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Aktivistin Ibtissame LachgarDie „meistgehasste Frau Marokkos“ wurde festgenommen

Die marokkanische Feministin Ibtissame Lachgar wird der Blasphemie beschuldigt. Sie hatte ein Shirt mit der Aufschrift „Allah ist lesbisch“ getragen.

Sorgt mit ihren Aktionen für Aufsehen: die Aktivistin Ibtissam Lachgar Foto: Andrea Rankovic/imago

Die marokkanische Feministin und Menschenrechtsaktivistin Ibtissame Lachgar wurde am Sonntag verhaftet. Die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt Rabat beschuldigt die 50-Jährige der „Blasphemie“ – der Gotteslästerung – und „der Beleidigung der islamischen Religion“. Der Grund: Sie hatte Ende Juli auf X ein Foto von sich veröffentlicht, auf dem sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Allah ist lesbisch“ trägt.

Das Bild ging viral, aber nicht im positiven Sinne. Es sorgte für Wutausbrüche und Drohungen gegen Ibtissame Lachgar, die in ihrem Umfeld gerne „Betty“ genannt wird. Nach eigenen Angaben gingen bei ihren Accounts auf sozialen Netzwerken „tausende Vergewaltigungsaufrufe, Morddrohungen und Aufrufe zur Steinigung“ ein.

Marokko ist ein konservatives und religiöses Land. König Mohamed VI. ist laut der Verfassung der „Chef aller Gläubigen“. Wer Kritik an der Religion übt, lebt gefährlich. „Aus zwingenden Gründen wurde die betroffene Frau in Untersuchungshaft genommen“, heißt es in der Erklärung der Staatsanwaltschaft.

Lachgar, die in Frankreich und Marokko aufwuchs, hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie ging in Rabat auf die französische Auslandsschule, das Lycée Decartes, und studierte in Paris Psychologie. Die Tageszeitung El Faro de Melilla in der spanischen Exklave an der nordafrikanischen Mittelmeerküste erklärte sie bereits vor Jahren zur „meistgehassten Frau Marokkos“. 2009 gründete sie zusammen mit einer Freundin die „Alternative Bewegung für individuelle Freiheiten“ – auf Französisch abgekürzt: Mali. Mali bedeutet im marokkanischen Dialekt so viel wie „Was ist los mit dir?“ oder „Was wirfst du mir vor?“.

Auf der Todesliste

Die erste Aktion der Gruppe war ein Picknick mitten im Fastenmonat Ramadan. Es kamen sechs TeilnehmerInnen und über 100 Polizisten. Auch weitere Aktionen sorgten für Aufsehen. So rief Mali zu einem Kiss-in vor dem Parlament in Rabat auf, nachdem ein jugendliches, unverheiratetes Paar 2013 wegen eines Kussfotos von sich auf Facebook wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ festgenommen worden war.

Mali tritt außerdem für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein und lud das holländische Abtreibungsschiff „Women on Waves“ 2012 ein. Die Kriegsmarine rückte aus, um das Schiff zu suchen und zu blockieren. Die Holländerinnen allerdings hatten schon Tage zuvor, als Urlaubsyacht getarnt, in einem marokkanischen Hafen festgemacht. AbtreibungsbefürworterInnen gelangten an Bord und spannten Transparente auf. Wochenlang bestimmte die Aktion die öffentliche Debatte. „Mali ist die einzige Bewegung zivilen Ungehorsams in Marokko, deshalb schockieren unsere Aktionen die Menschen“, erklärte Lachgar, gegenüber der Tageszeitung in Melilla. „Menschenrechte sind universell und voneinander abhängig, und das ist in muslimischen Ländern wie Marokko ein großes Problem“, fügte sie hinzu.

Lachgar bezeichnet sich offen als Atheistin und begeht damit in Augen der Konservativen ein weiteres Verbrechen. Für sie ist der Islam „wie alle religiösen Ideologien, faschistisch, phallokratisch und frauenfeindlich“.

Nicht nur die marokkanische Justiz und die konservativen, religiösen Parteien wurden schnell auf Lachgar aufmerksam. Die streitbare Frau steht seit 2015 ganz offiziell auf einer von der Terrortruppe „Islamischer Staat“ verfassten Todesliste.

Nach ihrer Verhaftung am Sonntag hat die Justiz 48 Stunden Zeit, Betty Lachgar anzuklagen. Im Falle eines Gerichtsverfahrens drohen ihr bis zu fünf Jahre Gefängnis.

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