Hamas schlägt Waffenruhe vor: Israel unter Zugzwang
Die Hamas stimmt einer Waffenruhe zu, die in weiten Teilen einem Plan von US-Unterhändler Witkoff entspricht. Israel will den Vorschlag jetzt prüfen.

Die Zusage setzt die israelische Führung unter Druck, auch weil der Entwurf im Wesentlichen einem kürzlich von US-Unterhändler Steve Witkoff präsentierten Vorschlag entsprechen soll. Die Hamas hatte am Montag erklärt, einem diplomatischen Vorstoß der Vermittler Ägypten und Katar zuzustimmen.
Der Plan sieht eine 60-tägige Waffenruhe vor. In dieser Zeit sollen 10 noch in Gaza gefangene israelische Geiseln im Austausch gegen 200 palästinensische Sicherheitsgefangene freigelassen werden. 20 von insgesamt rund 50 Geiseln sollen noch am Leben sein. Das Abkommen sieht auch die Übergabe von Leichen getöteter Geiseln vor. Zudem soll sich die israelische Armee teilweise aus dem Gazastreifen zurückziehen.
Damit macht die Hamas deutliche Zugeständnisse. Der Vorschlag soll laut einem Sprecher des katarischen Außenministeriums „fast identisch“ mit dem von Wittkoff sein. So rückt die Gruppe vorübergehend ebenso von ihrer Forderung nach einem endgültigen Ende des Krieges ab wie von dem vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus Gaza. Deren Vertreter hätten sich bei fast all ihren Positionen, über die im Juli verhandelt worden war, bewegt, zitiert die New York Times zwei israelische Vertreter.
Westliche Verbündete kritisieren Israels Kriegspolitik
Netanjahu hatte Israels Position hingegen jüngst verschärft. Eine Waffenruhe müsse alle Geiseln auf einmal zurückbringen, erklärte er vergangene Woche. Er steht jedoch international und im eigenen Land unter Druck, die von seiner rechtsreligiösen Regierung vorangetriebene Eroberung weiterer Teile des Gazastreifens und die Zwangsumsiedlung von mehr als einer Million palästinensischer Bewohner noch abzusagen. Mehrere westliche Verbündete wollen einen palästinensischen Staat anerkennen. Am Montag verweigerte Australien einem israelischen Regierungspolitiker die Einreise. In der EU werden Sanktionen diskutiert.
Die Verbündeten kritisieren vor allem die katastrophalen humanitären Bedingungen für die rund zwei Millionen Menschen im Gazastreifen. Während Israel bereits rund 75 Prozent des Gebiets kontrolliert, drängt sich die Bevölkerung vor allem in Gaza-Stadt sowie einem Küstenstreifen im Zentrum zusammen.
Obwohl die israelische Blockade zuletzt leicht gelockert wurde, gelangen laut den UN weiterhin nicht ausreichend Hilfsgüter in das Gebiet, um „eine umfassende Hungersnot abzuwenden“. Zudem warnen israelische Sicherheitsexperten davor, dass eine Eskalation das Leben der Geiseln in Gefahr bringen könnte.
Auch deshalb befürwortet der Großteil der israelischen Bevölkerung ein Ende des Krieges und eine Rückkehr der Geiseln. Am Sonntag kam es zu einer der größten Demonstrationen seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Bis zu einer Millionen Menschen sollen sich nach Angaben des Forums der Geiselangehörigen an einem landesweiten Streik für ein Abkommen beteiligt haben.
Netanjahus Regierung sitzt in der Zwickmühle
Dennoch könnte Israels Regierung an ihren Kriegsplänen festhalten. An die Demonstranten hatte Netanjahu eine klare Botschaft: Ihre Aktionen würden „die Position der Hamas verhärten“. Internationaler Druck ließ Netanjahu in den vergangenen Monaten ebenso weitgehend kalt: Zum einen stellen sich die USA als wichtigste Verbündete hinter die Kriegspläne. „Wir werden die Rückkehr der verbleibenden Geiseln erst dann erleben, wenn die Hamas bekämpft und vernichtet wird“, schrieb US-Präsident Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social.
Zum anderen dürften Sanktionen wie etwa die Einstellung wissenschaftlicher Förderprogramme seitens der EU vor allem die liberale Elite Israels und weniger Netanjahus Wählerschaft treffen. Der Regierungschef sitzt weiterhin in der Zwickmühle: Seine rechtsextremen Koalitionspartner fordern die Besetzung und Annexion Gazas.
„Netanjahu hat kein Mandat für einen Teildeal“, sagte Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Andererseits sehen Umfragen im Falle von Neuwahlen bereits seit dem 7. Oktober 2023 keine Mehrheit mehr für dessen Regierung. Daran haben auch vergangene Geiselbefreiungen nichts geändert. Viele Kritiker fürchten daher, dass Netanjahu den Krieg aus politischen Gründen fortsetzen wird.
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