Jan van Aken: „Keine Solidarität mit Hungermördern“
Deutschland muss mehr Druck auf Israel ausüben, sagt Linken-Chef Jan van Aken. Eine geplante Demonstration wegen Gaza soll jetzt Mitte September stattfinden.

Herr van Aken, Ihre Partei fordert eine Sondersitzung des Bundestags zur Lage in Gaza. Warum?
Weil die Menschen in Gaza nicht länger warten können. Die Todeszahlen steigen jeden Tag, der Hunger wächst. Und es ist sehr deutlich geworden, dass die rechtsradikale israelische Regierung ihren Kurs fortsetzen wird, wenn sie keinen starken Druck von außen bekommt. Wir dürfen dem Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser nicht länger zusehen, die Bundesregierung muss Netanjahu endlich die Unterstützung verweigern. Keine Solidarität mit Hungermördern.
Manche in Ihrer Partei bezeichnen das, was Israel in Gaza macht, als Völkermord. Sie nicht?
Manche machen das, ja. Unsere Wortwahl als Partei ist das nicht. Aber egal wie man es nennt: Was dort passiert, ist verbrecherisch.
64, ist Vorsitzender der Partei Die Linke. Er ist Biologe und Außenpolitik-Experte, war Campaigner bei Greenpeace, Biowaffen-Inspekteur bei der UN. Er führt Die Linke seit 2024 gemeinsam mit Ines Schwerdtner.
Sie selbst haben in der ZEIT gesagt, manche Äußerungen aus der israelischen Regierung hörten sich auch für Sie schwer nach einem Genozid an.
Es hat ja seine Gründe, warum der Internationale Gerichtshof schon im Januar 2023 gesagt hat: Israel muss seine Art der Kriegsführung ändern, weil sonst genozidale Handlungen drohen. Und es gab ja entsprechende Äußerungen aus den Reihen der israelischen Regierung. Aber ich finde es falsch, über Begriffe zu streiten – was dort passiert, ist ein Verbrechen, das gestoppt werden muss – egal wie man es nennt.
Die UN-Völkermordkonvention definiert, was ein Völkermord ist.
Das stimmt, deshalb ist es am Ende eben ein juristischer Begriff und eine juristische Frage. Ähnlich ist es mit dem Vorwurf der Apartheid. Ja, es gibt gute Gründe, warum Menschen mit Blick auf Israel und die besetzten Gebiete von Apartheid sprechen. Aber wenn man das Wort Apartheid benutzt, dann redet man schnell überhaupt nicht mehr über das, was dort passiert, sondern streitet über Begrifflichkeiten. Ich möchte über den brutalen Krieg und über die konkreten Völkerrechtsverletzungen sprechen, nicht über Worte streiten.
Viele Menschen haben Die Linke gewählt, weil die sich klarer zum Krieg in Gaza geäußert hat als andere. Manche finden aber, sie hätte das Thema zuletzt zu tief gehängt. Zu Recht?
Nein. Ganz ehrlich: wir haben das Thema im Bundestag in unserer ersten Aktuellen Stunde und am nächsten Tag mit einem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn wir in einer Woche im Bundestag zwei von vier Gelegenheiten dafür nutzen, um auf die Lage in Gaza hinzuweisen, dann ist das nicht tief, sondern sehr hoch gehängt. Es gibt auch Leute, die wollen, dass wir mehr über Mietendeckel und über hohe Preise reden. Es kann ja nicht sein, dass wir als Partei hier in Deutschland ausschließlich über Gaza reden.
Das verlangt ja keiner.
Ich finde, ab einem bestimmten Punkt kippt das. Nehmen wir den Sudan. Was dort in Darfur stattfindet, ist ähnlich furchtbar. Die Anzahl der Toten ist dort sogar noch viel höher, und auch dort gibt es eine deutsche Verantwortung. Die Vereinigten Arabischen Emirate liefern Waffen in den Sudan und Deutschland liefert Waffen an die Emirate. Warum dann nicht eine aktuelle Stunde zum Sudan?
Das eine spricht ja nicht gegen das andere.
Doch, leider ja. Wir haben als Fraktion nur begrenzt viele Aktuelle Stunden, die wir anmelden können. Es ist ja auch so: Nach jeder Pressekonferenz gibt’s Kritik. Warum hast du nichts zu dem Arbeitskampf gesagt? Warum hast du nichts zur Ukraine gesagt? Das ist ja immer richtig. Ich spreche regelmäßig über Gaza, aber mache das nicht dreimal die Woche, das stimmt. Es war auch kein Zufall, dass ich meine zweite Auslandsreise als Parteichef im Juli nach Gaza und Israel unternehmen wollte, sondern das war eine bewusste Entscheidung. Das ist dann leider wegen des Kriegs mit dem Iran geplatzt. Aber wir sind da sehr engagiert am Ball.
Wollen Sie die Reise nachholen?
Auf jeden Fall. Aber es gibt zuerst praktische Probleme zu lösen. Wir hatten vor Ort Veranstaltungen geplant. Die könnten jetzt nicht stattfinden, weil auch unsere israelischen Partner dabei sind, mit der Situation umzugehen.
Sie sind in der Parteispitze für die außenpolitischen Grundsatzfragen zuständig. Gerade von Ihnen erwartet man, dass Sie sich zum Nahen Osten äußern. Zu Recht?
Klar. Ich habe da zwei Jahre gelebt. Natürlich spreche ich darüber. Ich kenne viele Leute dort persönlich. Dazu habe ich auch ganz starke Gefühle.
Mit der Ankündigung einer großen Demo in Berlin hat Die Linke Erwartungen geweckt, jetzt wurde die Demo verschoben. Das wirkt, als wären Sie unschlüssig. Sind Sie das?
Der Eindruck entstand dadurch, dass der Spiegel geschrieben hat: Die Linke macht eine Gaza-Demo. Das haben wir nie so gesagt. Das ist eine Bündnisdemo, und das Bündnis hat das entschieden, sie zu verschieben. Am Ende waren es auch die palästinensischen Gruppen, die gesagt haben: Wir schaffen das zu diesem Zeitpunkt nicht. Das ist ein völlig normaler Prozess, finde ich. Aber die Demo wird kommen.
Gibt es schon einen neuen Termin?
Ja, zumindest einen angedachten Mitte September. Aber die Prozesse laufen noch.
Was kann Ihre Partei tun, um mehr Druck auf die Bundesregierung auszuüben?
Wir haben das Thema im Bundestag auf die Tagesordnung gesetzt, wir planen diese Demo und ich werde selbst in den Nahen Osten reisen. Wir tun, was wir können. Aber ich finde, es hat sich in Deutschland auch schon etwas getan. Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt bei Umfragen: sie lehnen ab, was da passiert. Deshalb braucht es eine Demo, um diese Mehrheit auf die Straße zu bringen. Viele, die ich kenne, wollen sich engagieren, aber haben Angst, auf irgendeine Demo zu gehen, weil sie befürchten, da neben Hamas-Fans zu stehen. Deswegen gilt es, eine Demo zu organisieren, wo man sich sicher sein kann, dass es in eine gute Richtung geht. Das trägt alles dazu bei, den Druck zu erhöhen. Das machen wir auf vielen Ebenen.
Mit Erfolg?
Für die Lage in Gaza? Nein. Aber hier in Deutschland schon eher. Hier ist es inzwischen möglich, die notwendige kritische Debatte über die Politik der rechten israelischen Regierung zu führen. Vor einem Dreivierteljahr wäre einem da schnell Antisemitismus unterstellt worden. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, Freiräume für eine kritische Debatte zu schaffen. Das machen wir, und das werden wir auch weiter machen.
Warum fordert Die Linke nicht Sanktionen gegen Israel?
Einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel fordern wir doch schon lange, genauso wie Sanktionen gegen die rechtsextremen Minister in der israelischen Regierung und eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel. Erstmal gilt es, eine wirtschaftliche Bevorzugung Israels zu stoppen. Ob es dann auch um andere Sanktionen gehen kann, müssen wir sehen. Allerdings lehnt Die Linke alle Sanktionen ab, die auf die Breite der Bevölkerung abzielen.
Israels Parlament hat gerade die Annexion dieses Gebiets beschlossen. Die EU hat im vergangenen Jahr Sanktionen gegen israelische Siedler dort verhängt. Könnte man die nicht ausweiten?
Ich finde es richtig, erst mal bestehende Privilegien zu beenden. Alles andere muss man dann sehen.
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