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WohnraumvergesellschaftungZartes Miethai-Filet

Die Mieten sind auch in deiner Stadt zu teuer? Sieben Schritte, wie sich aus bedrohlichen Miethaien lecker Filet zaubern lässt.

Protest gegen den Mietwahnsinn in Berlin, im Juni 2020 Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Bezahlbare Wohnungen sind rar – insbesondere in Städten. Nach Berechnungen des Bauministeriums stiegen die Angebotsmieten in den größten deutschen Städten in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 50 Prozent. In Berlin verdoppelten sie sich sogar. Trotzdem erhöhen viele Immobilienkonzerne die Mieten weiter. Der größte Haifisch im Becken ist Vonovia, zu dem seit 2021 auch Deutsche Wohnen gehört. Das DAX-Unternehmen besitzt laut eigenen Angaben 685.000 Wohnungen in ganz Deutschland.

All das wollte man sich in Berlin nicht länger schmecken lassen und gründete 2018 die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen. Ihr Ziel: Ein Volksentscheid, um Immobilienriesen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen. Bei der Abstimmung 2021 waren 59 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen dafür. Der Senat muss das Vorhaben verbindlich umsetzen. Hier das Rezept, um das Berliner Filet nachzukochen. Clara Dünkler, Mona Rouhandeh, Vincent Tandler-Schneider

Zutaten

1 Miethai (groß)

1 Handvoll Ex­per­t:in­nen

1 Portion Landesverfassung

1 Finanzierungsmodell

1 PDF „Volksgesetzgebungsverfahren in den einzelnen Bundesländern“

viel Geld für eine Medienkampagne

Schwierigkeitsgradsehr schwer

Zubereitungszeit2 bis 3 Jahre

PersonenBenötigt werden ein Netzwerk motivierter Mit­strei­te­r:in­nen sowie mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten

Der NährwertLaut Zensus 2022 zahlen Menschen, die bei privatwirtschaftlichen Unternehmen mieten, pro Quadratmeter durchschnittlich 7,59 Euro Nettokaltmiete. Wer in einer genossenschaft­lichen oder kommunalen Wohnung wohnt, zahlt mehr als 1 Euro weniger. In München beträgt der Unterschied sogar bis zu 5 Euro, in Berlin sind es 2 Euro.

Gut zu wissenInformationsmaterial zu Vergesellschaftung, Kosten und möglichen Gesetzesentwürfen gibt es bei Deutsche Wohnen und Co enteignen. Der Verein Mehr Demokratie bietet Beratungen zu direktdemokratischen Projekten.

1 Schließt euch zusammen

Allein hat noch niemand einen Miethai auseinandergenommen. Vielleicht gibt es schon eine ähnliche Gruppe in eurer Stadt? Klärt zu Beginn, wie ihr Posten verteilt und Entscheidungen trefft. Richtet ein Spendenkonto ein. Sucht euch Ex­per­tise in Stadtplanung, Immobilienmarkt und Recht.

2 Beobachtet den Hai in seinen Gewässern

Analysiert den Wohnungsmarkt in eurer Stadt. Daten gibt es bei der Verwaltung oder im Geschäftsbericht des Hais. Entwickelt außerdem ein Finanzierungsmodell, das klärt, wie die Enteignung des Hais bezahlt werden soll. Für den Verlust von Immobilien steht den vorherigen Ei­gen­tü­me­r:in­nen laut Grundgesetz nämlich eine Entschädigung zu. Die Höhe der Entschädigung ist allerdings nicht im Gesetz festgelegt. Juristisch ist also vieles denkbar: von einem symbolischen Euro bis zum vollen Marktpreis der Wohnungen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

3Nehmt die nötigen Hürden zum Volksentscheid

Der Volksentscheid ist das Mittel der direkten Demokratie, mit dem ihr eure Landesregierung zum Handeln bringen könnt. Er hat die gleiche Rechtswirkung wie ein Parlamentsbeschluss. Zwei Stufen müsst ihr überwinden, damit es zum Volksentscheid kommt: die Volksinitiative und das Volksbegehren. Das PDF aus der Zutatenliste liefert wichtige Hinweise.

4Sammelt Unterschriften

Der Landtag könnte eure Forderung auch direkt umsetzen, macht das aber meist nicht. Je nach Bundesland müsst ihr deswegen eine bestimmte Anzahl an Unterschriften innerhalb fester Zeiträume zusammenbekommen.

5Erzeugt Aufmerksamkeit

Damit ihr beim Unterschriftensammeln und danach Erfolg habt, müssen die Menschen wissen, wer ihr seid und was ihr fordert! Startet eine große Medienkampagne. Seid bereit, Fragen von Medien und Politik zu beantworten.

6Beachtet das Finanztabu

Wichtig für einen Volksentscheid zur Vergesellschaftung ist das sogenannte Finanztabu: Für die Enteignung darf kein Geld aus dem Landeshaushalt benötigt werden. Was das genau heißt, ist aber Ländersache! Nun kommt es auf euer Finanzierungsmodell an: Kredite und die zukünftigen Mieteinnahmen sollten die Enteignung finanzieren – nicht der Landeshaushalt.

Zukunftsrezepte

Was kann ich tun? Die Frage erreicht die wochentaz seit Jahren immer wieder. Hier stellen wir diesen Sommer konkrete Rezepte für Engagement vor. Zum Nachkochen. Schreibt uns, wie’s schmeckt: zukunftsrezepte@taz.de

7Gewinnt den Volksentscheid

Nach Volksinitiative und Volksbegehren hat der Landtag euer Anliegen noch nicht umgesetzt? Jetzt kommt der Volksentscheid. Gewinnt ihr den, muss der Landtag eurem Anliegen nachkommen. Eure Arbeit ist getan. Voilà, lasst euch den filetierten Miethai schmecken!

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