Debatte um mehr Medizinstudienplätze: Ein Rezept gegen den Ärzt:innenmangel
In Deutschland droht eine medizinische Unterversorgung. Eine neue Studie zeigt: Die Regionen, die Ärzt:innen ausbilden, haben eine bessere Versorgung.
Die Investitionen in mehr Studienplätze könnten sich trotzdem bezahlt machen. Das jedenfalls legt eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) nahe, die am Mittwoch veröffentlicht worden ist. Demnach weisen die Regionen mit einer medizinischen Fakultät oft eine höhere Ärzt:innendichte auf.
So gibt es beispielsweise in der Region Schleswig-Holstein Ost, in der ein Medizinstudium an der Uni Lübeck möglich ist, pro 100.000 Einwohner:innen 261 Ärzt:innen – in der Nachbarregion Schleswig-Holstein Süd (ohne medizinische Fakultät) sind es nur rund 171 Ärzt:innen. Dieser „Klebeeffekt“ sei in ganz Deutschland zu beobachten, sagt Studienautor Cort-Denis Hachmeister der taz.
Für seine Auswertung hat der Datenanalysespezialist beim CHE die regionale Ärzt:innendichte aus den Daten der Kassenärztlichen Vereinigung in Beziehung zu den Hochschulstandorten gesetzt. Das Ergebnis: Auch Regionen abseits der Metropolen – etwa um Bonn, Göttingen oder Rostock – profitieren vom medizinischen Nachwuchs vor Ort. Auch hier sind die Nachbarregionen oft deutlich schlechter versorgt.
Sehr langsame Aufstockung
„Mich hat überrascht, wie klar dieses Bild ist“, sagt Hachmeister. Er hofft, dass die Länder erkennen, wie sehr der Ausbau der Studienplätze in ihrem eigenen Interesse liege. In den letzten zehn Jahren seien trotz vieler Appelle die Plätze für Studienanfänger:innen nur um rund 1.000 gestiegen. Der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte Anfang 2023 5.000 neue Plätze – mit bescheidenem Erfolg.
„Viele Bundesländer bilden nach wie vor unter ihrem Bedarf aus“, kritisiert Hachmeister. In Bremen und Brandenburg könne man aktuell sogar noch an keiner staatlichen Hochschule Medizin studieren – auch wenn sich dies in Brandenburg ab dem Wintersemester 2026/27 ändert. Am meisten Mediziner:innen bilden aktuell gemessen an der Einwohner:innenzahl das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern aus.
Seit Jahren wird diskutiert, ob die Anzahl der Medizinstudienplätze ausreicht, um eine alternde Gesellschaft zu versorgen. Aktuell sind nach Angaben der Bertelsmann Stiftung rund 5.000 Stellen für Hausärzt:innen unbesetzt. Nach Hochrechnungen der Bosch-Stiftung werden im Jahr 2035 rund 11.000 Hausärzt:innen fehlen, knapp 40 Prozent der Landkreise droht eine Unterversorgung. Gründe dafür sind, dass Hausärzte zunehmend in Teilzeit arbeiten oder altersbedingt aufhören. Die Versuche, die ländliche Versorgung über sogenannte Landarztquoten zu verbessern, sind bislang mäßig erfolgreich.
Was die neue Bundesgesundheitsministerin, Nina Warken (CDU), die auf Hausärzt:innen als erste Ansprechpartner:innen im Gesundheitssystem setzt, gegen die drohende Unterversorgung unternehmen möchte, ist unklar – ebenso ob der Bund die Länder beim Ausbau der Studienkapazitäten unterstützen würde. Eine entsprechende Anfrage der taz ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet.
Grüne fordert bessere Arbeitsbedingungen
Aus Sicht der Grünen-Bundestagsabgeordneten und Gesundheitsexpertin Paula Piechotta wäre ein Ausbau der Studienplätze mit Bundesgeldern jedoch der falsche Weg. „Wir brauchen nicht mehr Medizinstudienplätze in Deutschland, sondern bessere Arbeitsbedingungen für Ärzt:innen sowie eine Aufwertung der nichtakademischen Gesundheitsberufe“, sagt Piechotta der taz. Sie halte es für einen Irrsinn, dass Assistenzkräfte bis heute oft kein Blut abnehmen dürfen.
Piechotta begrüßt aber, wenn neue Medizinstandorte wie im Fall Brandenburgs auf dem Land errichtet würden: „Wir wissen, dass Ärzt:innen eigentlich nur dann auf dem Land arbeiten, wenn sie entweder dort herkommen oder sich im Rahmen ihrer Ausbildung dort niederlassen.“
Das kann auch in Wien oder Budapest sein. Wegen der fehlenden Studienplätze studieren aktuell über 9.000 Deutsche im Ausland Medizin. Wie viele danach nach Deutschland zurückkehren, wird nirgends erfasst.
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