Trump trifft Putin: Ausgerechnet Alaska!
Eine Militärbasis außerhalb von Anchorage könnte Geschichte schreiben im Ukraine-Krieg. Die Region galt als „amerikanische Perle der russischen Krone“.

Der russische Imperator Alexander II. verkaufte dieses Land vor über anderthalb Jahrhunderten an Washington. Aber eine beträchtliche Anzahl an Menschen glaubt tatsächlich, dass es eine gute Sache wäre, Alaska wieder Sibirien anzuschließen. Ungeachtet dessen, dass dieses Gebiet sowohl von der russischen als auch von der amerikanischen Hauptstadt aus immer schwer zu verwalten war. Warum gibt es trotzdem diese Begehrlichkeiten?
Die Eroberung Alaskas durch Kosaken, Pelzhändler und Einheiten der regulären zaristischen Armee und Flotte im 18. und 19. Jahrhundert dauerte fast 100 Jahre lang. Von der Beringstraße aus zogen die Russen entlang der Westküste der USA nach Süden und erreichten die Besitztümer des spanischen Königs, wo sie nördlich von San Francisco in Kalifornien den befestigten Außenposten Fort Ross gründeten.
Dieser diente der Versorgung von russischen Kolonisten in Alaska mit Lebensmitteln und war Stützpunkt für die Pelztierjagd und den Pelzhandel. Doch die Gewinne gingen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zurück. Jäger rotteten die meisten Robben, Biber und Seeotter aus. Die „amerikanische Perle der russischen Krone“ begann zu verblassen. In der Hauptstadt St. Petersburg wurde damals beschlossen, das unbequeme und ferne Land loszuwerden und sich auf die Entwicklung Nordostasiens und die Eroberung Zentralasiens zu konzentrieren. Es kam zu einem Deal, der im April 1867 rund 7,2 Millionen Dollar kostete.
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Kein Hass, dafür viel Romantik
Trotz der unterschiedlichen Staatsstrukturen gab es weder in der Öffentlichkeit des Russischen Reiches noch in dessen Regierung vom 18. bis 20. Jahrhundert Hass auf Amerika. Und obwohl während des russischen Bürgerkriegs 1917 bis 1922 unter einigen Offizieren der Weißen Armee der Trinkspruch beliebt war – „Auf ein vereintes und unteilbares Großrussland – mit Polen, Finnland und Alaska“ –, waren dies eher romantische denn realistische Bestrebungen.
Die Bolschewiki hatten sich indes eine Weltrevolution auf die Fahne geschrieben, und Josef Stalin sah in Amerika während seiner drei Jahrzehnte währenden Herrschaft einen Hauptrivalen. Bereits während des Bürgerkriegs verkündete er die Teilung der Welt in zwei Lager: das sozialistische unter Führung Russlands und das kapitalistische unter Führung der USA. Obwohl die UdSSR Technologie und Maschinen aus der sogenannten Neuen Welt bekam und im Zweiten Weltkriegs auch sonst reichlich Hilfe erhielt, war für Stalin klar: Washington ist der Feind Nummer eins.
Zwischen 1945 und 1953, als der sowjetische Despot bereits einen „Dritten Weltkrieg“ vorbereitete, spielte die Arktis in den Operationsplänen der sowjetischen Armee eine große Rolle. Der russische Journalist Felix Tschujew schreibt in seinem Buch mit dem Titel „140 Gespräche mit Wjatscheslaw Molotow“ von einem Treffen mit Stalins ehemaligem Außenminister 1981. So habe er Molotow erzählt, wie er mit Armeegeneral Iwan Pawlowski in Tschukot_ka – einer Halbinsel im Nordosten Sibiriens, an der amerikanischen Seegrenze – gewesen sei.
Dort stünden noch immer Kasernen, wo 1946 die 14. Landearmee unter dem Kommando von General Nikolai Oleschew stationiert gewesen sei. Diese Armee habe eine strategische Aufgabe gehabt: in Alaska zu landen, entlang der Küste vorzurücken und eine Offensive gegen die USA zu starten. Stalin habe diesen Auftrag persönlich erteilt.
Dann zitiert Tschujew einen kurzen Dialog mit Molotow: „Ja, es wäre schön, Alaska zurückzuholen“, sagt Molotow. Gab es derartige Überlegungen? Natürlich“, sagt Molotow. 1953 starb Stalin. Diesen Plan konnte er nicht mehr umsetzen.
Jede Menge Mythen um Alaska
Doch die Russ*innen verloren Alaska nie aus dem Blick. 1990 wurde ein Lied der russischen Band „Ljube“ schlagartig zu einem Hit. In dem Song „Stell dich nicht so dumm, Amerika!“ wird die Rückgabe gefordert. Per Dekret des damaligen Präsidenten Boris Jelzin vom 16. April 1997, also nach dem ersten Tschetschenienkrieg, wurde dem Solisten dieser Band, Nikolai Rastorguew, der Titel „verdienter Künstler der Russischen Föderation“ verliehen.
Im gleichen Zeitraum tauchte in Russland wie aus dem Nichts der Mythos auf, dass Alaska nicht verkauft, sondern nur für 100 Jahre an die USA verpachtet worden sei. Im Juli 2022 dann – also wenige Wochen nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine – warnte der Sprecher der Duma, Wjatscheslaw Wolodin von Putins Partei „Einiges Russland“, dass die USA „daran denken sollten, dass wir auch etwas zurückholen könnten“ – wenn sie russische Vermögenswerte einfrieren würden. Gemeint war Alaska.
Wolodin brachte gar ein Referendum unter den Einwohner*innen Alaskas über einen Anschluss an Russland ins Spiel. Ähnliche Fantasien hatte Sergei Mironow, enger Vertrauter des Kremlchefs, Ende 2023. Russland solle darüber nachdenken, Alaska von den USA zurückzufordern. Seit Jahren leistet auch ein guter Freund Putins, der TV-Moderator Wladimir Solowjow, seinen Beitrag zum Thema. In einer TV-Sendung forderte er, Finnland, Polen sowie die drei baltischen Staaten müssten wieder in das russische Reich eingegliedert werden. Und welches Gebiet noch? Natürlich Alaska.
Aus dem Russischen übersetzt von Barbara Oertel.
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