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Kürzungsdebatte im SozialbereichUnd eure Lösung, liebe Linke?

Kommentar von Gunnar Hinck

Es geht wieder um Sozialkürzungen. Aber als Linke immer nur Nein zu sagen, bringt wenig. Nötig sind eigene Ideen, um die Sozialsysteme zu retten.

Alte Debatte ohne neue Lösungen, die immer wieder hochkommt: Angst vor dem sozialen Abstieg, ein Protest 1984 Foto: Klaus Rose/picture alliance

V erschärfte Debatten um Sozialkürzungen kommen in Deutschland offenbar im Zyklus von 20 Jahren um die Ecke: Die frühen 1980er Jahre waren so eine Zeit, 20 Jahre später folgte die berüchtigte „Gürtel-enger-schnallen“-Debatte, die in die Agenda 2010 und in Hartz IV mündete. Jetzt baut sich wieder eine Diskursverschiebung in Richtung Kürzungen auf; die jüngsten Äußerungen der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, notfalls an die Sozialleistungen heranzugehen, sind nur das aktuellste Beispiel.

Die gesellschaftliche Linke inklusive des linken Flügels der SPD macht es sich zu einfach, solche Forderungen empört-routiniert zurückzuweisen. Besser wäre es, mit eigenen Ideen zu kommen, statt in die Rolle des passiven Opfers zu verfallen – so wie es zu Agenda-Zeiten geschah. Beispiel Rente: Immer weniger BeitragszahlerInnen müssen für immer mehr RentnerInnen aufkommen. Das ganze System kann nur überleben, indem der Bund jährlich sage und schreibe knapp 20 Prozent des Bundeshaushalts zuschießt. Das kann nicht lange gut gehen.

Es wäre, nur zum Beispiel, eine linke Antwort, relativ gute Renten zu deckeln zugunsten kleinerer Renten. Bis heute gilt aber die heilige Formel namens Äquivalenzprinzip: Wer mehr Rentenbeiträge einzahlt, bekommt auch eine höhere Rente. Selbst Länder wie die Schweiz, die nicht gerade unter Sozialismus-Verdacht stehen, verteilen innerhalb ihrer Grundrente von oben nach unten um.

Beispiel Bürgergeld: Das kostet trotz Arbeitskräftemangels ­inzwischen 50 Milliarden Euro jährlich. Es ist leicht hochzurechnen, wie die Kosten weiter steigen werden, wenn sich die maue Wirtschaftslage verfestigen sollte – die Vehemenz einer Kürzungsdebatte kann man sich jetzt schon ausmalen.

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Das Argument, aktuell von SPD-Arbeits­ministerin Bärbel Bas geäußert, es fehle an Qualifizierungsprogrammen und Sprachkursen, klingt wie eine bequeme Ausrede, nichts zu tun. Aber braucht man für einen Job im Backshop wirklich großartige Qualifizierungen und Sprachkurse? Im Gegenteil, bei der Arbeit lernen Menschen die Sprache. An einer bürokratischen Umständlichkeit festzuhalten, ist nicht links, sondern ziemlich deutsch.

Was es braucht, ist eine gesellschaftliche Linke, die Probleme offen benennt und eigene Lösungen präsentiert. Sonst droht sie, wie zu Agenda-Zeiten, von einer neoliberalen Diskursdynamik überrollt zu werden.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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