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Inflation, Kündigungen, StreiksWarum Irans Wirtschaft am Boden liegt

Vier Nullen will Iran aus seiner Währung streichen. Doch ob die Maßnahme die wirtschaftliche Misere im Land aufhalten kann, ist umstritten.

Ein Mann bezahlt in Teheran mit der Iranischen Währung Rial Foto: Abedin Taherkenareh/epa/dpa

Wien taz | Wer im Iran Brot kaufen geht, muss darauf hoffen, mit Karte zahlen zu können. Denn die Alternative sind nicht Geldscheine, sondern ganze Geldbündel. Allein ein Sangak, ein verbreiteter Typ von Fladenbrot, kostet um die 75.000 Rial, das sind umgerechnet 75 Cent. Iranische Geldscheine starten schon bei 1000 Rial. Der Grund: jahrelange extreme Inflation, seit 2018 lag sie kontinuierlich über 30 Prozent.

Die Regierung will deshalb jetzt vier Nullen auf einmal aus der nationalen Währung streichen. Das soll Finanztransaktionen mit Bargeld in Zukunft erleichtern. Der Vorschlag stammt bereits aus dem Jahr 2019, wurde aber wieder verworfen. Nun hat der Wirtschaftsausschuss des Parlaments am Sonntag das Vorhaben gebilligt.

Die Maßnahme klingt radikal, sie ist aber in Wirklichkeit eher von ästhetischem Charakter. Die dahinter liegenden Probleme der iranischen Wirtschaft, von der Inflation bis hin zu Wirtschaftssanktionen und eskalierender Wasserknappheit, bleiben davon unberührt. Im Gegenteil: Seit dem Luftkrieg mit Israel im Juni haben sie sich noch verschärft.

Der Krieg hat in beiden Ländern, Iran und Israel, wirtschaftliche Verwüstungen hinterlassen. Laut Israels Zentralbank kostete der Krieg 6 Milliarden US-Dollar. Aus dem Iran gibt es keine offiziellen Zahlen, doch der Schaden dürfte um ein Vielfaches höher sein: Allein sein Atomprogramm hat den Iran seit seinem Beginn mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet, inklusive direkter Investitionen und Sanktionen. So lautet eine Schätzung des Carnegie Endowment for International Peace (CEIP), einer US-amerikanischen Denkfabrik für Sicherheitspolitik.

Zivile Wirtschaft gebeutelt

Auch die zivile Wirtschaft ist schwer getroffen. So entgingen Irans Tourismus-Branche während des 12-tägigen Krieges nach Angaben der iranischen Handelskammer 110 Millionen US-Dollar.

„Dem äußeren Feind haben wir standgehalten. Aber jetzt kollabieren wir von innen“, schreibt etwa Amir, 28 Jahre alt, über einen verschlüsselten Chat. Amir, der aus Sicherheitsgründen hier anders heißt, arbeitet als Marketing-Chef in einem Start-up, das mithilfe Künstlicher Intelligenz Immobilien bewertet. Jetzt, nach dem Krieg, bangt er aber um seinen Job.

Vorerst schweigen die Waffen, das Leben geht weiter – und doch ist nichts wie zuvor. Viele Banken hätten nach den israelischen Cyberattacken noch immer Probleme mit ihren Servern, berichtet Amir. Zwei große Banken hätten zeitweise sogar Teile ihrer Geldreserven eingefroren, Unternehmen und private Kunden können nicht mehr auf ihre Rücklagen zugreifen.

Auf dem Arbeitsmarkt ist die Krise spürbar. „In meinem Umkreis wurden etwa drei von fünf Leuten, die im Marketing angestellt sind, entweder entlassen oder freigestellt“, erzählt Amir. Auch er hat Angst, dass er mit einer billigeren Arbeitskraft ersetzt wird. Sein Unternehmen sei auf Investoren angewiesen und denen fehle nun das Geld.

Resiliente, aber ausgeplünderte Wirtschaft

Die aktuelle Krise trifft im Iran auf eine Wirtschaft, die schon seit Jahren stagniert. Mit einem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 1,6 Billionen Dollar lag das Land im Jahr 2023 laut der Weltbank ungefähr gleichauf mit den Niederlanden – hat aber mit 90 Millionen Menschen fünf mal so viele Einwohner. Für viele Iraner bedeutet das, dass sie zwei Jobs annehmen müssen, um sich und ihre Familie zu ernähren. Tagsüber Büroarbeit, nachts Taxifahren.

Grund für die wirtschaftliche Misere: westliche Sanktionen, Inflation, regelmäßige Stromausfälle und zuletzt eine eskalierende Wasserknappheit. Viele der Probleme sind hausgemacht. Um das tiefe Budgetdefizit auszugleichen, druckt das Regime Geld, und schiebt so die Inflation an, die einen großen Teil der Mittelschicht bereits in die Armut getrieben hat. Dazu kommen staatliche Misswirtschaft, Korruption und eine fehlgeleitete Subventionspolitik.

Ein Lehrbeispiel dafür, wie die Regierung im Iran das Land verarmen lässt, bietet die Automobilindustrie: Die Branche befindet sich weitgehend unter Kontrolle der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), einer paramilitärischen Truppe, die das theokratische Regime vor inneren und äußeren Feinden schützen soll und im Gegenzug fast unlimitierte Privilegien genießt.

So erhebt die iranische Regierung exorbitante Zölle von 40 Prozent auf Autoimporte und riegelt die heimische Pkw-Produktion vor der ausländischen Konkurrenz hermetisch ab. Diese Monopolstellung nutzen die IRGC-Firmen rücksichtslos aus, sie produzieren minderwertige Fahrzeuge, die sie zu überhöhten Preisen an die Bevölkerung verkaufen.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es fast ein Wunder, dass die iranische Wirtschaft nicht noch schlechter dasteht. Immerhin verzeichnete das BIP in den letzten Jahren leichte Zuwächse und die Arbeitslosenquote beträgt nur 8 Prozent. Diese Resilienz liegt neben Ölexporten an strukturellen Vorteilen: Anders als in den meisten Nachbarstaaten sind sowohl der iranische Industrie- als auch der Dienstleistungssektor stark ausgeprägt, das Ausbildungsniveau der Menschen ist hoch.

Arme Bevölkerung – gut oder schlecht fürs Regime?

Eine Islamische Republik, die nach dem Krieg mit Israel ihre Militärkapazitäten wiederherstellen muss, wird das staatliche Budgetdefizit – und damit die Inflation – aber weiter verschärfen. So erhöht sich auch der Druck auf die Mittelschicht, auf Menschen wie Amir. Wird das zu neuen Protesten und Streiks führen?

Schon Anfang Juni, vor dem Krieg, streikten landesweit Lkw-Fahrer wegen der schlechten Löhne. Mehr als 40 Menschen ließ das Regime deshalb verhaften. Auch der Wassermangel hat in mehreren Städten Menschen auf die Straße getrieben. Sollte die Regierung in nächster Zukunft auch noch die Kraftstoffsubventionen aufheben – was schon seit Jahren geplant ist und aus Angst vor neuen Unruhen noch nicht umgesetzt wurde -, dann sind neue Aufstände nicht auszuschließen.

Im Augenblick aber überwiegt das Gefühl der Resignation. „Ein neuer Versuch, das Regime zu stürzen? Dafür fehlt uns im Moment einfach die Kraft“, sagt Amir. Diese sei nach so vielen gescheiterten Anläufen, nach israelischen Bomben und 16 Stunden Arbeit pro Tag am Ende.

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