Ökonomin über Entwicklungsfinanzierung: „Seien wir ehrlich, der Planet brennt“
Der Niedergang der US-Hegemonie führt zu einer Phase von Chaos, sagt die indische Ökonomin Jayati Ghosh. Aber er bringe auch Chancen.

taz: Die Weltbank, Geberländer, aber auch Entwicklungsländer selbst wollen den Privatsektor mobilisieren, um die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu finanzieren. Aus Milliarden sollen so Billionen werden, sagt Weltbankchef Ajay Banga. Ist das der richtige Weg?
Jayati Ghosh: Die Idee gab es schon vor 20 Jahren. Öffentliche Garantien und Mischfinanzierungen [Kombination von öffentlichen und privaten Mitteln – die Red.] sollen Anreize für Investitionen schaffen. Das ist nicht neu und hat sich nicht bewährt. Es ist so teuer, diese ganzen Anreize zu finanzieren, dass es für die Regierungen billiger kommt, die Projekte selbst zu finanzieren. Sonst geben sie öffentliche Garantien für die private Rentabilität und die Verluste werden von ihnen – also eigentlich den Steuerzahlern – übernommen. So wie das private Finanzsystem funktioniert, müsste es viel stärker reguliert werden, bevor wir es auf soziale Ziele ausrichten können.
taz: Welche Regeln sind erforderlich?
Ghosh: Zurzeit sind viele Entwicklungsländer in einem Schuldenkreislauf gefangen. Sie zahlen mehr für den Schuldendienst als für grundlegende Dienstleistungen für die Bevölkerung. Zunächst müssen wir diese Schuldenkrise lösen. Aber wir müssen auch verhindern, dass sich die Länder weiter verschulden. Die Lösung besteht nicht darin, zu den Kapitalmärkten zu gehen und fünf Jahre später eine weitere Schuldenkrise zu erleben.
taz: Reicht das dann?
Ghosh: Das globale System hindert Länder auch daran, eigene Ressourcen zu mobilisieren. Zum einen erlaubt es multinationalen Unternehmen, ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern, zum anderen erlaubt es reichen Menschen, ihr Geld zu verschieben – beides Schlupflöcher, die ganz einfach geschlossen werden können. Aber dafür braucht es internationale Zusammenarbeit.
taz: Sie plädieren für eine UN-Steuerkonvention, die Regeln für die steuerliche Zusammenarbeit festlegt.
Ghosh: Die UN-Steuerkonvention ist ein Schritt. Aber es gibt auch kleine Schritte, die einen großen Unterschied machen. Zum Beispiel der gemeinsame Meldestandard für den Austausch von Bankinformationen: 126 Länder haben ihn unterzeichnet – die USA nicht. Hier können die politischen Entscheidungsträger verfolgen, wohin das Geld fließt.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank halten diese Woche ihre jährliche Herbsttagung in der US-Hauptstadt Washington ab. Dort geht es unter anderem darum, ob die beiden Institutionen ihren neuen Fokus auf Klimaschutz beibehalten – anders, als US-Präsident Donald Trump will. Auch Zölle und die Schuldenkrise in Entwicklungsländern spielen eine Rolle. Ebenso die Mobilisierung von privatem Kapital.
taz: Private Investitionen sind also gar nicht notwendig?
Ghosh: Natürlich brauchen wir private Investitionen, aber diese Investoren werden dorthin gehen, wo es Profit gibt. Sie werden keine Klimaanpassung oder Armutsbekämpfung finanzieren. Andere Dinge können profitabel gemacht werden, aber dadurch wird der Zugang der Menschen dazu meist eingeschränkt. Wenn private Mittel also in das Gesundheits- oder Bildungswesen fließen, ist das nicht gut, weil Menschen es sich oft nicht mehr leisten können oder nur sehr schlechte Qualität zu einem niedrigen Preis erhalten, anstatt gute Qualität für alle. In diesen Bereichen ist es wichtig, dass öffentliche Mittel bereitgestellt werden. Private Mittel können in grüne Investitionen und erneuerbare Energien fließen. China ist ein klassisches Beispiel dafür, wie diese Bereiche profitabel sein können.
taz: Auch im Bereich der Erneuerbaren können private Mittel – wie in China – mit sozialen Kosten verbunden sein, mit Menschenrechtsverletzungen oder der Vertreibung von Gemeinschaften.
Ghosh: Bei all dem Gerede über Mischfinanzierungen fehlt der Punkt, dass es sich nur um Zuckerbrot handelt. Es geht nur um Anreize. Es gibt keine Peitsche, keine Bedingungen. Wenn ein Staat etwa die Entwicklung eines Impfstoffs subventioniert, wie bei Covid-19, dann können wir nicht sagen, das ist geistiges Eigentum des Herstellers. Wir müssen die Preise deckeln, festlegen, dass er vielleicht drei Jahre lang Gewinne machen kann und die Technologie danach mit allen teilen muss.
taz: Welche Rolle spielt die Weltbank?
Ghosh: Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, der IWF, treiben die Mischfinanzierung voran, schlagen die Hände in die Luft und sagen, „wir können nichts für die Umverteilung der SZR oder anderer Initiativen tun“.
taz: SZR – Sonderziehungsrechte – sind eine Art Geld, das der IWF schafft und entsprechend dem Bruttoinlandsprodukt der Länder verteilt. Während der Pandemie erhielt Deutschland etwa viermal so viel wie alle afrikanischen Länder zusammen. Viele Entwicklungsländer fordern seit einiger Zeit eine Umverteilung dieser Gelder, um Entwicklungsziele zu finanzieren. Es scheint, dass diese Forderung nicht so viel Gehör findet.
Ghosh: Auf einer Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung in Sevilla geriet ich in eine Diskussion mit einem Beamten des deutschen Finanzministeriums. Ich sagte ihm, dass Europa nicht begreift, wie sich die Welt verändert. Europa kann sich nicht weiter an die USA klammern, es braucht Verbündete im Rest der Welt. Und die sind relativ leicht zu bekommen. Die Europäer könnten ihre SZR nutzen, um bilaterale Schulden bei einer Reihe von Staaten abzuschreiben. Deutschland erwidert, dass seine Haushaltsregeln die Verwendung von SZR verbieten – aber dieselben Haushaltsregeln spielen keine Rolle, wenn es um Militärausgaben geht. Und jeder in der Welt kann das sehen. Wem will Deutschland etwas vormachen?
taz: Geben die USA und die EU ihre Verantwortung und Soft Power zusammen mit der Entwicklungshilfe auf?
Jayati Ghosh: Wissen Sie, was mich bei diesen Kürzungen wirklich überrascht hat, ist, dass der Rest der Welt nicht eingesprungen ist. Es wäre doch so offensichtlich! Die USA waren der größte Geber, aber die Beträge waren nicht sehr hoch.
taz: Allein für die HIV/Aids-Bekämpfung haben die USA im Jahr 2024 etwa 6,7 Milliarden Dollar bereit gestellt.
Ghosh: Das ist nicht viel, wenn die EU ihre Legitimität und Softpower wiederherstellen und zeigen wollte, dass sie sich immer noch um multilaterale Angelegenheiten kümmert. Und nicht nur Europa – Indien könnte es tun, Brasilien, China. Warum muss UNAIDS alles kürzen, nur weil die USA weg sind?
taz: Bieten die Brics als Zusammenschluss schnell wachsender Volkswirtschaften Entwicklungsländern wirtschaftlich eine Alternative?
Ghosh: Mehr und mehr Länder, nicht nur Brics, gehen zu Plan B über. schon vor Trump. Denn sein Vorgänger Joe Biden hat den US-Dollar mit den Sanktionen gegen Russland zur Waffe gemacht. Oder davor schon mit dem Einfrieren von Konten von Regierungen Russlands, Irans, Venezuelas und Kubas. Andere Länder fürchten, dass auch ihre Konten eingefroren werden könnten. Es hat bereits eine Umschichtung von Zentralbankvermögen in andere Währungen als den Dollar stattgefunden.
taz: Gehandelt wird meist noch in Dollar.
Ghosh: Aber es wird immer mehr nach Alternativen gesucht. Brics hat ein Zahlungssystem namens Brics clear entwickelt, das eine Alternative zu dem Swift-System darstellt. Die Länder entwickeln neue Formen von Handelskrediten, neue Formen von Wechselkurs-Swaps, die eine Art beginnendes finanzielles Sicherheitsnetz darstellen.
taz: Sind Sanktionen gegen Russland nicht gerechtfertigt?
Ghosh: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist absolut völkerrechtswidrig. Aber die USA haben auch viele Kriege geführt, die nicht gerechtfertigt waren und diese Länder völlig zerstört haben. Ich habe Freunde in Irak, in Syrien und Afghanistan. Deshalb finde ich es schwierig, wenn Leute in den USA und Europa mir sagen: Schaut auf Russland. Ich sage dann: Sind die Menschen in diesen anderen Ländern nicht auch Menschen, die Rechte haben? Unabhängig davon: Die Finanzmacht als Sanktion einzusetzen, war geopolitisch nicht klug, denn das wird andere Länder dazu bringen, es sich zweimal zu überlegen, ob sie sich auf den Westen als Basis für die Weltwirtschaft verlassen wollen.
taz: Die Abhängigkeit vom Dollar ist groß. Kann sie wirklich gebrochen werden?
Ghosh: Wenn man in der Geschichte zurückblickt, war das britische Pfund Sterling das Zentrum, die grundlegende Reservewährung. Die City of London war das Finanzzentrum, so wie heute die Wall Street. Es dauerte drei Jahrzehnte, bis es zusammenbrach. Trump beschleunigt den Niedergang der US-Hegemonie, was ich im Allgemeinen nicht für schlecht halte. Aber es führt zu einer Phase von Instabilität und Chaos.
taz: Die Weltordnung verschiebt sich, aber auch die neuen Mächte scheinen wenig Interesse daran zu haben, die UN-Entwicklungsziele zu verfolgen.
Ghosh: Leider sind viele Regierungen der Brics-Staaten ziemlich mies. Meine eigene, zum Beispiel. Und es sind auch sehr ungleiche Staaten. Sie werden von ihren eigenen Eliten beeinflusst. Ein Großteil des Wachstums kommt wenigen großen Unternehmen zugute, die sich im Besitz von Kumpanen des Regimes und vielleicht des oberen 10 Prozent der Bevölkerung befinden. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt, Veränderungen kommen oft dann, wenn man sie nicht erwartet.
taz: Vor drei Jahren haben Sie und andere Autoren des Club of Rome einen „Überlebens-Guide für unseren Planeten“ veröffentlicht. Darin zeigen Sie Wege auf, um den Klimawandel und Ungleichheit zu reduzieren. Wo stehen wir heute?
Ghosh: Seien wir ehrlich, der Planet brennt. Wir sind mit einer dringenden planetarischen und ökologischen Krise konfrontiert. Extreme Ungleichheiten bescheren uns eine soziale und wirtschaftliche Polarisierung, die uns unangenehme Regierungen beschert. Aber sie wird uns auch sehr unangenehme Gesellschaften bescheren. Es wird mehr Gewalt geben, mehr Kriminalität. Ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten, die Welt zu betrachten. Die eine ist, zu sagen: Oh, meine Güte, es wird alles zu Ende gehen. Die andere ist, zu sagen: Die Menschheit kann den Abgrund überwinden. Wir können uns ändern. Ich persönlich gehöre zu diesem zweiten Lager. Ich glaube, wir können und wir werden uns ändern.
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