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Bildungsoffensive in PeruSchlange­stehen für gute Bildung

In Peru gehen 75 hochmoderne Schulen an den Start – eine absolute Seltenheit in der Schullandschaft. Der Bildungsminister erntet trotzdem viel Kritik.

Diese Kinder dürfen an der Mariscal Ramón Castilla lernen, einer gut ausgestatteten öffentlichen Schule in Lima Foto: Knut Henkel

lima taz | Die Schlange vor dem modernen Schulgebäude in Limas Stadtteil San Juan de Miraflores ist beachtlich. „Wir wollen unsere Kinder an dieser Schule anmelden“, erklärt ein Familienvater. „Sie ist neu, besser als so viele andere.“ Mariscal Ramón Castilla heißt die staatliche Schule, die bei Eltern gerade sehr begehrt ist. Benannt ist sie nach einem Militär, der im 19. Jahrhundert vier Mal Perus Präsident war – ihm zu Ehren sind im Land zahlreiche Straßen oder Siedlungen benannt. Besonders ist die Schule aber aus einem anderen Grund: Sie ist eine von insgesamt 75 hochmodernen Bildungseinrichtungen, den Escuelas Bicentenario, ein Prestigeprojekt der Regierung. Der Name erinnert an den 200. Unabhängigkeitstag Perus.

Als die Mariscal Ramón Castilla im September letzten Jahres eingeweiht wurde, kamen sogar Interimspräsidentin Dina Boluarte und Bildungsminister Morgan Quero. Eine Metalltafel im Eingangsbereich der Schule zeugt davon. Insgesamt besteht die Schule aus drei dreistöckigen Gebäuden, der Sportplatz ist durch ein riesiges Sonnendach geschützt. Farbige Kunststoffelemente vor den Fenstern sollen gegen das mitunter gleißende Sonnenlicht in Lima schützen.

Und sie tragen zu dem freundlichen Ambiente bei, in dem sich die rund 1.400 Schü­le­r:in­nen der Grund- und weiterführenden Schule wohlfühlen sollen, freut sich Yolanda Flores. An diesem Tag ist die Vizerektorin damit beschäftigt, Eltern entweder Hoffnung auf einen der kostenlosen Plätze an der Schule zu machen – oder sie an andere Einrichtungen zu verweisen. „Das Interesse ist riesig, denn moderne, gut ausgestattete Schulen sind selbst in Lima knapp“, sagt die Mittvierzigerin, „Ich weiß es zu schätzen, hier zu arbeiten“.

Thalia Huamani, Grundschullehrerin in San Juan de Miraflores Foto: Knut Henkel

Das liegt nicht nur an der modernen Architektur, sondern auch an der Ausstattung der Klassenräume. Das bestätigt auch Grundschullehrerin Thalia Huamani, die Erst­kläss­le­r:in­nen unterrichtet und dafür auch auf Laptops für alle und Whiteboards in den Klassenzimmern zurückgreifen kann. „Wir haben hier flexible Klassenräume, können so in großen und kleinen Gruppen arbeiten“, erzählt Huamani. Die Leh­re­r:in­nen könnten sich so gegenseitig unterstützen. Obendrein gebe es sogar einen Bioschulgarten.

„Solche Bedingungen sind in Peru die Ausnahme“, lobt die Anfang 30-Jährige, die seit 2019 unterrichtet. Die Lehrerin weiß, wovon sie spricht. Zuvor hat sie in zwei anderen Regionen des Landes unterrichtet. „Unsere Bildungsinfrastruktur braucht mehr als eine Auffrischung“, ist ihr Eindruck.

Eine Bildungsoffensive

Aus Sicht der Regierung stellen die 75 Escuelas Bicentenario den Startschuss für eine Bildungsoffensive dar. Konzipiert wurden sie in Kooperation mit Bil­dungs­ex­per­t:in­nen aus Großbritannien und Finnland. Das Ziel: Insgesamt 118.000 Schü­le­r:in­nen und 5.100 Leh­re­r:in­nen sollen in den 75 Schulen inklusiver, qualitativ besser und zukunftsorientierter lernen und unterrichtet werden. Umgerechnet rund 1,1 Milliarden Euro nimmt die Regierung dafür in die Hand. Für Peru ist das eine kleine bildungspolitische Revolution.

40 der 75 Schulen wurden bislang fertiggestellt, der Rest soll bis Ende des Jahres eingeweiht werden. Sie werden „die Lernbedingungen unserer Schülerinnen und Schüler erheblich verbessern“, versprach Bildungsminister Quero bei der Einweihung der Mariscal Ramón Castilla.

Der Architekt Jonathan Warthon, der für die Umsetzung der Pläne mitverantwortlich ist, nennt noch ein weiteres Ziel: „Es gab in der Vergangenheit immer wieder Verzögerungen bei öffentlichen Bauten, nicht nur im Bildungssektor“, so Warthon. Die Escualas Bicentenario seien auch der Versuch, schneller und effektiver zu bauen. Das funktioniere bisher recht gut, sagt Warthon. Bisher war er bei der Einweihung von drei Projekt-Schulen mit dabei. Er glaubt, dass alle Schulen wie geplant bis Ende 2025 den Betrieb aufnehmen können.

Das ist ein Hoffnungsschimmer für das im lateinamerikanischen Bildungsranking weit hinten liegende Peru. Bei den jüngsten Pisa-Ergebnissen blieben die peruanischen Schü­le­r:in­nen sowohl in Mathe, Lesen als auch Naturwissenschaften deutlich unter dem Niveau der OECD-Staaten – wie schon bei vorherigen Tests. Genau deshalb haben die neuen Bildungskonzepte der Escualas Bicentenario für Grundschullehrerin Thalia Huamani Signalcharakter: „Wir müssen mehr tun“, so die Pädagogin. „Das Stadt-Land-Gefälle in Peru ist gravierend, das bestätigen die Pisa-Testergebnisse und etliche Studien“, so Huamani.

Demnach hätten es auch Kinder aus bildungsfernen Schichten in Lima schwer, erklärt Huamani und deutet vielsagend mit dem Daumen auf die Wand hinter sich. In diese Richtung liegt die Villa María del Triunfo, eines der beiden Armenviertel, die an San Juan de Miraflores anschließen. Das macht sich auch im Unterricht bemerkbar, schließlich findet sich an der Schule Mariscal Ramón Castilla ein Querschnitt von Kindern und Jugendlichen aus den umliegenden Stadtvierteln.

Das Kollegium hofft, die Heterogenität mit digitalem Unterricht und neuen pädagogischen Ansätzen wie der Doppelsteckung auszugleichen. „Um all das wirklich zu beherrschen, müssen wir aber auch nachsitzen, Methodik dazulernen, uns digital alphabetisieren, besser werden“, gibt Vize-Rektorin Yolanda Flores zu: „Da hakt es noch“. Hin und wieder müsse sie ältere Kol­le­g:in­nen motivieren, ihren Unterricht an das Jahr 2025 anzupassen.

Viele Schulen mit Mängeln

Für Ex­per­t:in­nen wie Salomón Lerner, ehemaliger Rektor der renommierten Päpstlichen Katholischen Universität von Lima, ist das nur ein Problem unter vielen: „Perus Bildungsetat liegt chronisch unterhalb der sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie es die Vereinten Nationen empfehlen“, kritisiert Lerner. Zudem sei die Ausbildung von Lehrkräften „alles andere als zeitgemäß“. Dafür macht Lerner die Politik verantwortlich.

Schließlich hat das Parlament die Qualitätsstandards an den Universitäten nach unten geschraubt – nur damit mehr Universitäten aus rein ökonomischen Motiven gegründet werden können. „Das hat dazu geführt, dass unsere Leh­re­r:in­nen heute nicht immer gut genug sind“, sagt der emeritierte Professor Lerner.

Der Bildungsetat in Peru sei chronisch unterfinanziert. Rund 85 Prozent des Budgets entfallen auf Gehälter und fixe Kosten – für Investitionen in die bildungspolitische Infrastruktur bleibe kaum Geld, kritisiert Lerner. Auch Carlos Herz, der in Cusco eine kirchliche Bildungseinrichtung leitete, kritisiert die schlechte Ausstattung vieler Schulen in der anderen Regionen des Landes: „Schulen ohne Wasseranschluss, ohne Internet, mit baulichen Mängeln sind dort nicht die Ausnahme, sondern quasi die Regel“, so Herz.

Studien, wonach von den knapp 56.000 öffentlichen Schulen in Peru nur 4.087 frei von baulichen Defiziten sind, unterstreichen das. Die Wirtschaftsvereinigung ComexPerú warnte im Juni 2024, dass mehr als die Hälfte der Schulen bald einstürzen könnten.

Für Lerner und Herz sind die fünfundsiebzig Escuelas Bicentenario nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Sie werfen dem Bildungsministerium vor, kein Konzept für die kommenden Jahre zu haben. „Ich denke, dass die 75 Escuelas Bicentenario ein Pilotprojekt sind, das von den Versäumnissen der letzten Dekaden ablenken soll“, kritisiert Lerner. Echte Reformen seien nicht in Sicht. Eine Einschätzung, die viele Ex­per­t:in­nen teilen.

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