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Schrauben für die EnergiewendeSolarcamps for Future

Statt Schulstreiks organisieren Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung nun Solarcamps. Sie wollen Menschen für Berufe in der Energiewende begeistern.

Solarcamp in Berlin: Zielgruppe sind junge Menschen in der Orientierungsphase Foto: Silke Mayer

Berlin taz | Fünf von zehn Berufen, die für den Ausbau Erneuerbarer Energien wichtig sind, sind laut Bundesagentur für Arbeit sogenannte Engpassberufe. Das bedeutet, dass sich für weniger Be­wer­be­r*in­nen für eine Ausbildung zur Fachkraft für Heizung und Sanitär, Elektriker*in­ oder Dach­de­cke­r*in entscheiden als nötig wären.

„Wenn die Boomer in Rente gehen, werden uns sicherlich rund 10 Prozent Fachkräfte fehlen“, sorgt sich Andreas Koch-Martin, Geschäftsführer der Berufsvereinigung Sanitär, Heizung, Klempner. Und das, obwohl An­la­gen­me­cha­ni­ke­r*in­nen, wie die korrekte Berufsbezeichnung lautet, essenziell für das Gelingen der Energiewende seien.

Denn mit verschiedenen Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich erneuerbarer Energien seien sie diejenigen, die den Ausbau von Windkraftanlagen sowie Photovoltaik-Anlagen oder den Einbau wassersparender Armaturen für Dusche und Waschbecken praktisch umsetzen könnten. Zu diesem Schluss sind auch Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung mittlerweile gekommen.

Früher Schulstreik, heute Ausbildungscamp

Unter dem Motto „Solarcamp for Future – Anpacken für den Klimaschutz“ lernen deshalb diese Woche zum insgesamt 16. Mal Interessierte, wie man eine Photovoltaik-Anlage montiert. Das Ziel ist, junge Menschen für Handwerksberufe in Bereichen der Energiewende zu begeistern.

Dafür habe sich, wie Katharina Blau aus Darmstadt erzählt, 2022 inmitten der Energiekrise ein Bündnis zusammengefunden und die Idee von Solarcamps entwickelt. „Denn neben den Demos brauchen wir auch ganz praktische Möglichkeiten, den eigenen Handabdruck für die Energiewende zu vergrößern“, sagt die Aktivisten aus dem Bundesvorstand der Solarcamp-Organisation

Mittlerweile gebe es mehrere Ortsgruppen, die solche Camps auf die Beine stellen. Diese Woche hat die Ortsgruppe Berlin auf ein ehemaliges Industriegelände eingeladen, wo unter Aufsicht von Elektrotechnikern PV-Anlagen verschraubt und montiert werden. Erreichen wollen sie idealerweise junge Menschen in der Orientierungsphase. Dieses Mal liegt der Altersdurchschnitt allerdings ein bisschen höher. Um die 40 sind die meisten Teilnehmer, die sich angemeldet haben.

Einer von ihnen ist Philipp Janzen. Der 40-jährige studierte Bauingenieur macht derzeit eine Weiterbildung zum Gebäudenergieberater. Im Solarcamp will er einen besseren Einblick bekommen, was typische Montagefehler sind, wo die Solarmodule am besten angebracht werden – damit er auf der Baustelle später Bescheid weiß und besser beraten kann.

Ähnlich geht es Bianca Jedamzik, die bereits 55 Jahre alt ist. Sie hat als Geografin lange in der Fischzuchtin Mexiko gearbeitet. Auch sie ist in Weiterbildung und will künftig regionale Förderprogramme mitgestalten. Aber auch das Tüfteln macht ihr Spaß: „Wir Frauen haben das nicht beigebracht bekommen mit der Elektronik, aber hier basteln wir herum“, sagt sie und zeigt auf eine Freundin, die in der Lagerhalle gerade nach Schrauben sucht.

Die meisten der Lehrlinge sind also eher Multiplikator*innen, schätzt Gerhardt Marquardt, einer der Mit­or­ga­ni­sa­to­r*in­nen des Camps. Auch aus Privatinteresse sind ein paar Interessierte gekommen. Peter Kasten, 44, will auf das Dach seinen Hauses in Brandenburg eine Solaranlage bauen. „So viel wie möglich möchte ich selber machen“, sagt er.

Die Energiewende braucht Hand­wer­ke­r*in­nen

Katharina Blau, die von ihren Erfahrungen aus Darmstadt berichtet, weiß aber, dass anderswo auch jüngere Leute kommen. In Freiburg etwa seien viele Studierende da gewesen, in Darmstadt auch Leute Ende 20.

Damit gingen den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen diejenigen, die sie eigentlich ansprechen wollen, bislang jedoch noch durch die Lappen. Um junge Menschen in die Ausbildung zu bringen, will Blau künftig gezielt in die Schulen gehen.

Im vergangenen Jahr errechnete die Bertelsmann-Stiftung, dass sich die Zahl der ausgeschriebenen Stellen in Bereichen der Energiewende zwischen 2019 und 2024 mehr als verdoppelte. Trotz Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt seien erneuerbare Energien der Bertelsmann-Studie zufolge ein „krisenresilienter Jobmotor“.

Um davon auch junge Menschen zu überzeugen, plant etwa die Berufsvereinigung Sanitär, Heizung, Klempner bereits ein eigenes Klimacamp, bei dem 14- bis 19-Jährige Einblicke in verschiedene Gewerke bekommen sollen. „Wir konkurrieren um eine demografisch kleiner werdende Gruppe junger Menschen, die ihre Berufsentscheidungen jetzt fällen. Entscheidend ist, sich als attraktive Branche zu zeigen und Ausbildungsbetriebe müssen sichtbar, attraktiv werden“, so Geschäftsführer Koch-Martin.

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