trans* Menschen: Zwangsouting beim Behördengang
Das Bundesinnenministerium will mehr Daten bei Geschlechtsänderungen erfassen. Kritiker*innen befürchten ein „Sonderregister“ für trans Personen.

Ein Referentenentwurf des von Alexander Dobrindt (CSU) geleiteten Ministeriums sieht vor, geänderte Geschlechts- und Namenseinträge zu kennzeichnen: Mit drei neuen Datenfeldern soll festgehalten werden, unter welchem Geschlecht die jeweilige Person vorher bei den Behörden geführt war sowie wann und wo die Anpassung des Geschlechtseintrages stattgefunden hat. Die Änderung soll an Behörden wie das Bundeszentralamt für Steuern oder die Rentenversicherung weitergegeben werden. Zudem soll sie Meldebehörden etwa bei einem Umzug angezeigt werden.
Das BMI begründet die Verordnung mit dem im vergangenen Herbst in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Das von der Ampelkoalition verabschiedete Gesetz erleichtert trans, inter- und non-binären Personen die Änderung ihres Geschlechtseintrags. Psychiatrische Gutachten entfallen, bürokratische und finanzielle Hürden wurden abgebaut. Das Gesetz gilt als Errungenschaft bei der rechtlichen Entstigmatisierung queerer Personen.
Doch genau diese Errungenschaft nennt das BMI jetzt als Grund für die erweiterte Datenerfassung. Eine Sprecherin des BMI sagt gegenüber der taz: Weil „erstmals zentrale Angaben zur Identität ohne Prüfung und ohne Mitwirkung Dritter verändert werden“ können, sei „die Nachvollziehbarkeit der Identitätsdaten zu der betroffenen Person erschwert bzw. verhindert“.
Gefahr des Deadnamings
Warum das Gesetz die Nachvollziehbarkeit behindern soll, bleibt unklar. Mit konkreten Informationen hält sich das Ministerium bislang zurück. Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, kritisiert dies: „Auf unsere Nachfragen nach einem höheren Schutzstandard für Daten zum früheren Geschlechtseintrag und Vornamen haben wir vom Innenministerium leider noch keine Antwort erhalten. Diese Informationen sollten nur in besonders begründeten Fällen und unter erhöhten Voraussetzungen zugänglich sein.“
Das BMI rechtfertigt die Verordnung als rein bürokratischen Vorgang: Sie regle „lediglich die technische Umsetzung der Änderungsmitteilungen zwischen den Registern“, sagte die Sprecherin auf Nachfrage.
Doch hinter diesem „technischen“ Prozess stecken sensible Informationen. Das sogenannte Deadnaming – das Ansprechen oder Verbreiten eines abgelegten Namens – bedeutet für Betroffene eine Aberkennung ihrer geschlechtlichen Identität.
Auch wie lange die zusätzlichen Daten gespeichert werden sollen, steht nicht in dem Entwurf. Auf Nachfrage verweist die Sprecherin des BMI auf das Bundesmeldegesetz und erklärt, Behörden nutzten die Daten zur Identifizierung: „Der Name einer Person ist dabei ein wesentliches Merkmal, Datensätze zweifelsfrei und dauerhaft der richtigen Person zuzuordnen.“ Das klingt nach: In der Regel für immer.
Grüne im Bundestag stellen Kleine Anfrage zu dem Thema
Fachverbände warnen vor Diskriminierung. In einer Stellungnahme warnt der Bundesverband Trans* vor „Zwangsoutings in Kontakt mit Behörden“, die Deutsche Gesellschaft für Trans* und Inter*geschlechtlichkeit (dgti*) sieht einen „massiven Eingriff in die Privatsphäre“.
Die queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Nyke Slawik, sagt der taz, die Speicherung und Weitergabe früherer Geschlechtseinträge stelle einen „schweren Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar“. Innenminister Dobrindt trage aktiv dazu bei, dass Menschen, die ohnehin Diskriminierung und Anfeindungen erfahren haben, weitere Sicherheitsrisiken befürchten müssten.
Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag
Deshalb hat die Grünen-Fraktion im Bundestag nun eine Kleine Anfrage gestellt. Begründung: Die Speicherung und Weitergabe der Daten sei „verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig“. Slawik sagt, das Vorhaben des BMI zeige „einen fahrlässigen Umgang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dobrindt macht damit queere Menschen zur Zielscheibe einer rückwärts gerichteten Politik. Damit bringt er sie in Gefahr.“
Die Verordnung soll ab November 2026 gelten. Von Personen, die ihren Geschlechtseintrag vorher angepasst haben, wurden die zusätzlichen Daten nicht erfasst. Und für Personen, die ihren Geschlechtseintrag noch vor Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes haben ändern lassen, gilt nach dem vorher gültigen Transsexuellengesetz eine Auskunftssperre für die veralteten Angaben beim Meldeamt.
Auch das Selbstbestimmungsgesetz erlaubt die Weitergabe von Daten an Sicherheitsbehörden – allerdings nur bei „berechtigtem Interesse“. Neu ist also, dass die zusätzlichen Daten erfasst und weitergegeben werden. „Dadurch wird besonders hervorgehoben, dass die betreffende Person ihren Geschlechtseintrag geändert hat“, kritisiert der Verband queere Vielfalt (LSVD).
Mittlerweile richtet sich eine Petition gegen die Verordnung, mehr als 27.000 Mal wurde sie unter dem Namen „Kein Sonderregister für trans* Personen“ unterschrieben. Die Befürchtung der Initiatorin: Die neue Datenerfassung könnte genutzt werden, um ein Register aller Personen zu erstellen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben.
Bislang konnte diese konkrete Befürchtung nicht bestätigt werden. Nach taz-Informationen ist eine durchsuchbare Datenbank nicht Teil der Verordnung. Dennoch ist die Sorge vor Missbrauch groß – gerade durch die Behörden selbst oder einzelne Mitarbeitende. Die Initiatorin der Petition warnt vor einer „Markierung“ bei jedem Amtsgang, „bei jeder Behörde, bei jeder Abfrage, unabhängig davon, ob wir das wollen“.
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