Rettung von US-Forschungsdaten: Wissenschaftler sichern von Trump bedrohte Statistiken
Die US-Regierung modifiziert offizielle Daten zu Klima, Diversität und Gender und erschwert Kontrollen. Nun haben Forscher eigene Portale etabliert.

Geleitet werden sie von der Überzeugung, dass nationale Statistiken über parteipolitischen Interessen stehen sollten und die Demokratie leidet, wenn politische Entscheidungsträger nicht auf zuverlässige Daten zurückgreifen können.
„Da sind so smarte, leidenschaftliche Leute, die sich nicht nur um das Census Bureau zutiefst sorgen, sondern um sämtliche Statistikbehörden, und darum, die Integrität des statistischen Systems zu sichern. Und das gibt mir Hoffnung, sogar in diesen herausfordernden Zeiten“, sagte Mary Jo Mitchell von der Forschungsorganisation Population Association of America kürzlich auf einer Online-Konferenz zur Nutzung öffentlicher Daten.
Die Bedrohung für die US-Dateninfrastruktur seit Trumps Amtsantritt im Januar liegt nicht nur im Verschwinden oder der Modifizierung von Daten, die sich – neben anderen Punkten – auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, Gesundheit, Klimawandel und Diversität beziehen. Hinzu kommen laut Datenexperten die von der Regierung veranlassten Personalkürzungen unter Wächtern für Daten mit eingeschränkten Zugriffsrechten bei Statistikbehörden.
Ausgesperrte Datenkontrolleure
„Es gibt Billionen Bytes an Dateien, und ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie viele Dollar ausgegeben wurden, um diese Daten zu sammeln (…). Aber jetzt sitzen sie irgendwo, ohne Zugang, denn es gibt kein Personal, um diese Daten angemessen zu handhaben“, klagte Jennifer Park vom Committee on National Statistics der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine bei der Online-Konferenz.
Im Februar war das offizielle öffentliche Portal für Gesundheitsdaten der Seuchenkontrollbehörde CDC – data.cdc.gov – gänzlich abgeschaltet worden, stand dann später aber wieder zur Verfügung. Etwa zur selben Zeit erhielten Nutzer, die Daten aus der umfassendsten Erhebung der nationalen Statistikbehörde über Aspekte des amerikanischen Lebens abfragen wollten, mehrere Tage lang die Antwort, das sei „wegen Wartungsarbeiten“ derzeit nicht möglich. Später wurde der Zugang wiederhergestellt.
Die Forscher Janet Freilich und Aaron Kesselheim haben 232 im ersten Viertel dieses Jahres modifizierte Datensätze zur öffentlichen Gesundheit untersucht. Sie stellten fest, dass fast die Hälfte „substanziell verändert“ worden war. Bei den meisten wurde bei der Geschlechtsbezeichnung das Wort „Gender“ durch „Sex“ ersetzt, wie sie in der Juli-Ausgabe des medizinischen Journals The Lancet schrieben.
Sex und Gender
„Sex“ bezieht sich auf die biologischen und physiologischen Merkmale bei der Geburt, also auf das „zugewiesene“ oder „biologische“ Geschlecht, während „Gender“ das „soziale“ Geschlecht beschreibt. Das heißt, es bezieht sich auf die sozialen und kulturellen Rollen und Verhaltensweisen, die mit den Begriffen „Mann“ und „Frau“ verbunden sind und die Geschlechtsidentität einer Person, die sich von dem „zugewiesenen“ Geschlecht unterscheiden kann.
Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, herauszufinden, was genau geändert wurde, da das in vielen Fällen nicht eigens vermerkt worden ist. Beth Jarosz, eine Programmdirektorin beim Population Reference Bureau, hatte sich frühzeitig mit bestimmten Daten aus der letzten jährlichen nationalen Umfrage zur Gesundheit von Kindern in den USA versorgt, die sie für eine Rede auf einer Konferenz im Februar benötigte. Sie dachte, dass alles in Ordnung sei, auch wenn die Daten mittlerweile nicht mehr verfügbar waren.
Aber dann erkannte sie, dass sie versäumt hatte, sich den Fragebogen herunterzuladen. Später fand sie heraus, dass eine Frage zur Diskriminierung aufgrund von biologischem Geschlecht oder der Geschlechtsidentität nachträglich daraus entfernt worden war.
Die neuen Datenretter
Gleich mehrere Organisationen haben sich in diesem Jahr eigens gebildet, um gemeinsam Bundesdaten zu erfassen und aufzubewahren. Dazu gehören die Gruppe dataindex.us der Federation of American Scientists, die Änderungen an Datensätzen beobachtet, die Webseite Data Mirror der Bibliothek der University of Chicago, die Sicherheitskopien von gefährdeten Datensätzen anfertigt und hostet, und das Federal Data Forum, das darüber informiert, welche Bundesstatistiken verschwunden oder verändert worden sind.
In aller Stille kontaktieren diese Datenschützer besonderer Art auch Mitarbeiter von Statistikbehörden und appellieren an sie, alle Daten zu kopieren, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. „Du kannst nicht darauf vertrauen, dass diese Daten morgen noch hier sind“, sagt Lena Bohman, Mitgründerin des Data Rescue Project.
Eine Gruppe von außenstehenden Experten hat zudem inoffiziell ein langjähriges Beraterkomitee des Census Bureau wiederbelebt, das die Trump-Regierung im März abgeschafft hatte. Offizielle Vertreter der Behörde werden zwar nicht an einer geplanten Sitzung im September teilnehmen, das Gremium wird ihr aber seine Ratschläge zuleiten. Und der Topdemografin Allison Plyer vom Data Center in New Orleans zufolge sind manche der Beamten froh über die Wiederauferstehung des Komitees – auch wenn es inoffiziell ist.
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