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Debatten um ReligionsunterrichtReligiöse Bildung für alle

Gastkommentar von Bärbel Husmann

In Niedersachsen gibt es mit dem neuen Schuljahr das Fach „Christlicher Religionsunterricht“. Das fokussiert auf eine breite Wissensvermittlung.

Ein Schritt in die richtige Richtung: der christliche Religionsunterricht in Niedersachsen Foto: Detlef Heese/imago

E s ist ein alter Hut: Die Schule hat einen Bildungsauftrag – und an den hat sich auch das Fach Religion zu halten. Doch weder sollen Kinder und Jugendliche dadurch „zu Gott finden“, noch sollen am Ende „Gläubige hängen bleiben“. Das war in den 1950er und 1960er Jahre noch anders. Auch mein eigenes Religionsbuch in der Grundschule (1964–1968) hieß noch „Die großen Taten Gottes“. Ein solcher Unterricht ist allerdings längst Geschichte. Wer den alten Religionsunterricht noch in lebhafter Erinnerung hat, sollte sich heute aber klar machen, dass diese Erinnerungen nicht der aktuellen Schulwirklichkeit entsprechen.

Kann sein, dass sich so manche Bischöfe, vor allem katholische, heimlich wünschen, die alten Zeiten mögen zurückkehren. Öffentlich sagt das aber niemand mehr, damit würde man sich unglaubwürig machen. Denn die Sache des Religionsunterrichts ist eine res mixta, eine „vermischte Sache“ also, die sowohl staatliche als auch kirchliche oder weltanschauliche Angelegenheiten betreffen. So gibt es staatliche Vorgaben der Kultusministerkonferenz, die Kompetenzen wie Dialog- und Urteilsfähigkeit als Bildungsziele benennen. Die Ausbildung von Re­li­gi­ons­leh­re­rn und -lehrerin­nen erfolgt an staatlichen Hochschulen und Studienseminaren. Die fachwissenschaftlichen Debatten innerhalb der evangelischen wie katholischen Religionspädagogik spielen eine größere Rolle als mutmaßliche Wunschträume von Bischöfen und Kirchenleitungen.

Bild: privat
Bärbel Husmann

ist promovierte Religionspädagogin. Seit 2013 gibt sie die Lehrwerkreihe „Moment mal!“ für den Evangelischen Religionsunterricht heraus, die ab 2026 eine Niedersachsenausgabe für den „Christlichen Religionsunterricht“ erhält.

In Niedersachsen kann man gerade etwas Einzigartiges bestaunen. Das Bundesland führt zum neuen Schuljahr, das gerade begonnen hat, einen „Christlichen Religionsunterricht“ ein. Die Vorgaben dafür sind gerade als Anhörfassung online nachzulesen. Die zuständige Kommission hatte immense Herausforderungen zu meistern, die ihr die grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg auferlegt hatte: Sie musste einen einzigen Lehrplan für die 5. bis 10. Klassen für alle Schularten konzipieren, von der Förderschule bis zum Gymnasium. Und auch für zwei ehemals selbstständige Fächer mit eigenen Logiken.

Das ist ein gelungener Neustart, bei dem nicht mehr die Systematik katholischer und evangelischer Theologie im Mittelpunkt steht. Die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lebenswelt in Form einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft sind konsequent ins Zentrum gerückt. Die fünf Bereiche, für die erwartete Kompetenzen formuliert wurden, sind nunmehr Identität, Gemeinschaft, Sinn und Glaube, Handeln sowie Freiheit und Zukunft. Die „anderen“ Religionen und Weltanschauungen, explizit auch säkulare, sind nicht nur Appendix, sondern durchgehende Bezugsgrößen. Sie machen das neue Fach attraktiv für all jene, die keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehören.

Neu ist zudem, dass die genannten „möglichen“ Inhalte sich nicht nur auf christliche Ressourcen und die Lebenswirklichkeit der Schü­le­r und Schülerin­nen beziehen, sondern gleichwertig interdisziplinäre wissenschaftliche Perspektiven sowie gesellschaftliche und interreligiöse Perspektiven aufnehmen sollen. Dahinter steht die Überzeugung, dass unsere demokratische Gesellschaft von Menschen lebt, die nicht im Gegensatz von Eigenem und Fremdem verharren. Sie müssen ambiguitätstolerant sein oder es werden, sich also in andere hineinversetzen und Differentes aushalten können. Und sie sollen ihre Beurteilungsmaßstäbe entwickeln statt beibehalten und in Sachen Religion mit verschiedenen Wahrheitsansprüchen leben können. Das Christentum hat das in Bezug auf seine Herkunftsreligion Judentum leider erst spät gelernt.

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Der Anstoß für die Entwicklung eines „Christlichen Religionsunterrichts“ kam von beiden Kirchen, den katholischen Bistümern in Hildesheim und Osnabrück sowie den fünf evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen. Endlich, endlich, möchte man sagen. Endlich wird amtlich, was an der Basis weitgehend Konsens ist: Die konfessionelle Separierung macht keinen Sinn mehr, der Unterricht muss eine diverse und religiös vollkommen heterogene Schülerschaft im Blick haben.

Lehrkräfte werden auch künftig religiös sein

Ob die Schü­le­r und Schülerin­nen religiös sind oder nicht, ob sie eine institutionalisierte Bindung an eine bestimmte Religionsgemeinschaft haben oder nicht, spielte de facto für den Unterricht schon lange keine Rolle mehr. Wie für den Politikunterricht gilt auch für den Religionsunterricht das sogenannte Überwältigungsverbot, wie es der „Beutelsbacher Konsens“, eine Vereinbarung über drei Grundprinzipien für die politische Bildung in Deutschland, schon 1976 formuliert hat. Auch in Zukunft werden die Lehrkräfte des neuen Unterrichts evangelisch oder katholisch sein.

Wie sich hinsichtlich ihrer eigenen Positionen im Religionsunterricht verhalten werden soll, regelt der „Koblenzer Konsent“ von 2024, ein Orientierungstext für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht: Die Religionslehrkräfte sollen im Unterricht ihre Perspektivität offenlegen, Kontroversität fördern, respektvolle Kommunikation einüben sowie Urteils- und Handlungsfähigkeit ausbilden.

Was wir für eine funktionierende demokratische Gesellschaft brauchen, sind eben nicht Meinungen, die auf anekdotischer Evidenz basieren, sondern faktenbasierte Argumentationen. Deshalb wünsche ich mir ein Mehr an religiöser Bildung in der Schule.

Religion sei das Verhalten zum Unverfügbaren, hat der Philosoph Hermann Lübbe einmal definiert. Es sind Fragen von Leben und Tod, Fragen, die alles betreffen, was wir nicht in der Hand haben – nicht mit besonderer Frömmigkeit, auch nicht mit besonders umweltethischem Verhalten. Allein um eines friedlichen Zusammenlebens willen sollte es religiöse Bildung für alle geben. Der christliche Religionsunterricht in Niedersachsen ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

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4 Kommentare

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  • Man traut seinen Augen nicht!



    Da wird im Zusammenhang eines wissenschaftsfeindlichen esoterischen Kults von fach-"wissenschaftlichen Debatten" und "wissenschaftliche[r] Perspektive" geschrieben. SchülerInnen, die schon lange nichts mehr von Religion wissen und wissen wollen, wird eine multireligiöse Lebenswelt angedichtet und religiöse Bildung zur Grundlage friedlichen Zusammenlebens hochgelogen. Jeder Menge humanistischer Werte sollen als Grundlage des thematisierten neuen Religionsunterrichts herhalten - allein: Humanismus verhält sich zu Religion wie die Hacke zum Unkraut!



    Dass die Religionen im Überlebenskampf solch weichgespülten Unsinn verzapfen, ist nachvollziehbar; taz-LerserInnen hätten jedoch besseres verdient.

  • Ethik und Vermittlung von kulturellen Konflikten halte ich für deutlich wichtiger, als die Inhalte von Religionen zu vermitteln. "Kulturen" oder "Philosophie" wären deutlich bessere Schulfächer, die auch der Religionsfreiheit gerecht würden. Es ist eben auch in Ordnung, sich mit keiner Religion zu identifizieren. Moral existiert auch ohne.

    Ich hatte in meinen zwei Gesamtschuljahren in NRW einen Religionsunterricht, der sogar den christlichen Unterricht nochmals unterteilte. Ich kam jedes Mal in eine überfüllte Klasse, die nicht einmal genug Stühle hatte, während die muslimischen Schüler_innen eine Freistunde hatten. Da kommt schon Neid auf. Dazu habe ich bereits mit 8 Jahren vom Glauben abgewandt. Als man mir erklären wollte, dass man Brötchen nicht teilen könne, wurde es mir im Grunde genommen zu viel Geschwafel. Man respektierte aber nicht, dass ich nicht teilnehmen wollte, und dass die Eltern darüber entscheiden können habe ich auch erst erfahren, als es zu spät war.

  • Tut mir leid, wenn ich über diesen Text nur sagen kann, dass er eine Menge sinnfreier evangelischer PR-Sprache enthält.



    Ich stelle mal diese drei Zitate hintereinander, deren Aussagen einander logisch widersprechen.



    "Sie müssen ambiguitätstolerant sein oder es werden, sich also in andere hineinversetzen und Differentes aushalten können. Und sie sollen ihre Beurteilungsmaßstäbe entwickeln statt beibehalten und in Sachen Religion mit verschiedenen Wahrheitsansprüchen leben können."



    "Was wir für eine funktionierende demokratische Gesellschaft brauchen, sind eben nicht Meinungen, die auf anekdotischer Evidenz basieren, sondern faktenbasierte Argumentationen."



    "Religion ist das Verhalten zum Unverfügbaren." (Zitat Hr. Lübbe)



    Verschiedene Wahrheitsansprüchen, die jeweils faktenbasiert sein, gleichzeitig mit den je eigenen Beurteilungsmaßstäben gemessen werden sollen? Und das alles soll sich noch zum "Unverfügbaren" verhalten?



    Was soll das sein?



    Es gab Zeiten, da hat die Taz den üblichen evangelischen Begriffs- und Bedeutungssalat treffend auf den Punkt gebracht. Hier ein Beispiel:



    taz.de/Huber-Bubba/!327885/

  • Warum nennt sich ein Unterricht, der offiziell in alle Richtungen offen sein will "Christlicher Religionsunterricht"? Das ist unlogisch.

    Und warum sind dann die Lehrkräfte des neuen Unterrichts nur evangelisch oder katholisch? Auch hier wäre eine breitere Aufstellung notwendig, um glaubwürdig zu sein.