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Generalstreik in IsraelDie gesellschaftlichen Gräben vertiefen sich

Felix Wellisch
Kommentar von Felix Wellisch

Die Massenproteste gegen die Politik der israelischen Regierung nehmen zu und werden härter. Doch das Kabinett Netanjahu schert sich nicht darum.

Tel Aviv am Sonntag: Protest während eines landesweiten Streiks, zu dem die Familien von Geiseln aufgerufen hatten Foto: Shir Torem/reuters

E s gibt kaum etwas, das die israelische Protestbewegung für ein Abkommen mit der Hamas und für ein Ende der Kämpfe in Gaza nicht schon ausprobiert hat: Massenproteste, offene Briefe, Generalstreiks, Autobahnblockaden. Die Mobilisierung dafür ist ausgesprochen erfolgreich, am Sonntag nahm laut Schätzungen jeder zehnte Israeli an einem Streik gegen­ die geplante Ausweitung des Krieges in Gaza teil.

Doch die Proteste lassen Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine Minister weitgehend unbeeindruckt: Netanjahu warf den hunderttausenden Landsleuten auf den Straßen gar vor, mit ihren Aktionen die Hamas zu unterstützen. Die harsche Reaktion zeigt: Der Druck wächst. Doch er reicht noch nicht, solange er die politische Stabilität der Regierung nicht gefährdet. Die sitzt weiter fest im Sattel, im aktuellen Kabinett kümmert sich jeder um seine Agenda: Die Siedler zielen auf die Besetzung und Annexion Gazas, die Ultraorthodoxen auf den Ausbau politischer Privilegien und eine massive staatliche Finanzierung religiöser Schulen. Netanjahu selbst geht es darum, an der Macht zu bleiben.

Teile der Protestbewegungen gehen derzeit zu Methoden über, die schwerer zu ignorieren sind. Zuletzt stürmten Aktivisten der arabisch-israelischen Bewegung Standing Together („Zusammenstehen“) eine der meistgesehenen TV-Shows des Landes und forderten ein Ende des Krieges. Besonders die Kritik von 19 ehemaligen Chefs der Sicherheitsbehörden hatte Gewicht. Auch Wehrdienstverweigerung oder Steuerstreiks wären Schritte, mit denen schon im Protest gegen den autoritären Justizumbau 2023 gedroht wurde.

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Auch der internationale Druck nimmt zu, sei es über die Anerkennung eines palästinensischen Staates oder die eingeschränkten Waffenlieferungen aus Deutschland. Selbst wenn bisher kein Bruch im Kabinett absehbar ist: Ob die Proteste und der internationale Druck die Machtbasis Netanjahus wirklich erschüttern, bleibt offen. Doch der Unmut wächst, und die Gräben in der israelischen Gesellschaft werden immer tiefer.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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