Ehemaliger Airline-Manager: „Die Luftfahrt braucht ein neues Geschäftsmodell“
Nach einer Airline-Karriere fordert Karel Bockstael zum drastischen Umdenken auf. Verantwortlich seien nicht Verbraucher, sondern die Branche selbst.

taz: Karel Bockstael, Sie sind auf Reisen, aber nicht mit dem Flugzeug. Wo erwischen wir Sie gerade?
Karel Bockstael: Auf Wangerooge! Meine Frau und ich segeln leidenschaftlich gerne. In den letzten Jahren haben wir alle ostfriesischen Inseln besucht. Diese war die letzte, die uns noch fehlte.
taz: Urlaub in der Region – eine bewusste Entscheidung?
Bockstael: Ja, sicherlich. Da wir nicht die Ambition und den Mut haben, Ozeane zu überqueren, sind wir in Nord-West-Europa unterwegs. Dort gibt es noch genug für uns zu sehen.
taz: Sie fliegen nicht mehr?
Bockstael: Ich sage nicht, dass ich es nie mehr tun würde. Aber eigentlich fliege ich nicht mehr, seit ich nicht mehr bei KLM arbeite. Ehrlich gesagt habe ich genug von der Welt gesehen. Ich hatte meine Portion. Wobei ich mir früher darüber unzureichend bewusst war.
taz: Um den CO2-Ausstoß der Luftfahrt zu begrenzen, gibt es zwei Ansätze: Konsument*innen in die Verantwortung nehmen, um weniger zu fliegen, oder Regulierungen seitens der Politik. Ihre Initiative Call Aviation To Action fordert die Branche auf selbst aktiv zu werden.
Bockstael: Wir kommen alle aus der Branche oder arbeiten noch dort, und machen uns Sorgen über den Klimawandel. Wenn die Luftfahrt-Emissionen ungebremst weitergehen, kommt irgendwann ein Punkt, an dem das nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Weil die Emissionen einfach zu hoch sind oder es keine Akzeptanz mehr gibt. Oder durch eine starke Rezession, die auch durch den Klimawandel ausgelöst werden kann.
taz: Im Mai veröffentlichten Sie und Ihre Mitstreiter*innen ein Manifest, das bislang von mehr als 430 Personen unterzeichnet wurde. Es beginnt mit dem Satz: „ We love aviation. And the planet. “ Neben dem Planeten wollen Sie auch Ihre Branche retten?
Bockstael: Ja. Um eine harte Landung in fünf oder zehn Jahren zu verhindern, wollen wir im Interesse der Branche über eine Strategie nachdenken. Wir müssen die Transition zu Null-Emissions-Fliegen oder Weniger-Fliegen selbst in die Hand nehmen und auch Regierungen um Unterstützung dabei bitten.
taz: Was schwebt Call Aviation to Action da vor? Im Manifest sprechen Sie von einem gänzlich anderen Geschäftsmodell.
Bockstael: Es beginnt damit, dass wir akzeptieren müssen, dass der Luftfahrt nur noch eine begrenzte Menge an CO2 zur Verfügung steht. Das ist unser Kohlenstoff-Budget und basiert auf dem Abkommen von Paris. Bisher sind die internationale Luftfahrt und Schifffahrt von diesen CO2-Budgets ausgenommen. Wenn die Branche eines bekommt, entsteht dadurch Knappheit. Das fördert Innovation in Sachen emissionsfreier Technologie.
taz: Und bis die soweit entwickelt und einsetzbar ist?
Bockstael: In der Zwischenzeit müssen wir nachhaltigen Treibstoff verwenden, der dann auch knapper und teurer wird. Durch den Preis-Anstieg wird die Nachfrage nach Fliegen etwas abnehmen. Man kann dann nicht mehr drei Übersee-Reisen im Jahr machen, sondern muss dafür eine Weile sparen. So senken wir die Emissionen, bis wir im Rahmen des Budgets sind. Wenn das nicht ausreicht, müssen wir uns mit Wachstums-Beschränkung auseinandersetzen. Das ist für die Luftfahrt ein sehr heikles Thema. Im heutigen Geschäftsmodell muss man wachsen, um gewinnbringend zu bleiben.
taz: Wie ist Ihr Verhältnis zur technologischen Innovation in diesem Konzept?
Bockstael: Das ist ambivalent. Heutige Strategien in der Branche sind da ein bisschen träumerisch: als ob wir in drei Jahren elektrisch fliegen und in fünf Jahren auf Wasserstoff. Damit streut man den Leuten Sand in die Augen. Es ist nicht so, dass morgen unendliche Mengen nachhaltiger Treibstoffe vorhanden sind. Elektrisch fliegen dauert noch Jahrzehnte. Wir sehen Innovation daher realistisch. Zugleich wollen wir sie ankurbeln, indem man Knappheit schafft.
taz: Ist Ihr Konzept realistisch in dieser Branche mit ihrem enormen Preiskampf?
Bockstael: Natürlich ist das sehr schwierig in diesem Markt, wenn man von einzelnen Luftfahrt-Unternehmen oder Ländern ausgeht. In der Branche gibt es sehr viele Leute, die Veränderung begrüßen würden, sie sich aber nicht leisten können, weil die Konkurrenz zu groß ist. Daher zielen wir von Anfang an auf den globalen Rahmen. Wir können das als Branche nicht alleine leisten, sondern brauchen staatliche Unterstützung: Gesetzgebung, die uns dabei hilft, auf ein anderes Geschäftsmodell umzusatteln. Das der letzten 20 Jahre ist nicht aufrecht zu erhalten. Heimlich wissen das alle. Nur: wir sind eine stille Mehrheit.
taz: Sehen Sie ein entsprechendes politisches Klima? Derzeit wächst quer durch Europa nicht nur bei Bürger*innen die Klima-Müdigkeit, sondern auch bei politischen Parteien und Entscheidungsträger*innen.
Bockstael: Ja, das stimmt. Und das ist sicher keine Hilfe. Aber das haben wir nicht in der Hand. Wir müssen auf uns selbst schauen. Was wir tun können, ist, innerhalb der Branche weiter professionell über den Kurs nachdenken. Natürlich wird man vom politischen Klima weltweit ziemlich betrübt, aber wir müssen handeln.
taz: Als Mit-Initiator haben Sie eine bemerkenswerte Biografie: Sie arbeiteten 30 Jahre lang bei KLM, bekleideten hohe Management-Positionen in Wartung und Produkt-Entwicklung, leiteten die Nachhaltigkeits-Abteilung. Wie verlief diese persönliche Entwicklung?
Bockstael: Als Luft- und Raumfahrts-Ingenieur kam ich über die technische Seite des Fliegens in die Branche. Vor sieben oder acht Jahren, als ich Planungs-Chef im Flight Operations Department war, hatten wir einen KLM-Mitarbeiter*innen- Tag. Alle versammelten sich in einem großen Hangar am Flughafen Schiphol. Es war in der Zeit nach dem Paris-Abkommen, im Februar. Wir saßen draußen in der Sonne, ein Temperatur-Rekord wurde gebrochen. Ich fragte mich, wie es im Februar 21 Grad warm sein konnte. Danach begann ich, mich ins Thema Klimawandel einzulesen. Die enormen Risiken, die er mit sich bringt, wurden mir dadurch in vollem Umfang bewusst.
taz: Und diese Erkenntnisse brachten Sie dann an Ihrem Arbeitsplatz ein?
Bockstael: Ich nahm Gespräche mit der Direktion auf, über die Frage, was unsere Position zum Klimawandel ist. Erst blieb es ziemlich still. Auf mein Drängen bekam ich dann ein Jahr Zeit, um daran zu arbeiten. Daraus wurde eine eigene Stelle und dann eine kleine Abteilung mit vier, fünf Leuten. Wir bekamen das Thema Nachhaltigkeit in dieser Zeit in die Unternehmensleitung, und schufen viel Engagement bei jungen Mitarbeiter*innen.
taz: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Aufruf?
Bockstael: Im Allgemeinen sehr positiv. Gerade, weil wir auch betonen, dass wir die Luftfahrt erhalten wollen. Darüber, dass die Branche sich verändern und nachhaltiger werden muss, gibt es eigentlich keinen Disput. Wir haben auch viele Menschen gesprochen, die uns eigentlich zu 100 Prozent zustimmen, dies aber aus ihrer Position im Unternehmen heraus nicht öffentlich machen können. Und ein paar wenige Male gab es Kritik von Fluggesellschaften an unserer Forderung, das Wachstum zu begrenzen. Das ist in diesem Umfeld ein Tabu – vor allem bei Airlines, aber auch anderen Akteuren, etwa bei Treibstoff-Lieferung oder Flugzeug-Bau.
taz: Es gibt Berichte von Unterzeichner*innen, die Repressionen erfuhren. Trifft das zu, und wenn ja, in welchem Rahmen?
Bockstael: Es ist passiert, aber es waren vereinzelte Vorfälle. Diesen Menschen wurde von ihrem Unternehmen abgeraten, sich zu äußern. Schlussendlich baten sie, ihre Namen wieder von der Liste zu entfernen.
taz: Wie fühlt sich das für Sie persönlich an, dass Sie so eine Initiative starten, während um Sie herum wieder alle bedenkenlos ins Flugzeug steigen? Ist das frustrierend?
Bockstael: Ich versuche, mich nicht frustrieren zu lassen. Ich nehme es jedenfalls Leuten nicht mehr übel, dass sie bestimmte Flüge unternehmen. Konsument*innen reagieren auf den Markt, so wie er ist. Von staatlicher Seite wird unzureichend eingegriffen, und die Branche kommt nicht aus den Startlöchern, weil alle Angst haben vor der Konkurrenz. Wenn aber alle zusammen in voller Breite auf globale Veränderungen hinarbeiten, ergibt das einen sweet spot, an dem wir ansetzen können.
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