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Diplomat über deutsche Gaza-Haltung„Jetzt müssen Taten folgen“

Der frühere Botschafter Christian Clages fordert von Außenminister Wadephul, den Druck auf Israel zu erhöhen – und Waffenlieferungen zu suspendieren.

Einer fehlt noch: Israels Außenminister Gideon Sa’ar und Amtskollege Johann Wadephul bei einer Pressekonferenz im Juni Foto: Christian Mang/reuters
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Clages, Frankreich will Palästina als Staat anerkennen, die Bundesregierung findet das falsch. Ihr Argument: Es sei ein zu früher Zeitpunkt auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Sie waren Botschafter unter anderem im Libanon und Leiter der deutschen Vertretung in Ramallah. Wie sehen Sie das?

Christian Clages: Ich kann die Argumentation der Bundesregierung nachvollziehen, aber es gibt auch gewichtige Gründe, die für die Anerkennung sprechen. Erstens wäre sie ein wichtiger symbolischer Schritt, der ja schon von über 140 Staaten vollzogen worden ist, auch von einer Reihe von Europäern. Zweitens wäre es ein klares Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung als der einzigen Lösung, die zu einem langfristigen Frieden im Nahen Osten führen kann. Und drittens wäre es ein Zeichen für die arabischen Partner in der Region, die sich ja auf dem Weg der Annäherung an Israel befunden haben. Wir bekennen uns seit Jahrzehnten zur Zwei-Staaten-Lösung, irgendwann muss man auch mal springen.

taz: Sie haben sich gerade mit elf anderen ehemaligen Botschaftern und Botschafterinnen, die im Nahen Osten im Einsatz waren, in einem Brief an Außenminister Johann Wadephul (CDU) gewandt. Darin fordern Sie eine andere Politik gegenüber Israel. Warum schreiben Sie so einen Brief?

Clages: Wir haben alle in der Region gelebt und gearbeitet und haben vielfältige Kontakte dorthin. Die Lage in Gaza ist katastrophal, es werden fundamentale Menschenrechte verletzt. Wir verfolgen das, wie viele andere Menschen in Deutschland, mit großer Besorgnis und Empathie, es ist unerträglich. Wir sind der Auffassung, dass viele Worte der Kritik gefallen sind, nicht nur von der jetzigen, auch von der vorherigen Regierung. Jetzt müssen Taten folgen. Wir erwarten von unserer Regierung, dass sie alles in ihren Möglichkeiten tut, um die Situation in Gaza zu verbessern. Die Forderungen sind klar: Es muss Frieden geben. Die Waffen müssen schweigen. Die humanitäre Hilfe muss ungehinderten Zugang haben. Gleichzeitig – und das haben wir auch immer wieder gesagt – muss die Hamas die verbleibenden Geiseln ohne Wenn und Aber freilassen. Ihr furchtbarer Angriff auf Israel ist durch nichts zu rechtfertigen. Andererseits sind das Aushungern der Bevölkerung von Gaza und Zwangsvertreibungen auch nicht zu rechtfertigen.

taz: Auslöser für den Brief war der Appell von 28 Außenministern, darunter auch aus zahlreichen europäischen Ländern, den Krieg in Gaza sofort zu beenden. Deutschland ist nicht dabei. Sie fordern, das zu ändern. Sie schreiben, der Appell sei wichtig und ausgewogen. Warum ist er aus Ihrer Sicht so wichtig?

Clages: Wir waren verwundert und bestürzt, dass Deutschland diesen Appell nicht unterschrieben hat. Deutschland hat eine wichtige Stimme und Gewicht im europäischen Kreis. Es darf da nicht fehlen. Wir brauchen europäische Kohärenz, damit Europas Gewicht so weit wie möglich zum Tragen kommt. Inzwischen haben ja Bundeskanzler Merz, Präsident Macron und der Premierminister Starmer eine Erklärung verabschiedet, wonach die Beschränkungen für humanitäre Lieferungen in den Gazastreifen aufgehoben werden müssen.

Im Interview: Christian Clages

Christian Clages, 70, ist Diplomat im Ruhestand. Zuletzt war er von 2018 bis 2021 Leiter der Deutschen Vertretung in den Palästinensischen Autonomiegebieten mit Sitz in Ramallah. Zuvor war er unter anderem Botschafter im Libanon, in Ruanda und im Senegal und hat im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt gearbeitet.

taz: Welche Konsequenz hat es, dass Deutschland dieser europäischen Kohärenz relativ häufig im Weg steht?

Clages: Ein Beispiel: Eine der konkreten Möglichkeiten, den Druck auf Israel zu erhöhen, ist die Anwendung der Menschenrechtsklauseln im Assoziierungsabkommen der EU mit Israel, sie würde zu einer Aussetzung dieses Abkommens führen. Da ist Deutschland der Bremser. Bestimmte Entscheidungen in der EU können nur einstimmig oder mit qualifizierten Mehrheiten getroffen werden. Deutschland hat Gewicht. Wenn wir nicht gemeinsam mit den anderen agieren und handeln, gibt es ein Problem.

taz: Die Bundesregierung argumentiert, es sei wichtiger, die direkten Gesprächskanäle in die israelische Regierung zu erhalten, als noch ein Appell. Ist da nicht auch was dran?

Clages: Natürlich ist es gut, Kontakte aufrechtzuerhalten. Die jetzige Regierung ist nicht die erste, die auf direkte Kontakte verweist. Das haben bisher alle Außenminister in ähnlicher Art und Weise getan. Aber es hat so gut wie nie Auswirkungen gehabt. Es gibt keine Siedlung, die nicht gebaut worden wäre. Mir ist auch kein Beschluss bekannt, der zurückgehalten worden wäre. Und die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten immer verschlimmert. Von einem Friedensprozess kann schon lange keine Rede mehr sein.

taz: Die Bundesregierung betont die historische Verantwortung Deutschlands und sagt, wir müssen an der Seite Israels stehen. Gilt das für Sie nicht?

Clages: Natürlich gilt das auch für uns. Die aus der Geschichte resultierende Verantwortung ist in unserer Generation fest im Bewusstsein verankert. Eine Folge aus unserer Geschichte ist das Einstehen für das Existenzrecht Israels. Eine andere ist die Orientierung am Völkerrecht und der Einsatz für die Menschenrechte als höchstes Gut und Teil unserer Werteordnung. Außerdem haben wir immer auch besondere Beziehungen zu den Palästinensern gehabt, das ist nach dem 7. Oktober zu kurz gekommen. Für Frieden braucht man beide Seiten. Wenn wir über die jetzige Situation extrem besorgt sind, dann fürchten wir auch, dass sich Israel in der Auseinandersetzung in Gaza selbst verliert. Historische Verantwortung für die Sicherheit Israels bedeutet, alles zu tun, was die Sicherheit fördert, aber auch alles zu unterlassen, was die Sicherheit untergräbt.

taz: Was meinen Sie mit: dass Israel sich selbst verliert?

Clages: Es ist mittlerweile hinreichend belegt, dass Israel in Gaza das Völkerrecht verletzt. Schauen Sie sich den Spiegel-Titel dieser Woche an…

taz: Da steht: „Gaza. Ein Verbrechen“

Clages: Es gibt zahlreiche Stimmen in der israelischen Gesellschaft und Wissenschaft, aber auch beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf, die mit Recht darauf hinweisen, dass das, was in Gaza passiert, bei den Israelis Traumata hervorrufen wird, mit denen man sich über Jahre hinweg auseinandersetzen muss. Wenn wir uns als Freunde Israels sehen, dann dürfen wir nicht schweigen.

taz: In dem Brief an den Außenminister greifen Sie die Forderungen auf, die ehemalige EU-Botschafter und Botschafterinnen gerade gegenüber der europäischen Leitungsebene formuliert haben – ebenfalls in einem Brief. Es geht unter anderem um das Assoziierungsabkommen, Sanktionen gegen bestimmte Minister, Militärs und Siedler – und auch um die Suspendierung aller Waffenlieferungen. Die Bundesregierung argumentiert, Israel hat das Recht sich verteidigen und dazu braucht es Waffen.

Clages: Wir beziehen uns auf Waffenlieferungen, die im Konflikt in Gaza rechtswidrig eingesetzt werden können. Die müssen nach unserer Überzeugung suspendiert werden. Von internationalen Gerichten wird untersucht, welche Form von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza begangen werden, und es geht auch um den Völkermordvorwurf. Man darf mit Waffenlieferungen nicht Teil des Unrechts werden. Es ist keine Frage, dass Israel Abwehrwaffen gegen Angriffe aus der Luft braucht, aber das steht auf einem anderen Blatt.

taz: Der Spiegel hat in dieser Woche berichtet, dass sich im Auswärtigen Amt aktuelle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich ähnlich wie Sie eine andere Israel-Politik wünschen, zusammentun – 130 sollen es sein. Stehen Sie mit denen in Kontakt?

Clages: Jeder von uns kennt einzelne Kolleginnen oder Kollegen aus dem Amt aus seiner aktiven Zeit. Und wir sprechen natürlich über die Lage.

taz: Anders als Sie dürfen sich diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Beamte nicht öffentlich äußern, sie sind zur Loyalität verpflichtet. „Loyal nonkonform“ soll ihr Motto sein. Wie muss man sich die Lage im Auswärtigen Amt vorstellen – geht da ein Riss durch das Haus?

Clages: Nein, auf keinen Fall. Es gibt im Auswärtigen Amt eine gute Diskussionskultur, und es finden anscheinend auch interne Gespräche mit der Leitung statt. Es muss so sein, dass sich die sehr qualifizierten Mitarbeiter zu Grundfragen zu Wort melden können. Es geht in Nahost schließlich um Grundpfeiler unseres Selbstverständnisses und auch der Außenpolitik, die Orientierung am Völkerrecht und den Einsatz für die Menschenrechte. Sie gilt für die Arbeit aller MitarbeiterInnen.

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