, lautet der erste Satz der gemeinsamen Erklärung im Namen der Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen sowie der Kommissionspräsidentin und dem Ratspräsidenten der EU. Zwölf Sätze später folgt der Schlusssatz: „Wir werden weiterhin eng mit Präsident Trump und den USA zusammenarbeiten, und mit Präsident Selenskyj und dem Volk der Ukraine, für einen Frieden in der Ukraine, der unsere vitalen Sicherheitsinteressen schützt.“ Die Reihenfolge – erst Trump, danach Selenskyj – spricht Bände.

Der Gipfel fand auf Ebene der nationalen Sicherheitsberater statt, auch die Ukraine war vertreten. Geleitet wurde es nicht nur vom Gastgeber, Großbritanniens Außenminister David Lammy, sondern auch von US-Vizepräsident J.D.Vance, der sich seit Donnerstag auf Familienurlaub in Großbritannien aufhält. Schon am Freitag schlug er in Chevening auf, wo Lammy, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verbindet, ihn mit einem großspurigen „Willkommen bei mir zu Hause“ begrüßte, im Sessel vor Kamin und Landesflagge, fast wie im Weißen Haus.

Während Vance am Freitag mit Lammy im Park von Chevening angeln ging, wurden in Washington und Moskau die Weichen für das wohl spektakulärste diplomatische Ereignis des Jahres gestellt: ein Treffen zwischen Trump und Putin. Es soll, das bestätigten in der Nacht zu Samstag beide Präsidenten, in Alaska stattfinden.

Eigentlich wäre in der Nacht zu Samstag das jüngste Trump-Ultimatum gegen Putin, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden, ergebnislos abgelaufen. „Sehr enttäuscht“ sei er vom russischen Machthaber, hatte der US-Präsident am 28. Juli gesagt – auch das schon in Großbritannien, mit dem britischen Premierminister Keir Starmer neben ihm auf Trumps Golfplatz in Schottland. „Zehn bis zwölf Tage“ gebe er Putin noch, fuhr er fort. Am 14. Juli hatte er Putin noch 50 Tage gegeben, also bis Ende August. Dies folgte auf eine Zweiwochenfrist am 28. Mai, die Trumps Wahlkampfversprechen ablöste, den Krieg in der Ukraine in 24 Stunden zu beenden.

Feuerpausen gegen Rückzug der Ukraine

Aber statt neuer Strafmaßnahmen gegen Russland verhängten die USA am Donnerstag bloß neue Zölle gegen Indien als Hauptabnehmer russischen Öls – nichts, womit man Putin oder Indiens Premierminister Narendra Modi beeindrucken könnte. Bereits am Mittwoch war Trumps Sondergesandter geschickt worden, um drei Stunden lang im Kreml bei Putin zu sitzen. „Hochproduktiv“ sei das gewesen, erklärte Trump danach: „Große Fortschritte wurden erzielt!“

Was für Fortschritte? Laut Medienberichten bestand Putin auf der russischen Minimalforderung, die seit 2022 von Russland für annektiert erklärten ukrainischen Gebiete Donetsk, Luhansk, Saporischschja und Cherson vollständig Russland zuzuschlagen. Derzeit steht lediglich Luhansk vollständig unter russischer Kontrolle, im Gebiet Donetsk wird heftig gekämpft. In Saporischschja und Cherson ist die Front stabil, beide Hauptstädte sind weiter in ukrainischer Hand.

Den Berichten zufolge habe Putin „sektorale“ Feuerpausen im Gegenzug für einen „friedlichen Rückzug“ der Ukraine vorgeschlagen. Wittkoff habe das als friedlichen Rückzug Russlands missverstanden und zugestimmt. Uneinig seien sich die beiden über den Umfang eines Waffenstillstands im Gegenzug für ukrainische Gebietsverzichte geblieben: Wittkoff wollte ein vollständiges Schweigen der Waffen, Putin habe das abgelehnt, hieß es.

Verwirrung in der US-Regierung

Ab Donnerstag wurde Verwirrung innerhalb der US-Regierung deutlich. Verwirrung darüber, was man denn da genau in Moskau besprochen hatte. Klar war bloß, dass die Ukraine mindestens das Gebiet Donezk vollständig räumen soll, damit Russland den Krieg zumindest teilweise einstellt. Als vor diesem Hintergrund ein Putin-Trump-Gipfel ins Gespräch kam, schrillten sämtliche europäische Alarmglocken. Deshalb das schnell anberaumte Treffen in Chevening.

Dort soll ein europäischer Gegenvorschlag vorgelegt worden sein: erst ein Waffenstillstand, dann Verhandlungen. Wer aber auf eine robuste europäische Antwort gehofft hatte, musste zwangsläufig enttäuscht werden. Dass Großbritanniens Außenminister David Lammy den notorisch anti-ukrainischen US-Vizepräsidenten Vance nicht nur aus dem Sommerurlaub zu diesem offiziellen Termin holte, sondern ihm auch noch die Gesprächsleitung mit überließ, kann man als diplomatischen Affront werten.

Weit entfernt scheinen die Tage direkt nach dem Skandal im Weißen Haus am 28. Februar, als Trump und Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj gemeinsam vor laufender Kamera niederbrüllten. Schon am nächsten Tag hoben der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gemeinsam eine „Koalition der Willigen“ für die Ukraine aus der Taufe. Es ging darum, der Ukraine auch ohne US-Hilfe militärisch beistehen zu können, notfalls mit eigenen Soldaten auf ukrainischem Boden. Es folgten Gipfel in London und Paris.

Kein halbes Jahr später ist die Bilanz ernüchternd. Eine eigene diplomatische Initiative hat in Europa niemand entwickelt, aber auch keine eigene militärische. Russlands Angriffe sind intensiver denn je. Was der Ukraine gelingt, leistet sie mit eigenen Mitteln.

Mittlerweile schlechte Chancen für die Ukraine

In Militärkreisen in London werden die Chancen der Ukraine mittlerweile als gering gewertet. „Russlands Vormarschtempo beschleunigt sich und die russische Sommeroffensive dürfte die ukrainischen Streitkräfte unter großen Druck setzen“, heißt es in einer neuen Analyse des führenden britischen Militär-Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI): „Das vorherrschende Zukunftsszenario in der Nato ist eines, in der Russland Kyjiw einen Kriegsausgang aufzwingt, der die Unabhängigkeit der Ukraine kompromittiert.

Wenn die Russen dann ihre Streitkräfte aus der Ukraine abziehen und sie in großangelegte Manöver stecken, könnten sie innerhalb von zwei Jahren eine ernstzunehmende Mindestkraft zur Bedrohung europäischer Staaten haben.“ Innerhalb von sieben Jahren könnte Russland seine in der Ukraine verbrauchten militärischen Kapazitäten sogar vollständig wiederhergestellt haben. „Aber wenn die Ukraine noch ein Jahr durchhalten und die russischen Kräfte schwächen kann, könnte es für Russland unmöglich sein, sich zu erholen“.

Aus Sicht Trumps beinhaltet Frieden, dass die Ukraine Gebiete – und damit Menschen – an Russlands Gewaltherrschaft abtritt, damit Putin Ruhe gibt.

Daraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, die Ukraine gerade jetzt verstärkt zu unterstützen, da die ersten Anzeichen eines russischen Wirtschaftskollapses sich mehren. Die Ukraine wird bei RUSI als „Pufferzone“ beschrieben, deren Weiterbestehen Russland fernhält; aktuell erlebe man aber dafür „ein sich schließendes Fenster der Möglichkeiten“.

Militärfachkreise quer durch den Kontinent widmen sich längst der Frage, wie Europa nach einem Verlust der Ukraine vor direkten russischen Angriffen zu schützen sei. Vor diesem Hintergrund ist auch die Formulierung der europäischen Chevening-Erklärung zu verstehen, man wolle „einen Frieden in der Ukraine, der unsere vitalen Sicherheitsinteressen schützt“ – also die europäischen Sicherheitsinteressen, nicht die ukrainischen.

Aus Sicht Trumps beinhaltet Frieden, dass die Ukraine Gebiete – und damit Menschen – an Russlands Gewaltherrschaft abtritt, damit Putin Ruhe gibt. Trump hat „Gebietsaustausch“ offen als ein Thema beim Gipfel in Alaska formuliert. Der litauische Politiker Gabrielus Landsbergis verglich dies am Samstag mit der Weise, wie die westlichen Alliierten bei der Neuaufteilung Europas zum Ende des Zweiten Weltkrieges der Sowjetunion den östlichen Teil Polens überließen, gegen den Willen der polnischen Exilregierung in London. So ein Verrat an Verbündeten dürfe sich nicht wiederholen, schrieb er: Europa müsse „den Putin-Trump-Pakt zurückweisen“.

Ein Einknicken gegenüber Trump und Putin

Als der Litauer das schrieb, war die Chevening-Erklärung der Europäer schon fertig. Und sie ist ein Einknicken gegenüber Trump und Putin. Sie führt aus: „Wir bleiben dem Grundsatz verpflichtet, dass internationale Grenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen. Die aktuelle Frontlinie sollte der Ausgangspunkt von Verhandlungen sein.“ Mit anderen Worten: Ausgehend von der aktuellen Lage der Kampfhandlungen können neue Staatsgrenzen festgelegt werden. Es muss bloß in Verhandlungen geschehen, nicht mit der Waffe.

Für Ukraines Präsident Selenskyj bleibt wenig übrig, als allein auf weiter Flur auf Gerechtigkeit zu pochen. „Natürlich werden wir nicht Russland dafür belohnen, was es angerichtet hat (…) Die Ukrainer werden ihr Land nicht den Besatzern schenken“, schrieb er am Samstagmorgen.

In der Nacht zu Sonntag kommentierte er die Chevening-Erklärung: „Der Weg zum Frieden für die Ukraine muss zusammen mit der Ukraine festgelegt werden, und nur zusammen mit der Ukraine.“ Das würde er nicht sagen, wenn es bereits der Fall wäre.

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