Gaza-Tagebuch: Primitive Toiletten zwischen dünnen Vorhängen
Unsere Autorin erzählt, wie sie in ihrem Zeltlager in Gaza ihren Körper pflegt: Duschen zweimal die Woche – und warum Frauen besonders leiden.

I ch kann mich nicht daran erinnern, dass wir im Gazastreifen jemals unter Wasserknappheit gelitten hätten. Wir haben nie gelernt, Wasser zu sparen. Und ich habe mich nie darum gekümmert, woher es kam oder wie wir es bekamen. Damals sah ich darin keinen Segen, für den ich Gott hätte danken müssen.
Heute suchen wir Wasser, nicht nur zum Trinken, sondern zum Überleben. Seit der Wiederaufnahme des Krieges in Gaza im März hat sich die Wasser- und Sanitärkrise in beispielloser Weise verschärft: Im Herzen der vielen Zeltlager, wo Tausende Familien leben, ist die Beschaffung von sauberem Wasser oder die Suche nach einer benutzbaren Toilette zu einer täglichen Herausforderung geworden.
Das Schwierigste für uns ist derzeit, sauberes Wasser zu finden –nicht nur zum Trinken, sondern auch zum Baden, Geschirrspülen, Wäschewaschen und die Waschung vor dem Gebet.
Teilnehmer: Über 150 Medienunternehmen aus mehr als 50 Ländern nehmen am 1. September an einem groß angelegten Aktionstag teil, der von Reporter ohne Grenzen (RSF) und der globalen Online-Kampagnenbewegung Avaaz koordiniert wird.
Kritik: Die teilnehmenden Redaktionen kritisieren die Verbrechen der israelischen Armee an palästinensischen Journalist:innen und Reporter:innen in Gaza.
Forderung: Die Beteiligten fordern besseren Schutz für alle Medienschaffenden dort und verlangen, dass Israel anderen Journalisten endlich unabhängigen Zugang in den Gazastreifen gewährt.
Mit Eimern und Kanistern in der Schlange stehen
Jeden Morgen öffne ich meine Augen in unserem Zelt, das uns weder vor der sengenden Sonne des Tages noch vor der Kälte der Nacht schützt. Nachdem wir unser Zuhause verloren haben, ist es alles, was uns geblieben ist. Schon in den frühen Morgenstunden herrscht draußen Lärm und Geschrei: Kinder und Frauen tragen leere Kanister, Männer warten auf die Lastwägen, die Wasser verteilen. Die einzige Wasserquelle für die Lager sind diese Lastwägen, die durch die Straßen fahren. Sobald wir den Motor eines Lastwagens hören, beginnt das Geschrei: „Wasser! Wasser!“.
Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.
Alle rennen los, suchen nach Eimern und leeren Kanistern, sammeln sie ein und beeilen sich, einen Platz in der Schlange vor dem Schlauch des Lastwagens zu ergattern. Menschen kommen von überall her angerannt, streiten und drängeln, um Wasser zu bekommen.
Jede Familie bildet kleine Gruppen, um den Vorgang zu beschleunigen: Einige tragen die gefüllten Behälter und reichen sie an andere weiter, die sie leeren und sich dann wieder in die Schlange stellen.
Selbst das Tragen des Wassers ist eine enorme Herausforderung. Alle helfen mit, unabhängig von Alter, Frauen, Mädchen, Männer, Kinder und ältere Menschen. Die Kanister sind schwer, manchmal muss man sie über weite Strecken durch zerstörte Straßen tragen, was es noch schwieriger macht.
Ein Loch, darauf ein Toilettensitz – wenn man Glück hat
Auch die Toiletten sind primitiv: Die Männer graben ein tiefes Loch in den Boden, eine Grube für Abwasser. Denn das Kanalnetz ist zerstört. Neben diesem Loch stellen sie einen Toilettensitz auf – oder für diejenigen, die keinen haben, nur einen Eimer mit einem Loch im Boden. Er ist mit einem Rohr verbunden, das in die Grube führt.
Alle paar Zelte teilen sich eine Gemeinschaftstoilette – für Männer, Frauen und Kinder. Sie sind also ständig stark frequentiert, überfüllt, schwer sauber zu halten und riechen übel.
Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Toiletten sind mit dünnen Stoffbahnen umgeben. In der glühenden Sommersonne nutzen sie sich schnell ab und reißen leicht, sodass sie jederzeit herunterfallen und einen entblößen können. Genauso ist es bei den sich ebenfalls dort befindlichen improvisierten Duschen.
Deshalb bin ich die ganze Zeit, die ich darin bin, in Alarmbereitschaft: Ich achte auf jede Lücke, durch die man mich sehen könnte. Ich habe immer Angst vor einem plötzlichen Windstoß, der den Stoff wegwehen könnte – oder einem nahen Luftangriff. Viele Frauen und Mädchen weigern sich, die Toiletten im Lager zu benutzen. Manche erzählen mir, dass sie weniger essen und trinken, damit sie tagsüber nicht auf die Toilette müssen.
Zwei Eimer kalten Wassers ergeben eine Dusche
Dazu kommt: Nach einer Weile wird die Sickergrube zu einer Brutstätte für Ratten und Insekten. Mit der Zeit vermehren sich diese Schädlinge – und breiten sich in den Zelten aus.
Seit wir hierhergezogen sind, haben wir ein großes Problem mit Ratten. Es hat einen ganzen Monat gedauert, bis wir ihre Zahl reduzieren konnten. Wir sind sie nicht vollständig losgeworden, aber jetzt sind es weniger als zuvor.
Früher habe ich gerne geduscht, eine Stunde lang, mich um die Körperpflege gekümmert – ohne Bedenken zu haben wegen des Wasserverbrauchs. Aber im Lager geht das nicht länger als zehn Minuten. Dafür gibt es zwei Gründe: Einmal ist da die geringe Menge an kaltem Wasser, die wir pro Dusche zur Verfügung haben: Nur ein kleiner Eimer, und das nur zweimal pro Woche. Anfangs reichte mir das nicht, aber ich habe gelernt, damit zurechtzukommen und mich anzupassen. Zweitens: Während man duscht, stehen draußen Leute und warten.
In Gaza träumen wir nicht mehr von einem Leben in Luxus, die einfachsten Dinge des Lebens sind zu unserem täglichen Ziel geworden. Wasser, Privatsphäre, Sauberkeit – was einst selbstverständlich war, ist nun ferner Traum.
Seham Tantesh, 23, aus Beit Lahia, ist die Cousine unserer Reporterin Malak Tantesh. Sie wurde insgesamt acht Mal vertrieben.
Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein.
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