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Israelis Offensive auf Gaza-StadtNetanjahu lehnt jede Verhandlungslösung ab

Israels Offensive auf Gaza-Stadt hat offenbar begonnen. Über 100 internationale Hilfsorganisationen beklagen eine Behinderung bei der Einfuhr von Gütern.

Ernsthafte Verhandlungen, nicht mit ihm Foto: Ohad Zwigenberg/AP-Pool/dpa

Jerusalem taz | Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wechselt am Mittwoch von Englisch zu Hebräisch, als er zum entscheidenden Teil seiner Rede kommt: Eine Verhandlungslösung sei mit Blick auf Gaza „nur ein anderes Wort für Niederlage und Kapitulation“. Das Publikum auf dem Empfang des rechten US-Senders Newsmax in Jerusalem applaudiert, bevor Netanjahu schließt: „Ich werde nicht auf den Sieg verzichten, das Volk Israel wird nicht auf den Sieg verzichten.“

Der Vormarsch der israelischen Armee nach Gaza-Stadt, wo sich noch rund eine Million Menschen aufhalten, hat indes offenbar begonnen. Einem Hamas-Sprecher zufolge gebe es „aggressive“ Vorstöße der Armee in die Stadt. Binnen 24 Stunden starben laut den Gesundheitsbehörden in Gaza mindestens 123 Menschen bei Angriffen. Israels Militär teilte mit, ein Plan zur Eroberung der Stadt, der vergangene Woche von Israels Sicherheitskabinett beschlossen worden war, sei von Generalstabschef Eyal Zamir angenommen worden.

Die israelische Führung spricht von einer örtlich und zeitlich begrenzten Maßnahme, doch deutet vieles auf eine längerfristige Besetzung hin, allem voran zahlreiche Aussagen von Netanjahu selbst.

Derzeit kontrolliert die Armee je nach Quelle bereits zwischen 75 und 86 Prozent des Gebietes. Der Großteil der rund zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens drängt sich in Gaza-Stadt und Gebieten im Zentrum um die Al-Mawasi-Gegend zusammen – die laut dem Regierungschef beide erobert werden sollen.

100 Hilfsorganisationen schlagen Alarm

Israel wolle Gaza nicht dauerhaft kontrollieren, versicherte Netanjahu in einem Interview mit dem US-Sender Fox News am Freitag, sondern „die Hamas besiegen“ und das Gebiet an nicht näher beschriebene „arabische Kräfte“ übergeben, die weder mit der radikalislamischen Terrorgruppe noch der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbunden sind.

Allerdings hat bisher kein einziges arabisches Land Bereitschaft erkennen lassen, in Gaza ohne eine Einbindung der PA oder eine glaubhafte Versicherung für einen künftigen palästinensischen Staat Verantwortung zu übernehmen. Netanjahu lehnt beides konsequent ab. Regelmäßig spricht er sich stattdessen für die Idee aus, die Bevölkerung des Gazastreifens in andere Länder umzusiedeln.

Die humanitäre Lage in Gaza ist indes verheerend. Mehr als 100 internationale Hilfsorganisationen werfen der israelischen Regierung in einer Erklärung vor, ihre Einfuhren von Hilfsgütern nicht zu genehmigen. Vielen Organisationen, die teils seit Jahrzehnten in Gaza tätig waren, sei zuletzt mitgeteilt worden, sie seien „nicht berechtigt“, Hilfe zu leisten. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Ärzte ohne Grenzen und Oxfam.

Die israelische Armee bestreitet eine Hungersnot und behauptet stattdessen, die Hamas inszeniere eine „Hungerkampagne“. Bilder von Verteilzentren seien inszeniert, Zahlen von Hungertoten und Mangelernährten übertrieben und Todesfälle auf Vorerkrankungen zurückzuführen.

Dem stehen Berichte von fast allen anerkannten Hilfsorganisationen und zahlreichen internationalen Medien, Aussagen von Bewohnern sowie von Ärzten vor Ort entgegen. Alle kommen zu dem Schluss, dass der Großteil der Bevölkerung von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen ist und weite Teile die Grenze zu Hunger überschritten haben.

Israels rechtsreligiöser Finanzminister Bezalel Smotrich nutzte die Empörung um Gaza indes, um umstrittene Pläne für einen neuen Siedlungsblock im Westjordanland zu genehmigen. Das Bauprojekt mit dem Namen E1 würde Ost-Jerusalem sowie den Süden und Norden des Westjordanlandes trennen und begräbt, da sind sich Kritiker und der Minister einig, „die Idee eines palästinensischen Staates“. 2012 hatte Israel die Pläne noch aufgrund internationalen Drucks seitens der EU und der USA eingefroren.

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