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Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen„Wir brauchen Obergrenzen für die Plastikproduktion“

Die negativen Auswirkungen von Kunststoffen auf Mensch und Umwelt seien schon jetzt kaum zu beherrschen, sagt Annika Jahnke. Sie setzt auf die UN.

Etwa 460 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr weltweit produziert Foto: Michael Gstettenbauer/imago
Heike Holdinghausen
Interview von Heike Holdinghausen

taz: Frau Jahnke, was wäre das Beste, was bei den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen in Genf herauskommen könnte?

Annika Jahnke: Ein Abkommen, das den gesamten Lebenszyklus von Plastik umfasst. Es würde Höchstmengen für die Neuproduktion festsetzen und problematische Bestandteile, Produkte oder Zusatzstoffe umfassen. Zumindest würde das Abkommen die Grundlagen dafür liefern, im Nachgang Details auszuhandeln.

Es gibt mehr als 16.000 Chemikalien, die in Plastik enthalten sein können, von Weichmachern über Flammschutzmittel bis zu Farbstoffen. Von über einem Viertel davon wissen wir, dass sie gefährlich für Mensch oder Umwelt sein können – sie sind zum Beispiel hormonell wirksam. Diese Chemikalien müssen wir zügig durch unproblematische ersetzen, die die gleiche Funktion erfüllen. Das wäre möglich, erfordert aber Entwicklung und entsprechende Anreize.

taz: Das versuchen wir in Europa seit Jahrzehnten erfolglos, und jetzt soll das ein UN-Abkommen leisten?

Jahnke: Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich alle Forderungen vollständig durchsetzen lassen, dafür sind die Ziele und Interessen der Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich. Es wird sehr auf das Verhandlungsgeschick der Verhandlungsführer vor Ort ankommen.

Bild: Sebastian Wiedling/UFZ
Im Interview: Annika Jahnke

Annika Jahnke leitet am Helmholtz-Zentrum in Leipzig das „Department Exposure Science“, das sich unter anderem mit den Effekten des Verbleibs von Plastik der Umwelt beschäftigt.

taz: Welche Zielen sollten die Delegierten denn unbedingt erreichen?

Jahnke: Eine Obergrenze der Neuproduktion. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird nach Vorhersagen 2060 dreimal so viel Plastik produziert wie heute. Schon die heutigen Mengen haben negative Effekte auf Umwelt und Gesundheit. Das Plastik im Meer zersetzt sich zu problematischen, kleinsten Teilchen, die von Lebewesen aufgenommen werden und Zusatzstoffe in die Umwelt abgeben. Einmal im Meer können wir dieses Plastik nicht zurückholen.

taz: Warum nicht? Es gibt doch viele Projekte, Meeresmüll einzusammeln und zu recyceln?

Jahnke: Diese Projekte sind gut, weil sie Aufmerksamkeit auf das Thema richten. Einen deutlichen Einfluss auf die Plastikmengen haben sie aber nicht. Sie können Müll nur von Teilen der Ozeanoberfläche fischen und gefährden dabei Meereslebewesen. An Mikroplastik oder Müll in tieferen Schichten kommen sie nicht heran. Insofern sind ein besseres Abfallmanagement und mehr Recycling zwar wichtige Stellschrauben, aber sie reichen nicht aus. Wir müssen die Gesamtmengen und insbesondere die problematischen Polymere und Zusatzstoffen reduzieren.

taz: Dagegen wehren sich unter anderem Russland, Saudi-Arabien, Iran und auch die USA.

Das Plastikabkommen

Seit dem Jahr 2022 wird bei den Vereinten Nationen über ein globales Abkommen zum Umgang mit Kunststoffen verhandelt. Vom 5. bis 14. August gehen die Verhandlungen in Genf nun in die finale Runde. Ziel ist ein rechtsverbindliches Abkommen, um die weltweite Plastikverschmutzung einzudämmen. An den Verhandlungen nehmen Ver­tre­te­r*in­nen aus über 170 Ländern sowie Akteure aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft teil.

Ende 2024 warnte UN-Generalsekretär António Guterres vor den Folgen der Umweltverschmutzung durch Kunststoffe. Auch Unternehmen setzen sich seit Jahren für globale Regeln ein.

Jahnke: Jeder Staat hat Vetorecht. Auf diesen UN-Verhandlungen gilt ein Konsens-Prinzip, das heißt, alle müssen sich einigen. Hoffnungsvoll stimmt mich aber, dass inzwischen über 100 Staaten der „High Ambition-Gruppe“ beigetreten sind und ein starkes Abkommen wollen. Ich könnte mir ein zweistufiges System vorstellen. In einem Vertragsteil gibt es bindende Auflagen für alle, in einem anderen Teil optional stärkere Regulierungen für ambitionierte Staaten. Die schlechteste Variante wäre ein schwacher Vertrag, der nur den Status Quo absichert.

taz: Deutschland mit seiner starken Chemie- und Plastikindustrie lebt gut mit dem Status quo. Wie glaubhaft sind die „ambitionierten Länder“?

Jahnke: Ihre Ziele sind glaubhaft. Wir werden weiter Kunststoffe benötigen, etwa in der Medizin. Für neue Materialien, die keine Schäden an Umwelt und Gesundheit verursachen, wird es auch künftig einen Markt geben. Im Übrigen: Wenn wir über Marktregulierung sprechen, müssen wir die gesamte Volkswirtschaft in den Blick nehmen. Und für die sind hohe Gesundheitskosten durch Plastik schädlich.

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