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Lenin-Statue der MLPD in GelsenkirchenDas eigentlich ausgediente Denkmal

Vor dem Zentralkomitee der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschland in Gelsenkirchen steht ein Lenin. Und davon sind nicht alle begeistert.

Die Lenin-­Statue steht seit 2020 in Gelsenkirchen und wirft Fragen auf Foto: Jeong Hwa Min

Karl Marx und Wladimir Iljitsch Ujanow, genannt Lenin, glänzen in der Sonne. Einer hat ein Buch dabei, der andere eine Schriftrolle. Keiner bewegt sich – die Metallgussfiguren stehen auf Sockeln aus Beton und sehen wie über zwei Meter große silberne Gartenzwerge aus. Um sie herum akkurat gestutztes Gras, Stiefmütterchen, eine Kastanie.

Zu Lenins Füßen kniet ein Mensch in grüner Arbeitshose. Er kratzt Vogelkacke von einer marmornen Tafel und wässert das Gras. Wladimir und Karl schauen über seinen Kopf hinweg auf viele Autos an der fünfspurigen Kreuzung vor dem Zentralkomitee (ZK) der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschland (MLPD) in Gelsenkirchen-Horst.

Das ZK, das wirklich so heißt, ist ein großes Gebäude aus dunklem Backstein aus den 1920er Jahren, Parteifahne über der Tür, Blumenkästen vor den Fenstern, drinnen ein Veranstaltungssaal und eine öffentliche Kantine. Es ist ein imposantes Haus für eine Splitterpartei, die bei der Bundestagswahl 0,05 Prozent der Erst- und 0,04 Prozent der Zweitstimmen holte.

Vor dieses Hauptquartier hat sich die Partei 2020 erst Lenin und zwei Jahre darauf Marx gestellt. Es folgten zu ihren Füßen Tafeln mit großen Namen der Arbeiterbewegung: Thälmann, Liebknecht, Luxemburg, Zetkin, Engels – und Willi Dickhut, Gründer der MLPD, die 1982 aus verschiedenen kleinen maoistischen Gruppen in Westdeutschland hervorgegangen ist.

Heute zeigt Gabriele Fechtner, genannt Gabi, akkurat geflochtener Zopf, Turnschuhe, Parteivorsitzende seit 2017, nacheinander in drei Richtungen über die Kreuzung, wenn sie über den Tag von Lenins Einweihung spricht. „Da war die NPD, da die AfD und da die FPD“, sagt sie. Die drei Parteien haben parallel mit je wenigen Teilnehmenden gegen die Statue demonstriert. Die 48-jährige Fechtner, das sieht man auf Videos, enthüllte den Lenin unbeirrt (es war ein rotes Tuch) und hielt eine Rede.

Im Internet gefunden

Schon bevor die Statue nach Gelsenkirchen kam, gab es große Diskussion. Sie wäre, behauptet die MLPD, die erste Lenin-Statue in ganz Westdeutschland, was nicht stimmt. Die Stadt wollte die Aufstellung verhindern, zog aber erfolglos vor Gericht. Die MLPD durfte sich Lenin vor die Tür stellen, weil es ihr Privatgelände ist.

Das Lenin-Denkmal, sagt Fechtner, sei ihnen eher in die Hände gefallen. „Es ist allgemein nicht unsere Art, Statuen aufzustellen, oder?“ Hannes, 52, der ehrenamtlich in der Öffentlichkeitsarbeit der Partei arbeitet, nickt. Gabi sagt für Hannes, er wolle seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen. Das gefährde möglicherweise seinen Arbeitsplatz in der Stahl­industrie. Hannes nickt. „Unser Hausmeister hat den im Internet gefunden“, sagt Hannes und lacht.

Der Hausmeister entdeckte das Lenin-Denkmal auf der Webseite eines Antiquitätenhändlers in Niederösterreich. Da war er über Umwege gelandet. Eigentlich kommt die Statue aus Tschechien. Gegossen 1957 nach einem Entwurf des Künstlers Vladimír Kýn aus Horovice, im selben Jahr aufgestellt in der örtlichen Maschinenfabrik, wo sie bis 1990 stand.

Nachdem Lenin 1924 mit 53 Jahren gestorben war, entwickelte sich in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ein Kult um seine Person, maßgeblich vorangetrieben von seinem Nachfolger Josef Stalin. Bis heute kann man sich Lenins eingewachste Leiche im Mausoleum in Moskau anschauen. In allen ehemals kommunistischen Ländern findet man noch immer Lenin-Statuen. In Russland sind es Tausende.

wochentaz

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Umstritten war Lenin schon zu Lebzeiten auch unter Kommunist*innen. Rosa Luxemburg kritisierte 1918 seine Idee einer streng disziplinierten, zentralistisch geleiteten Partei, die später als Marxismus-Leninismus in Ideologie gegossen wurde. Umstritten ist auch seine Rolle in der Russischen Revolution. Das habe man „breit mit der Bevölkerung“ diskutiert, sagt Gabi Fechtner, auch kritische Fragen aufgegriffen. Warum davon nichts auf dem Schild stehe? „Weil es nicht stimmt, dass er, was weiß ich, Massenmörder gewesen sei.“

„Personenkult ist nicht unsere Art“

Fechtner spricht, reicht ein Infoblatt, spricht, reicht eine ­Broschüre. „Personenkult ist nicht unsere Art“, sagt sie. Sie hätten in einer Situation, in der reaktionäre Statuen weltweit niedergerissen wurden, sozialistische entgegenstellen wollen. Die Partei liegt ihr im Blut. Sie ist die Tochter von Monika Ruth Gärtner-Engel, der lang­jährigen MLPD-Vizechefin.

Ganz auf der anderen Seite der Kreuzung, unter einen Baum, hat die Stadt eine hüfthohe Tafel aufgestellt. Mit einem verblichenen Schalke-04-Sticker und etwas Vogelkacke darauf soll sie das Abbild des „Revolutionärs und Diktators Lenin“ kontextualisieren. „Die neue Besitzerin der Statue“, steht da und meint die MLPD, „stellt sich mit deren Präsentation in die Tradition des stalinistischen Lenin-Kults.“

„Antikommunistisch“, sagt Fechtner, obwohl sie die Tafel nicht nur schlecht finde. Schließlich nenne sie Lenin auch einen Revolutionär.

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