
Geheime Waffenfabrik in Russland: Putins Bombenbauerinnen
Um Kamikazedrohnen in Massen herzustellen, wirbt Russland gezielt junge Frauen aus Afrika an. Was ihnen versprochen wird und was wirklich passiert.
J ane setzt sich die Schutzmaske auf das krause Haar mit den roten Strähnchen. Ihre Hände stecken in dicken Schutzhandschuhen. Ein russischer Ausbilder zeigt der Afrikanerin, wo sie die Schweißnaht ansetzen soll. Funken sprühen. Die beiden stehen an einer Werkbank in einer Fabrikhalle in Russland und werden gefilmt: Eine Bauchbinde wird in das Video eingeblendet. „Jane – Schweißerin – Gehalt: 500 $“, steht da.
Solche Videos werben derzeit in afrikanischen sozialen Medien für ein Ausbildungs- und Arbeitsprogramm in Russland. Schweißerin, Logistikerin, Bauingenieurin, Reinigungskraft oder Bedienung im Restaurant – die Zukunft der jungen Afrikanerinnen sieht in diesen Videoclips blendend aus: „Erreiche deine Ziele“, „überwinde die Herausforderungen“, sagt die Stimme im Hintergrund auf Englisch. Mit Gehaltsaussichten bis zu 4.000 Dollar nach einem halben Jahr und „Reisemöglichkeiten im größten Land der Erde“ wird gelockt.
Alabuga heißt die russische Firma in der gleichnamigen Sonderwirtschaftszone in der russischen Region Tatarstan, die mittlerweile rund tausend junge Frauen im Alter zwischen 18 und 22 Jahren aus 85 Ländern beschäftigt, die meisten aus Afrika, darunter Kamerun, Burkina Faso, Sambia, Somalia, Burundi oder Uganda.
Spencer Faragasso, Drohnenexperte
Aus welchem Land Jane kommt, die in gleich mehreren Alabuga-Filmchen auftaucht, ist nicht ersichtlich. Im Video „Arbeiten und Reisen“ bezieht Jane ihr Bett im modernen Wohnheim nahe dem Fabrikgelände. In ihrer Freizeit spielt sie Hockey auf dem Rasen des Sportzentrums oder sitzt abends am Lagerfeuer mit ihren afrikanischen Kolleginnen. Im Video „Arbeiten und Heiraten“ lernt Jane im Alabuga-Einkaufszentrum einen russischen Geschäftsmann kennen, der lässig seine Ohrstöpsel hängen lässt. In der nächsten Sequenz fährt sie in seiner Limousine vor, spaziert schwanger in ein schickes Café und blickt verliebt in die Kamera.
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Bei Alabuga arbeiten tausend junge Frauen
Klar ist: Alabuga sucht händeringend nach Arbeitskräften. In dieser Steueroase, rund zehn Kilometer außerhalb der Stadt Jelabuga in Tatarstan, haben sich 43 Fabriken und Firmen angesiedelt, es ist derzeit die größte Sonderwirtschaftszone Russlands. Darunter sind Hersteller für Fensterscheiben, für Glasfaser, für Autokarosserien, chemische Dünger oder Klopapier.
In der Fabrikhalle Alabuga-Maschinenherstellung werden offiziell Motorboote gefertigt. „Wir haben jedoch herausgefunden, dass dies nur eine Fassade ist“, so Spencer Faragasso vom Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit in Washington zur taz: „für die geheime Produktion der Shahed-Kampfdrohnen, die in Russland Geran-2 Drohnen genannt werden.“ Der Drohnenexperte hat Satellitenbilder und geleakte Dokumente ausgewertet und kommt zu dem Schluss: „Wir schätzen, dass 90 Prozent der aus Afrika angeworbenen Arbeiterinnen im Drohnenprogramm arbeiten.“
Und tatsächlich: In einem der Videos auf der Alabuga-Webseite lackieren zwei junge afrikanische Frauen ein Bauteil, das aussieht wie die Tragfläche einer Drohne. Genau dasselbe Teil ist auch in der Bauanleitung der iranischen Shahed-Drohnen zu sehen, die mit „Bauanleitung für das Motorboot“ betitelt ist und der taz vorliegt.
Shahed-Drohnen sind für Russlands Krieg gegen die Ukraine entscheidend. Fast jede Nacht fliegen Hunderte davon auf ukrainische zivile Ziele. „Fliegende Mopeds“ werden sie von ukrainischen Soldaten genannt, weil ihr Dieselmotor beim Anflug knattert. „Es sind quasi fliegende Bomben“, so Faragasso: „Kamikazedrohnen, die explodieren, wenn sie aufschlagen.“
Sie seien preiswert und einfach herzustellen, also für die Massenproduktion geeignet. „Denn sie bestehen nur aus Glasfaser, einem Motor und einem Propeller und können mehrere hunderte Kilometer fliegen“, so Faragasso. Sie können in Schwärmen gestartet werden, „um die Luftabwehr erfolgreich außer Gefecht zu setzen.“ Derzeit nutzt Russland Schwarmangriffe als taktisches Mittel, ähnlich wie Iran bei seinen Luftangriffen gegen Israel im Juni.
Anwerbung über Online-Dating-Plattformen
Dies ist kein Zufall. Russische und iranische Dokumente, die der taz vorliegen, lassen darauf schließen, dass die Drohnen zunächst in Einzelteilen aus Iran importiert und dann in Alabuga nur zusammengebastelt wurden, wie ein Baukasten. Die Bezahlung erfolgt über eine Bank in Dubai. Dies bezeugen ein Kaufvertrag sowie eine Überweisungsbestätigung. Unter den geleakten Akten ist auch das Programm für den neuntägigen Besuch einer iranischen Delegation im März 2023, gut ein Jahr nach Kriegsbeginn. „Als der Krieg begann hatten die Russen keine Erfahrungen in der Drohnenfabrikation“, so Faragasso. „Also kooperierten sie zunächst mit Iran.“ Seit April 2024 steht Alabuga auf der US-Sanktionsliste, seit Februar 2025 auch auf der EU-Sanktionsliste.
Mittlerweile stellen die Russen fast alle Komponenten selbst her, auch in größerer Stückzahl. Aus den Dokumenten geht hervor: 2023 wurden rund 4.500 Drohnen für die russische Luftwaffe gefertigt. Ziel war, die Zahl im Jahr 2025 auf 6.000 zu erhöhen.
Dazu benötigte Alabuga, vollständig im Besitz des Verwaltungsbezirks Tatarstan, fleißige Arbeitskräfte. Da Russland junge Männer lieber an die Front schickt, entstand in der Sonderwirtschaftszone ein polytechnisches Institut, um junge russische Schulabgänger*innen mit einer betriebsinternen Ausbildung zu locken. Rasch wurde das Programm ausgeweitet auf Tadschikistan, wo die Jugendarbeitslosigkeit hoch und die Sprache mit dem iranischen Farsi verwandt ist, was das Lesen der technischen Baupläne erleichtert.
Als auch das nicht ausreichte, begann die Personalabteilung laut Recherchen des russischen Onlinemagazins Protokol, afrikanische Studentinnen in Russland anzuwerben, teils über Online-Dating-Plattformen wie Tinder. Wie Faragasso erläutert: „Denn sie haben in ihren Heimatländern meist weniger Jobchancen und sind damit anfälliger für potenzielle Ausbeutung.“

Satellitenbilder aus dem Jahr 2022 zeigen ein separates Wohnheim für die Arbeiterinnen neben der Fabrikhalle. Im polytechnischen Institut wurde ein Studienprogramm auf Englisch aufgesetzt. Im Herbst 2022 fand die erste Immatrikulation ausländischer Studentinnen statt, 25 insgesamt. Sie heißen „Mulatkis“, übersetzt „Mulatten“ – ein rassistischer Begriff. Laut einem Personalplan werden die Arbeitskräfte nach Herkunft unterteilt: „Mulatten, Tadschiken und Spezialisten“. Seit Ende 2022 wirbt das internationale Rekrutierungsprogramm „Alabuga-Start“ über eine Internetseite gezielt junge Frauen in Afrika und Lateinamerika an.
Drohnen statt Motorboote
„Der Wunsch, ins Ausland zu ziehen und dort zu leben, ist bei uns weit verbreitet“, erklärt Nicole Letaru. Die 35-jährige Uganderin sitzt in einem Café in Ugandas Hauptstadt Kampala und trinkt Melonensaft. Die Influencerin berät junge Ugander*innen, die im Ausland arbeiten möchten. Auf ihrem Youtube-Kanal stellt sie weltweit Jobs und Ausbildungsprogramme vor.
Auch für Alabuga hat sie geworben. „Dort könnt ihr eure Karriere voranbringen und euer Leben für immer verändern“, so Letaru in ihrem Post im Jahr 2024. In ihrem 10-minütigen Video führt die Trainerin durch die Bewerbungsbedingungen: Russischkurse und medizinische Untersuchungen seien Pflicht, erklärt sie. Dafür übernehme Alabuga die Kosten für den Flug und die Unterkunft, die „mit Kühlschrank und Waschmaschinen ausgestattet sind“, betont sie.
Letaru hat 2019 selbst in Sibirien gelebt und als Englischlehrerin gearbeitet. Sie liebte das russische Essen und hasste die kalten Winter. Dass sie nicht nur für IT-Jobs in Indien oder Verwaltungsstellen bei der UNO wirbt, sondern auch für russische Motorboothersteller, findet sie nicht ungewöhnlich.
„Doch ich wurde dafür stark kritisiert“, räumt sie ein. Eine Uganderin, die in Alabuga arbeitet, schrieb ihr: „Die Bezahlung dort entspricht nicht dem, was uns versprochen wurde“, berichtet Letaru. Die Kosten für den Flug, für Unterbringung und Verpflegung sowie Sprachkurse würden vom Gehalt abgezogen. Gegenüber der taz bekräftigt Letaru: „Ich habe von Alabuga per Zufall im Internet gelesen.“ Dass dort Drohnen und keine Motorboote gefertigt werden, davon habe sie nichts gewusst. Sie sei für ihre Werbung weder bezahlt noch von russischer Seite beauftragt worden, stellt sie klar.
Andere jedoch lassen sich dafür bezahlen. Auf der Alabuga-Webseite können sich nämlich werbewillige Organisationen für einen Zuschuss bewerben. Einen Extrazuschlag gibt es für diejenigen, die neue Organisationen gründen. Die Nil-Stiftung, die in Somalia gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit kämpft; der Sambia-Russland-Alumni-Verband (ZamRus); die Simbabwe-Belarussisch-Russische Jugendagentur; die „Freunde Russlands in Madagaskar“; die Enangue Holding in Kamerun – all diese Organisationen wurden in den vergangenen zwei Jahren aus dem Boden gestampft und posten auf ihren Kanälen die Werbevideos von Alabuga. Die Bildungsstiftung BDADI in Tansanias größter Stadt Daressalam organisiert nicht nur Veranstaltungen für Alabuga, sondern auch Diskussionsveranstaltungen zum Thema „Globale Sicherheit und Frieden“ im Iranischen Kulturzentrum.
Kostenlose Russischkurse als Werbung
In Uganda organisierte der Nationale Studentenverband Unsa kürzlich Rekrutierungsveranstaltungen an der staatlichen Makerere-Universität in Kampala.
Auf einem Gruppenfoto vom Mai vor dem vierstöckigen Gebäude der IT-Fakultät, das auf dem Alabuga-Telegram-Kanal zirkuliert, strahlen 24 junge Uganderinnen in die Kamera. Organisiert wurde das Event unter der Schirmherrschaft der Miss Uganda 2024, dem Topmodel Ester Kironde. Sei sei „Sonderbotschafterin“ für Alabuga, heißt es dort.
Auf taz-Anfrage beim Studentenverband erklärt der Sekretär am Telefon: „Das Event wurde von unserem Vorsitzenden dank seiner persönlichen Beziehungen organisiert.“ Doch dieser sei derzeit nicht erreichbar, er befinde sich auf Militärtraining und habe kein Telefon zur Hand. „Offiziell haben wir keine Beziehungen zu den Russen“, so der Sekretär. Ob der Vorsitzende die Zuschüsse in seine eigene Tasche gewirtschaftet hat, will die taz wissen. „Davon weiß ich nichts“, zischt er und legt auf.
Für einen Workshop von Alabuga und Unsa an der Lubiri-Oberschule in Kampala reisten im April 2023 sogar Vertreter aus Tatarstan an. „Unser Team fliegt nach Uganda“, posteten die jungen russischen Alabuga-Mitarbeiter*innen und hielten dabei ihre Flugtickets in die Kamera.
Die Lubiri-Oberschule unweit des Königspalasts des traditionellen Königreichs Buganda ist eine renommierte Einrichtung in Kampalas Altstadt. Die mehr als tausend Schüler*innen tragen blaue Uniformen. Aber ihre Zukunftsaussichten sind mäßig, Ugandas Jugendarbeitslosigkeit ist enorm. Die Russen kommen da wie gerufen. „Weil ihr den ganzen Tag arbeitet, sammelt ihr gleichzeitig praktische Erfahrung – das gibt es sonst nirgendwo“, wirbt Alabuga-Mitarbeiter Konstantin Trifonow im Video der Veranstaltung für seine Firma. Dabei verweist er auf die Stiftung „Russki Mir“, die in Kampala kostenlose Russischkurse anbietet.
Schulvizedirektor Joseph Kazibwe sitzt im schwarzen Anzug in seinem Büro, auf seinem Schreibtisch türmen sich Unterlagen. Man begrüße jede Möglichkeit, die Abschlussklassen für den Arbeitsmarkt fit zu machen, sagt er. Aber über die russische Veranstaltung gibt er sich entsetzt. „Von einem Event mit einer russischen Firma weiß ich nichts“, sagt er. Als die taz ihm Videos von der Veranstaltung zeigt, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen: „Normalerweise müssen wir solche Veranstaltungen vorher mit dem Ministerium abklären“, gibt er zu bedenken. „Diese Veranstaltung haben nicht wir organisiert, sondern der Studentenverband, dem unsere Schule angehört. Wir stellen ihm dafür regelmäßig unsere Mensa zur Verfügung.“
Danach greift er zum Telefon und kontaktiert den Verband. Kazibwe klingt verärgert. Immerhin, der Verbandssekretär gibt letztlich zu: Die Russen hätten Geld für die Veranstaltung bezahlt. „Seitdem haben wir aber keinen Kontakt mehr zu der Firma“, stellt er klar und legt auf. Kazibwe schüttelt verärgert den Kopf. „Es ist entsetzlich, unsere Jugend solchen Risiken auszuliefern.“
Angriffe durch ukrainische Drohnen
Was für Kazibwe bereits besorgniserregend klingt, bekommt durch die Ereignisse vor Ort eine noch dramatischere Dimension. Denn die Arbeit bei Alabuga ist nicht nur fragwürdig – sie ist auch gefährlich. Am 2. April 2024 schlug ein unbemanntes Propellerflugzeug in ein Wohnheim ein. Aufnahmen der Explosion wurden später auf der Whistleblower-Plattform „Alabuga-Truth“ veröffentlicht. Kurz darauf meldete sich die Kenianerin Mackline Othieno in einem von Alabuga verbreiteten Video. „Mir geht es gut“, erklärte sie. „Diejenigen, die heute unser Wohnheim angegriffen haben, sind wahre Barbaren. Ihr könnt uns keine Angst machen, Alabuga ist ein sicherer Ort.“
Drohnenspezialist Faragasso hat den Angriff mit Hilfe von Videos, Fotos und Satellitenbildern untersucht. Sie zeigen ein zerfetztes Gebäude, die Fensterscheiben durch den Druck herausgerissen. Der Schnee auf dem Parkplatz ist schwarz von Ruß. „Den Ukrainern gelang es, mit einem ferngesteuerten Propellerflugzeug, das mit Sprengstoff beladen war, im Kamikazestil in die Schlafsäle zu fliegen“, kommt Faragasso zum Schluss. 14 Afrikanerinnen wurden verletzt, darunter junge Frauen aus Simbabwe, Ruanda, Kongo, Kenia, Nigeria und Südsudan, sechs von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, so die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti. Satellitenbilder vom September 2024 deuten darauf hin, dass das Wohnheim inzwischen renoviert wurde. Es gibt jetzt eine Luftabwehranlage sowie Schutzbunker, so Faragasso. Bei der nächsten Angriffsserie ukrainischer Drohnen im Dezember 2024 wurde das Fabrikgelände rechtzeitig evakuiert, nur ein Warenlager brannte ab.
Am 23. April 2025 steuerten erneut ukrainische Drohnen auf das Gelände zu. Viele wurden abgewehrt. Doch Satellitenbilder, die der taz vorliegen, zeugen von einem Einschlagkrater nur wenige Meter von der Halle entfernt, wo die Shahed-Drohnen gefertigt werden. Die Botschaft, so Faragasso, ist klar: „nämlich, dass es sich um ein aktives Militärgelände handelt und dass es aufgrund des Krieges gezielten Angriffen ausgesetzt ist“.
Die Angriffe sorgten in Afrika für Empörung, viele Zeitungen griffen das Thema auf. Im September 2024 schaltete sich schließlich Ugandas Arbeitsministerium für Arbeit und Soziales ein und wandte sich an die Botschaft in Moskau. „Es ist notwendig, zu klären, wer für das Wohl der Uganderinnen in Russland zuständig ist“, so das Schreiben, das der taz vorliegt. „Ist es das Alabuga-Startprogramm-Team oder die ugandische Botschaft?“
Die weiblichen Arbeitsmigrantinnen bräuchten einen „Schutzmechanismus“. Auf taz-Anfrage beim Ministerium zeigt sich der zuständige Staatssekretär schmallippig: „Mir ist nicht bekannt, dass in Russland Uganderinnen arbeiten!“, schreibt er auf Whatsapp zurück. Mehr wolle er nicht sagen, außer dass es kein offizielles Abkommen mit Russland über Arbeitsmigration gebe und das Ministerium deswegen nicht zuständig sei.
„Wir werden permanent überwacht“
Vergeblich hat die taz versucht, Kontakt zu Frauen im Alabuga-Programm aufzunehmen. Da das Programm mindestens zwei Jahre dauert, sind nach taz-Informationen noch keine der Arbeiterinnen nach Hause zurückgekehrt. Und auch zu Afrikanerinnen in Tatarstan kam kein Kontakt zustande. Die Arbeiterinnen und deren Familien müssen bei Vertragsabschluss eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen.
„Wir werden permanent überwacht“, schrieb eine Uganderin der ugandischen Tageszeitung New Vision 2024. „Sie bekommen von Alabuga neue russische SIM-Karten und diese sind mit allerlei Überwachungssoftware bestückt“, erklärt Drohnenspezialist Faragasso, der mit einigen Frauen in Alabuga heimlich in Kontakt war. Der US-Nachrichtenagentur AP ist es gelungen, Handyvideos zu erhalten. Sie zeigen Ausschlag im Gesicht und auf Händen, wegen fehlender Schutzkleidung im Umgang mit Lacken und Chemikalien: „Mein Gott, es juckt so sehr, ich kann gar nicht aufhören, mich zu kratzen!“, sagt die Arbeiterin im Video.
Inzwischen haben Medienberichte und die Whistleblower-Plattform „Alabuga-Truth“ die Schattenseiten des Programms bekannt gemacht. Dennoch hat Alabuga staatliche Kooperationen geschlossen, etwa mit Sambia und Madagaskar. Weitere Regierungen zeigen Interesse: Im Mai besuchte Kenias Botschafter Peter Mutuku Mathuki das Werk und zeigte sich „beeindruckt“. Drei Tage später besichtige Somalias Botschafter Mohamed Abukar Zubeyr das polytechnische Institut, nahm an einem Sprachkurs teil: „Dieses Programm ist eine großartige Chance für junge Frauen“, sagte er: „Ich will in einem Jahr wieder nach Alabuga kommen und möchte dann möglichst viele Teilnehmerinnen aus Somalia hier sehen.“ Die Sozialministerin der Demokratischen Republik Kongo, Nathalie-Aziza Munana, war im Juni gemeinsam mit einer Delegation aus Benin dort. „Junge Menschen treten mit echter Berufserfahrung und theoretischem Wissen über ihren Beruf in den Arbeitsmarkt ein“, lobte sie und lächelte beim Gruppenfoto vor dem Alabuga-Gebäude in die Kamera.
Auf die taz-Anfrage, ob in Alabuga tatsächlich Drohnen produziert werden, bleibt eine Antwort von den Botschaftern und der Ministerin aus. Doch nur wenige Tage vor dem Besuch von Kenias Botschafter im Mai prangte auf der Titelseite der kenianischen Wochenzeitung East African die Überschrift: „Der Horror der ostafrikanischen Frauen, die für den Russlandkrieg Drohnen fertigen“. Der Artikel bezog sich auf den jüngsten Bericht der „Global Initiative of Transnational Organized Crime“, der auf 32 Seiten die Fakten klar belegt. Die russische Botschaft in Kenia sprach von einer „großangelegten Desinformationskampagne“.
Alabuga rekrutiert jedoch fleißig weiter. Es werden neue Unterkünfte gebaut, so Drohnenspezialist Faragasso auf Grundlage neuer Satellitenbilder. „Das lässt darauf schließen, dass die aktive Rekrutierung weitergeht“, sagt er und betont, dass es noch mehr Aufmerksamkeit bedarf, um junge Afrikanerinnen vor dieser „Falle“ zu bewahren: „Denn sie verdienen es nicht, Teil der russischen Kriegsmaschinerie zu sein.“
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